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EINTRÄGE

(Erkenntnisse, gemischt)

Zutrauen + Das Geplante und das Ungeplante + Schmetterlingsfrei + Fischzug + Bäumeversteher + Wellengekräusel + Von Oben her + Anglerbeute + Fisch, gefangen + In der Fremde + Was möglich ist, wird + Grenzen + Welten. Vorstellungen davon + Giordano Bruno + Unendliches Bewußtsein + Neugeschaffen + Unterschied + Maschinenwahrheit + Abschiedsblick + Kränkungen + Das Meer der Möglichkeiten + Umkehrung der Perspektive + Kein Gerüst mehr + Propheten/Prophezeiungen + Resonanz + Verirrt + Gespräch. Am Lagerfeuer + Gewächshaus + Uranfang. Bewusstsein + Der Teil und das Ganze + Freiheit + Erzählungen + Schreiben: woher die Worte? + Wortwand + Schattenwurf + Ereignisse, einschneidend + Rahmen + Himmel + Himmel 2 + Im Boot + Sinnwort + Kontakt + Kontakt II + Superposition + Glücklichsein + Luzide + Bei mir + Nadelöhr (Freiheit) + Zuhörer + Nimm den Faden auf + Kindbewusstsein + Wette + Annahme + Was ändert, was sperrt? + Kongruenz + Karma + Erinnern + Erlösungswissen + Gläubigkeit und Skepsis + Nachdenken über etwas + Zuschreibung + Person + Gegenstandsbereiche + Zugänge + Spiel und Freiheit + Ich + Renegat + Bewusstseinsaufhellung + Bedürfnislosigkeit + Verwickelt sein + Sprache + Ursprache + Determinismus + Wie kommt das Neue in die Welt? + Puppe in der Puppe + Glocke/Klangweben + Gegenwartssein + Faktenwissen - Wissensquell + Was und warum und wie + Evidenz + Qualitäten sind + Echsenmenschen, Siriusbewohner + Stimmen + Bipolar + Zum Licht + Beweis + Manipulativ unterwegs + Sich herantasten + Strebungen + Googlebot + Paradox + Wieder am Meer + Schläfer + Denken + Abschirmung + Mauern + Wieder nur Worte + Abgrund/Tiefe + Trauer + Mythos + Mythos II + Aufwachen + Verantwortung übernehmen + Künstliche Intelligenz + Nous + Fragmente + Die Welt erklären: Erzählungen + Polaritäten + Geschichten entstehen + Lügen + Spötter + Teilen und bereichern + Kätzchen im Baum + Vergänglichkeit + Im Glück geboren, im Leid + Kette + Personen + Person/Ich/Individualität + Ego + Person/Ego/Ich + Existenz + Entwicklung + Schonung + Zustimmung + Wissenschaft + Entscheidung + Haltungen + Zweierlei Blickrichtungen + Wirklichkeit + Abgrund/Tiefe + Gesehen werden + Teppich der Wirklichkeit, aus Gedanken gewoben + In Freiheit + Entwicklung + Vorläufig + Unendliche Räume, unendliche Zeiten, unendliche Welten + Gedankensinn + Freiheit denken + Natur und Gewissen + Denkvertrauen + Denkart + Änderung des Blicks) + Säulen der Erde + Wahrheit ist tief + Beim Blick in einen Roman + Selbstabstand + Nicht diese Person sein + Bewusste Existenz (Schellings Echo) + Wunschwollenintention + Engel + Überwirklich: Engel und Dämonen + Bestehen bleiben + Jenseits der Zeit + Blick von weither



Zutrauen

Zutrauen zur Welt - auf was beruht es? Wenn nicht ein Misstrauen da ist, eine grundlegende Skepsis, leben wir doch in einem Zutrauen zur Welt, zur Existenz, zum Gegebenen. Zutrauen ist uns angeboren. Skepsis ist erworben. Durch traumatische Erfahrung vielleicht, durch Enttäuschung des Vertrauens.
Oder trifft dies nur auf uns arglose Zöglinge einer menschlichen Fürsorgegemeinschaft zu, die durch Kontakt und sozialem Austausch zur Person heranwachsen? Schaut man auf ein Küken, welches durch eine verdächtige Silhouette am Himmel gewarnt, instinktiv in ein schützendes Versteck flüchtet, ohne Vorerfahrung mit Raubvögeln gehabt zu haben, dann sieht das dann doch wieder anders aus. Jedenfalls, in unserer menschlichen Biographie fangen wir mit Zutrauen an. Zu unseren Eltern, zum gewohnten Rhythmus von Wachen und Schlafen (die Welt wird noch immer existieren, wenn ich wieder aufwache), zum Sinn der Worte, die wir zu sprechen lernen - zu allem, was wir uns aneignen, uns zu eigen machen. Ohne das Zutrauen würden wir es nicht lernen, würden wir es uns nicht zu eigen machen. Und was wären wir dann?
Der Zweifel kommt später. Das Misstrauen. Ist das wirklich wahr? Bist du mir wirklich gut? Kann ich meinen Sinnen trauen? Sind das nicht Fakenews? Auf eine nicht naive Art Zutrauen in das Universum zu haben, auf einen Sinn im Leben, auf die Möglichkeit von Erkenntnis - das setzt einiges an Entwicklung voraus, an Auseinandersetzung, an Reifung durch Überwindung von Anfechtungen. Und setzt die Verarbeitung der tiefen Kränkung voraus, die uns das Leben durch den Bruch des scheinbaren Versprechens, dass unser Zutrauen zu ihm immer belohnt werden wird, unausweichlich zufügt.


Das Geplante und das Ungeplante

Ich hätte gerne, dass alles, was ich unternehme, wie geplant verläuft. Mehr noch: dass alles meinem Plan entspricht. Bei diesem Satz zögere ich jedoch: Will ich wirklich, dass alles, was für mich existiert, meine eigene Unternehmung ist? Von mir geplant wurde? Nein, ich möchte mich ebenso darauf verlassen dürfen, dass mich auch das Ungeplante trägt. Mir nicht feindlich, sondern zukömmlich ist. Das Ungeplante nicht als Katastrophe, sondern als Freund. Als vertrauliches Dasein. Dieser Wunsch ist stark, nicht nur in mir. Er tritt als kindliches Urvertrauen auf, als Gottvertrauen, als Behaglichkeitstraum. Und sogleich mit dem Auftauchen dieses Gedankens ruft sich der Verstand zur Ordnung: Aufgepasst, die Welt ist nicht behaglich. Überall können Gefahren lauern. Nur dort, wo du alles durchgeplant hast, den blinden Zufall ausgeschaltet hast, kannst du dir sicher sein, dass sich nichts Schädliches in dein Leben mischt. Dass du nicht abhängig davon bist, was auf dich zukommt, egal ob positiv oder negativ. Also stehe ich im Dilemma der beschädigenden Verarmung des Lebens durch Kontrollzwang oder der Beschädigung durch leichtgläubige Nachlässigkeit.
Oder gibt es dieses Dilemma nicht wirklich - entsteht der Zwiespalt nicht eher aus einer Selbstüberschätzung des planenden Ichs, welches sich auch dort für zuständig hält, wo in Wahrheit die Automatismen von Gewohnheit und Konditionierung greifen? Automatismen, die es möglich machen, dass wir beruhigt dem Gang der Dinge vertrauen können, erst wieder alarmiert und aufgeschreckt, wenn etwas offensichtlich schief läuft und der Kapitän wieder ans Ruder muss. Wobei, um in der Metapher zu bleiben, für manche Neurowissenschaftler dieser Akteur eher ein blinder Passagier ist, der sich für den Kapitän hält, während hinter den Kulissen ganz andere Kräfte den Ozeanriesen steuern. So pessimistisch in Bezug auf meine Rolle im Leben will ich nun nicht sein, doch ist unbestreitbar, dass das sich als Selbst erlebende Bewusstsein zu viel von dem außer Acht lässt, was ebenso (oder noch mehr) bestimmend für seine Existenz ist, wie das bewusst Herbeigeführte. So bin ich weder der Maschinist auf diesem imaginierten Ozeandampfer, noch das Küchenpersonal, noch irgendwer der fleißigen Akteure unter Deck, und auch die Mehrzahl der Passagiere bleiben mir verborgen, nur ab und zu kommt ein Gespräch beim Kapitänsdinner mit einzelnen zustande und es zeigt sich ein Gesicht.
Dieses Faktum braucht man dennoch nicht als panikmachendes Feld der Ungewissheit ansehen, es kann auch als Geschenk betrachtet werden, welches der eigene Körper und die soziale und weitere Umwelt dem darauf beruhenden Bewusstseinslicht machen. Als Geschenk des Gegebenen, des Zugrundeliegenden an uns, dem wir alles verdanken; des Grundlegenden, welches trägt, ohne in Erscheinung zu treten - oder nur in seltenen Momenten der Offenbarung. Unsere biologische Ausstattung (einschließlich unseres Gehirns) ist ein Beispiel dafür. Der soziale Beziehungsraum, in den wir hineingeboren wurden ein anderes. Ebenso der Geschichtsraum, die Koordinaten unseres Hier und Jetzt. Freilich stellt sich damit auch die Frage: wieweit sind wir bloße Getriebene dieser Mächte, Automaten, geformt und abhängig von den Umständen? Was an uns ist autonom? Was halten wir wirklich in unseren Händen, wenn wir unser Leben in die eigenen Hand nehmen?


Schmetterlingsfrei

Rückzug ins Abseits, um der Freiheit willen - das scheint eine merkwürdige Strategie zu sein. Aber sie funktioniert, wenigstens bei Menschen wie mir - eine zeitlang zumindest. Frei und unbehelligt sich selbst entfalten zu können - einem verpuppten Schmetterling ähnlich - ist ein selbsttragendes Gefühl, weitend und klärend. Doch irgendwann gerät das Ganze ins Stocken. Die Wärme fehlt.
Der Schmetterling hat die Sonne, hat sein Programm in sich. Ich bin kein Schmetterling. Mein Wärmequell ist ein anderer Mensch. Dieser lockt hervor, was keine Programmierung leistet. Der Schmetterling in mir entwickelt sich durch Angesprochen werden, durch Berührung, durch freundliche Augen. Durch den Tanz aller miteinander. Und schwebe ich eines Tages für jeden sichtbar mit meinen frei entfalteten Flügeln im Blickfeld der anderen, waren sie es, denen ich diese Gabe verdanke. Warum aber dann das Bedürfnis nach Abgrenzung von ihnen? Ich denke, es liegt daran, dass ich mir selbst bewusst sein will. Ich möchte nicht nur fliegen, sondern auch wissen, dass ich fliege. Somit sind wir wieder bei dem Wunsch nach Rückzug in das Getrennt sein angekommen. Dem Wunsch nach Frei sein. Auf mich selbst bezogen, fühle, erkenne ich mich selbst. Dem Sog der anderen entkommen. So wechsle ich hin und her, im Faltertanz flatternd.


Fischzug

Ich sitze am Flussufer und werfe meine Angel aus, hoffe auf den Fisch. Jedoch an welchem Fluss, was als Angel, um was für einen Fisch geht es? In der Realität sitze ich doch in einer Lounge an einem Bistrotisch und kritzle mein Notizbuch voll. Und doch: mein Stift ist die Angel. Einen Gedankenfisch will ich fangen. Und der Fluss? Das ist freilich ein noch offenes Geheimnis - aus welche Wellen ziehe ich ihn, aus welchen Gewässern?
Es ist mir irgendwann bewusst geworden, dass ich nicht ganz so originell, so original bin, wie ich immer geglaubt habe und worauf ich meinte, stolz sein zu dürfen. Meins, meins! - Nicht so… Ich hatte mir etwas ausgedacht und musste dann erstaunt/ beschämt feststellen, dass dies in einem mir bisher unbekannten Winkel der Welt Allgemeingut war. Freilich konnte ich auf diese Weise oft ein mir unbekanntes Neuland betreten, mir etwas Neues erschließen, aber es war doch ernüchternd zu entdecken, dass es dieses Land schon lange vor mir gab.
Und auch diese Erkenntnis, von mir aus meinen Erfahrungen extrahiert, ist schon lange im Umlauf, das, worauf sie hinweist, wird in unterschiedlichen Weltentwürfen unterschiedlich bezeichnet, man kennt es zum Beispiel als Akasha-Chronik oder als Informationsfeld. Das ist der Fluss, das Meer, in dem ich fische, und ab und zu zappelt etwas an meinem Haken.
Auch bemerke ich nun, dass viele Fischer unterwegs sind, zwar jeder an einer anderen Biegung des Flusses, doch alle am gleichen. Wir erzählen unterschiedliche Anglergeschichten, doch die Fische, die wir an Land ziehen, sind im Grunde dieselben: vielleicht von verschiedener Art, doch demselben Gewässer entnommen, denselben Lebensraum bevölkernd. Und von uns allen auf dieselbe Weise zu fangen.


Bäumeversteher

Ich bin ziemlich unerfahren im Bäumeverstehen. Das merke ich, betrachte ich bewundernd einen Baum vor mir. Wie ihm zu verstehen geben, dass ich seinen Wuchs, seine emporstrebende Lebenskraft, das Sprießen der jungen Blattspitzen, seine überreiche Blütenpracht und das strahlende Weiß seiner Blütenblätter hingerissen in mich aufnehme, er mir etwas gibt, was ich gerne dankbar erwidern möchte? Mit einem Kompliment an ihn vielleicht, mit dem Ausdruck meiner Bewunderung, mit einem Zeichen der Verbundenheit und Zuwendung - doch wie ihn erreichen, wie ihn ansprechen? Abgesehen davon, dass ich im Allgemeinen schon nicht sehr gut im Komplimentemachen bin, kein guter Menschenversteher oder gar Frauenversteher bin, wie kann man sich an ein pflanzliches Wesen wenden? Ich verstehe zu wenig von Bäumen, um den Zugang zu ihnen zu kennen. Schade. Ich hätte mich gerne näher mit ihm unterhalten, auf eine Art, die nicht einseitig ist. Dazu müsste ich aber wohl ein etwas anderes Bewusstsein haben, mit anderen, erweiterten Mitteln des Austausches und der Verbindung. Ein weiter Weg dahin...


Wellengekräusel

Das Kräuseln von Wellen an der Oberfläche eines uferlosen, bodenlosen Ozeans, so stellt sich für die heutige Physik der Grund der Materie dar. Eine Metapher. Die Physik selbst ist bildlos, ist abstrakte, formale Mathematik, ihr Gegenstand verschwindet ins Unanschauliche. So auch die Materie. Keine festen Atome mehr, als kleinste, unteilbare Körper, auch keine Elementarteilchen, die als Allerletztes nicht mehr in weitere Bestandteile aufgelöst werden können. Am Ende bleibt nur die reine Information übrig. Etwas Nichtmaterielles. Ist das der Übergang zum Geistigen? Ich kann es so nicht sehen, würde vorsichtig mit dieser Benennung sein. Das Feinstoffliche, welches nämlich von manchen jenseits dieser Grenze postuliert wird, ist immer noch Stofflich, ist materiell gedacht: Materialismus hoch zwei. Das theosophische Kontinuum von Grobstofflich über Feinstofflich zu Feinststofflich usw. erweitert nur den Bereich der Materie in geistige Welten hinein. Und was soll der Begriff "höhere Schwingungen" bedeuten? In der Physik können Schwingungen gemessen werden, seien sie auch noch so kurz oder verlangsamt. Um diese Art Schwingungen kann es ja nicht gehen. Sollte man nicht stattdessen ganz andere Metaphern und Bilder verwenden, um eine Verwechslung mit Materiezuständen zu vermeiden, ein Verwischen der Bereiche? Und braucht es dann nicht einen ganz anderen Zugang zu diesen Dimensionen als über den Gang durch die Materie, an die Grenze der materiellen Welt?


Von Oben her

Und doch: ein Riesentrumm von Hindernis stellt sich dabei in den Weg. Die Zweiteilung der Welt. Wieder schwebt der Geist bloß über den Wassern und verbindet sich nicht. Oder: wo versteckt sich das Gespenst in der Maschine? Der belächelte Versuch Descartes, dieses Trumm durch die Zirbeldrüse als Einwirkungspunkt aus dem Weg zu räumen… Jeder Dualismus hat das Problem der Wechselwirkung: Wie soll etwas auf etwas einwirken können, wenn es nichts Gemeinsames gibt, was beide verbindet, eine Überschneidung, eine übergeordnete Kategorie, ein möglicher Übergang?
Die Ausdünnung der Materie bis dahin, dass sie plötzlich nicht mehr materiell sein soll, ist der Versuch eines monistischen Konzeptes von der Welt, mich überzeugt das aber nicht. Und wie wär's mit von Oben herab? Dann gäbe es freilich das Problem, wie aus einer rein geistigen Welt eine materielle werden konnte - aus ihr geronnen, erstarrt, kristallisiert - wie also die Physis entstanden wäre. Weltschöpfungsbilder stellen sich dazu ein, Mythen aller Völker und Erdgegenden. Doch wir stehen auf der anderen Seite. Unsere Erklärungen gelten für hier.
Vielleicht liegt aber das Problem nicht an fehlenden Bindegliedern oder sich ausschließenden Annahmen - vielleicht liegt das Problem an unserer Anforderung an ein geschlossenes Weltbild, welches der aristotelischen Ausschließungslogik folgen soll. A ist A und nicht B. Etwas kann nicht zugleich etwas anderes oder sogar sein Gegenteil sein. Usw. Vielleicht sollten wir eher akzeptieren, dass für jeden Bereich eine eigene Beschreibung möglich und notwendig ist. Das eine wäre dann der Bereich der materiellen Vorgänge. Mathematik wäre das Rüstzeug dazu, die Welt auf dieser Ebene zu verstehen, denn Naturwissenschaft ist abstrakteste Mathematik geworden, Quantenphysik, Stringtheorie, fraktale Raumzeitgeometrie stehen als Beispiele dafür. Doch ein anderer Bereich wäre der des Wesenhaften. So wie wir selbst etwas Wesenhaftes sind: lebendige, fühlende, denkende, selbsterkennende Wesen. Hier kann man dann sagen: Wesen erkennt Wesen. Keine Mathematik kann das. Durch das Netz des Berechenbaren, mathematisch Strukturierbaren wird das Wesen immer hindurchschlüpfen, mit ihm wird es nie eingefangen werden.
(Was dazu führt, dass für die Hardcore-Naturalisten das Wesenhafte eine Chimäre ist, eine Illusion, die wir uns selbst vormachen. Ein Sprachspiel vielleicht. Dumm nur, dass man sich dabei selbst aus dem Spiel nimmt… )
Zur Erkenntnis des Wesenhaften geht der Zugang über unser eigenes Wesen, das ist die Tür, die Passage, die durchschritten werden muss. In uns liegen die Erkenntnismittel, die dabei eingesetzt werden können. In unserem Denken. In der Umwandlung unseres Denkens. In der Umwandlung unserer Erlebnisfähigkeit. So dass etwas Neues in unser Erleben treten kann. Wesenhaftes. Uns gegenüber tretend. In uns erscheinend. Das wäre dann die notwendige Ergänzung des Bildes, welches man sich von der Welt aufgrund mathematisch-physikalischer Modelle gemacht hat.


Anglerbeute

Als Angler bin ich amateurhaft naiv unterwegs. Mit meiner selbstgebastelten Angel fische ich in von mir nicht angelegten Teichen, in die Andere Fische eingesetzt haben. Gedankenfische. Ich kenne nichts bis wenig von dem Leben im Fischteich, halte den von mir herausgezogenen Fisch für das Ergebnis meiner eigenen Fertigkeit und gebe ihm eine vereinfachte Form, die meinem Unwissen entspricht. Später finde ich ein Werk über Ichthyologie, mit altmodischen, aber wunderschönen Illustrationen der verschiedenen Fischarten. Da erst wird mir bewusst, was ich da an Land gezogen habe. Aber wie beschämen mich die detaillierten Abbildungen, die so viel mehr von meinem Gedankenfisch darstellen, im Vergleich zu meinen naiven Zeichnungen. Es gibt also wahrhaftig nichts Neues unter der Sonne. Ein Rätsel bleibt mir allerdings immer noch, wie diese Fische zu mir gekommen sind und auf welche Weise ich sie eingefangen habe...
Um die Anglermetapher zu verlassen: Ich habe bemerkt, dass es mir leichtfällt, aus einigen angerissenen Vorstellungen und Begriffen, ja sogar nur Worten, etwas Eigenes zu zimmern, herbei zu phantasieren könnte man sagen. Es genügt mir eine Andeutung, um mir meine eigene Auslegung zu liefern, die ich dann unbefangen weiter ausbaue, mit wenig Geduld, mich detailliert und tiefer mit dem Vorgefundenen zu befassen. Aber wenn ich dies, nach Jahren vielleicht, nachgeholt habe, fand ich zu meinem Erstaunen oft, dass ich Konzepte aufgegriffen und ausformuliert hatte, die hinter den verwendeten Worten und Begriffen lagen, von mir damals nicht bewusst wahrgenommen. Der Wortklang allein wirbelt Assoziationen in mir auf, die mich tief in das Gebiet hineinführen, das sich dabei erschließt. Eine Tür öffnet sich und ich betrete ein Gebiet, von dem ich glaube, es ist das Reich meiner Phantasie, während es doch das Gebiet vernetzten Wissens ist. Gibt es das also doch, dass Konzepte und Ideen frei flutend in einem geistigen Ozean existieren, zu dem ich in meinem Innern Zugang habe?


Fisch, gefangen

Ich fische im Weltmeer der Intuition. Ein Beispiel dafür ist mir untergekommen: Im "Gnosisroman" lege ich dem Maler den Satz in den Mund "Betrachte dich einfach als einen Sufi, in den Westen gesetzt..." Um die Situation zu charakterisieren, in der sich ein nach geistiger Erfahrung sehnender Mensch in einer materialistisch geprägten Mitwelt erlebt. Jetzt (Jahre danach) lese ich, dass der persische Sufi-Philosoph Suhrawardi eine "Erzählung vom westlichen Exil" geschrieben hat, in der es genau darum geht: Um die Geistverlorenheit der Seele im Exil der materiellen Welt, aus der sie durch den Weg der Erleuchtung errettet und erlöst werden kann. Den Gnosisweg, wie ihn auch Suhrawardi aus der Antike übernommen hat. Und noch weiter: In Suhrawardis Erzählung ist die Seele in einem tiefen Brunnenschacht gefangen. Ein archetypisches Bild, denke ich. Und genau dieselbe Metapher habe ich im Gnosisroman den Verschwörer gebrauchen lassen, um die Situation zu erklären, die eine Rettung notwendig macht. Was für einen jahrhundertalten Topos habe ich da aufgegriffen? Wie ist dieser Satz, dieser Gedanke zu mir gekommen? Als kulturelles Meme, als unbewusst Aufgeschnapptes, als naheliegender Einfall? Oder durch die Zeit gedriftet, an mein Ufer gespült, von mir aus dem Ozean der Intuition als Fisch an Land gezogen? Vielleicht sogar aus zeitloser Zeit?


In der Fremde

Das Lied der Sehnsucht nimmt in jeder Erdgegend eine andere Färbung an, erklingt in einer anderen Tonart. Doch immer ist es eine aufsteigende Melodie, die den Sänger und seine Zuhörer ins Zentrum tragen will. Heimweh nach der Heimat.


Was möglich ist, wird

Alles was möglich ist, wird auch sein. Wird in Existenz treten. Irgendwann und irgendwo. Das scheint mir ein grundlegendes Gesetz. Des biologischen Lebens und des geistigen. Alles was wirklich werden kann, tritt auch in die Wirklichkeit ein. Dies hängt wiederum mit einer anderen Eigenheit zusammen: dem Gesetz der Fülle. Wirklichkeit ist auf Fülle angelegt - Natur ist nicht sparsam. Eine einzige Lebensform (oder einige wenige) dürfte doch genügen, um das Prinzip des Lebens zu installieren und auszuformulieren. Stattdessen der Reichtum an Formen und Gestalten. Eine Pflanze mit einer Sorte Blatt usw. wäre doch ausreichend, um Pflanzensein zu haben. Die Urpflanze sozusagen, bei der es auch hätte bleiben können. Doch es gibt die unterschiedlichsten Blätter - bei gleichem Grundprinzip der Ausbreitung in den Raum und der Ausfächerung in das Licht - es gibt eine Fülle der unterschiedlichsten Pflanzenarten. Unzählige, nimmt man die bisher gewesenen und die künftigen hinzu und auch solche, wie sie vielleicht unter anderen Sonnen ihre Lichtfänger in einen fremden Atmosphärenozean spreizen.
Dieser Hinweis auf eine evolutionäre Entwicklungsgeschichte deutet darauf hin, auf welche Weise die Fülle in Erscheinung tritt, das potentiell Mögliche zum Wirklichen wird: an der Grenze des bisher Erschienenen. Das gerade eben Erreichte ist Ausgangspunkt. Und wird überschritten. An dieser Grenze erscheint das Neue, noch nie Dagewesene als nächster Schritt in einen Möglichkeitsraum, der zum Raum der Realisation wird. Das an diesem Punkt der Entwicklung Mögliche realisiert sich. Nicht ein irgendwie auch Mögliches, sondern das an der jetzigen Grenze Mögliche. Und Fülle entsteht dadurch, dass das Mögliche immer auch alternativ auftritt, es immer mehr als nur einen Weg vom Jetzigen in ein Zukünftiges gibt. Verzweigung ist das Prinzip. Das Leben durchspielt alle Äste und Zweige, die sich auftun. Manches hat dann Bestand, manches vergeht wieder, war in der Rückschau bloßes Kuriosum. War absichtsloses Erproben.


Grenzen

Wo liegt für mich die Grenze des Denkbaren, Vorstellbaren? Wohinaus will ich mich nicht vorwagen? So gestellt merke ich, dass ich bisher dieser Frage ausgewichen bin. Ich habe mich nicht damit beschäftigt, was ich als mehr oder weniger plausibel denkbar, was als undenkbar, sprich absurd ansehe. Von den vielen umlaufenden Vorstellungen darüber, wie die Welt beschaffen sei, habe ich zwar einige als möglich akzeptiert, einige als wahrscheinlich, betrachte andere wieder als meine eigenen, genauso wie ich einige als nicht sehr wahrscheinlich ablehne, als übertrieben spekulativ abtue. Aber ich habe mir bisher keine Gedanken darüber gemacht, wie denn die Welt für mich am wahrscheinlichsten aussähe, wo ich die Grenzen setzte, über die hinaus ich nicht gehen will.
Doch warum überhaupt Grenzen? Warum sich einschränken, einzäunen? Aus Angst, in den unendlichen Möglichkeiten zu ertrinken, wenn man nicht das weniger Wahrscheinliche ausschließen würde? Beschränkung aus Gründen der begrenzten Verarbeitungskapazität, die nicht ins unendliche steigerbar ist? Beschränkung aufgrund meiner Beschränktheit also? Oder Abwehr des nicht ins Gewohnte Einzufügende, des als unverdaulich Eingeschätzten? Wie auch immer: Warum sich begrenzen? Habe ich wirklich schon das Programm der reduktionistischen Wissenschaften verinnerlicht? Beckhams Rasiermesser und Bacons regulierende Kriterien der Wissenschaftlichkeit sowie die rationale Denkmethode Descartes - alles Versuche, den Wildwuchs der Welt in ein vernünftiges Schema zu bannen um das Handeln können zu optimieren? Ist der Impuls Giordano Brunos nicht ebenso tragfähig, befähigt er nicht ebenso zum Wissenserwerb? Jedenfalls ist er schwungvoller, ideenmächtiger, farbiger, empathischer als all die skeptische Kleingläubigkeit, die in der Selbstbeschränkung steckt.
Also los, versuche ich mich an einer Aufstellung der Weltmodelle, wie sie mir bis jetzt einsichtig sind.


Welten. Vorstellungen davon

Grundlegend ist: Ich finde mich in einer Welt vor. Welt und ich existieren. Das ist mein Ausgangspunkt, dahinter will ich nicht zurück (als Solipsist oder so). Und mein Wissenserwerb, mein Wissen können richtet sich an diesen beiden Seinsgebieten aus. Ich möchte keines von beiden vernachlässigen oder gar unterschlagen. Also mich nicht als Naturalist einzig auf eine reale Außenwelt konzentrieren und glauben, irgendwann werde ich in dieser Außenwelt auch auf mich stoßen. Als dem Ergebnis von objektiven Vorgängen in der äußeren Realität. Oder, im Gegenteil, dass ich diese Außenwelt als bloße mayahafte Projektion meines Selbst ansehe, die nicht weiter zu beachten wäre. Die am besten zum Verschwinden gebracht werden sollte. Mein Weltkonstrukt müsste beides gleichermaßen berücksichtigen. Und gleichzeitig beides in eins setzen. Denn es gibt nur eine Welt. Auch das ist eine grundlegende Überzeugung, von der ich ausgehe.
Die Außenwelt, das wäre das Universum. Wirklich das Universum? Früher war es die Welt unter dem Mond, die Erdenwirklichkeit unterhalb der Mondsphäre, was darüber hinaus war, wurde schon einer anderen Wirklichkeit zugeordnet. Dann war die Welt das Sonnensystem - die Planeten (einschließlich der Erde) umkreisten die Sonne, jenseits der Planetenbahnen gab es die Fixsterne, die wiederum etwas anderes waren (nicht bei Bruno). Wieder wurde die Welt erweitert, als die Milchstraße als Galaxie erkannt wurde, von der unser Sonnensystem nur ein winziger Bestandteil ist. Und weiter ging es mit der Ausweitung des nun schon gewaltigen Universums, als manche Sternenpunkte als ferne Galaxien bestimmt wurden, welche dann auch noch anfingen, sich von unserem Standpunk zu entfernen. Unendlichkeit öffnete sich. So also wird heute das Universum gedacht. Das All. Welches, der Definition nach, alles ist. Sein soll. Doch bei dieser Vorstellung ist es nicht geblieben. Nun spricht man von vielen Universen. Vom Multiversum.
Das ergibt sich aus verschiedenen theoretischen Überlegungen, welche von der Quantenphysik ausgehen und diese mit der Kosmologie in Übereinstimmung bringen wollen. Was bis jetzt nicht gelungen ist - jedoch führen alle bisherigen Lösungsversuche (Stringtheorien, Weltmodell nach Burkhard Heim, nach Everett etc.) zu mehr als nur vier Dimensionen und zur Möglichkeit von Parallelwelten. Deswegen: Multiversum. Enthaltend unzählige weitere Universen (allerdings gibt es inzwischen doch Zählungen der vielfältigen Welten: es sollen 10hoch500 mögliche Raumzeitgeometrien sein...).
Das Weltall ist also höchstwahrscheinlich unendlich (ein flaches Universum, in dem Parallelen sich nicht treffen, wie Euklid voraussetzte). Es gibt wahrscheinlich nicht nur unseres - ob unendlich viele oder nur sehr viele (oder ob überhaupt) ist jedoch umstritten. So zeigt sich unsere physikalische Welt. Und die Innenseite meiner phänomenalen Erfahrungswelt?


Giordano Bruno

Giordano Bruno, Sänger unendlicher Welten! Gib mir deinen Gedankenschwung, dein Mitgenommen werden durch den Geist, der die Welt durchweht, dein italienisches Renaissancepathos, in welchem das gesamte Universum umarmt wird. Galilei und Kepler waren konkreter, scheinbar realistischer, hatten mehr Wirkung auf die Nachfolgenden. Aber du sprachst von der Unendlichkeit - und die scheint uns jetzt näher an der Realität als das begrenzte Weltbild derer, die nach dir kamen.


Unendliches Bewusstsein

Mir war immer ein Ideal, dass ich mein beschränktes Bewusstsein ausweiten, vielleicht sogar überwinden könnte. Unendliches Bewusstsein. Engelsbewusstsein (so wie es von den mittelalterlichen Engelsexperten vorausgesetzt wird). Bei vielen eindrücklichen Out-of-body-Erfahrungen wird davon berichtet, dass unmittelbar und ohne jeden Zweifel jedes Wissen über alles zur Verfügung stand - zurückgekehrt war nur noch ein Schatten davon da, nur die Ahnung davon, wie es war, im Licht der Erkenntnis zu stehen. Der Satz von Paulus "Denn jetzt sehen wir alles wie in einem Spiegel, in einem dunklen Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht" hat mich oft beschäftigt.
Darüber nachdenkend, habe ich inzwischen jedoch einen anderen Standpunkt gefunden: Unser kümmerliches, beschränktes, nie seine Erfüllung erreichendes, zweidimensional-lineares (Gedankenfaden!) Bewusstsein ist so schlecht nicht für unsere Entwicklung. Es ist sogar die Voraussetzung dafür.
Wüssten wir alles und jedes, auf einen Schlag, gäbe es keinen Horizont mehr, dem wir zustreben möchten. Es wäre ja nicht notwendig. Und: es gäbe auch keinen Unterschied mehr zwischen den Individuen. Jeder hätte dasselbe Bewusstsein, da alle dieselben Kenntnisse und Einsichten hätten. Wir würden alle im Zustand der Vereinigung mit dem göttlichen Logos sein, unterschiedslos. Was uns voneinander trennt, sind die Differenzen in unserem Bewusstsein - und, damit verbunden, unsere unterschiedlichen Empfindungen, Reaktionen, Überzeugungen, Einstellungen, Haltungen etc. Jeder steht woanders, hat eine andere Perspektive. Das macht jeden einzigartig. Jeder realisiert einen anderen Ausschnitt, einen anderen Aspekt des Alles-was-ist. Und noch etwas: Wir wären nicht frei. Es gäbe ja keinen Irrtum, keine Täuschung über irgendetwas, also keine Notwendigkeit des Abwägens und des sich Entscheidens für einen von zwei zweifelhaften Pfaden, die sich auftun. Wer alles weiß, was ist, und alles voraussieht, wohin es geht, hat keinen Zweifel und keine Wahl. Denn sich bewusst für das Falsche zu entscheiden, bei vollem Überblick auf die Konsequenzen über alle Zeiten hin, wäre nur als Akt der Rebellion verständlich. Und auch das wäre ins große Ganze eingebunden und kein wirklich freier Akt. Also hängt unsere Individualität, unsere Entwicklung und unsere Freiheit mit unserer limitierten Einsicht in das Ganze zusammen, mit unserem eingeschränkten Bewusstsein.


Neugeschaffen

Man wird niemals an denselben Ort zurückkehren: Entweder hat sich der Ort verändert, ist - auf fast unmerkliche Weise vielleicht - zu einem anderen geworden, oder ich selbst habe mich verändert.
Man wird niemals dieselbe Situation wiedererleben: Meine Antrittsbedingungen werden andere sein als beim ersten Mal, auch meine Stimmung vielleicht, und so wird sich auch ein anderer Ausgang zeigen.
Es wird keine zwei gleichen Erkenntnisse geben: Einmal Erkanntes geht verloren, wird verzerrt, soll es dupliziert werden. Jede Erkenntnis gleicht einer einmaligen Situation, man betritt sie als einen veränderten, neu zu schaffenden Ort.
Wahrheit gleicht sich nicht. Wahrheit ist einmalig. Wahrheit ist ein Individuum. Sie muss jedes Mal aufs Neue formuliert werden, in eine frische Form gebracht werden. Erst dann ist sie wahr. Für diesen Augenblick.


Unterschied

Den Unterschied zwischen einer eingeschliffenen, leblosen und mechanisch generierten Phrase und einem pulsierenden, wärmenden Satz - mit einem Herzkern aus rubinrotem Leuchten - kann man unmittelbar erfühlen. Es ist der Unterschied zwischen einer Äußerung des bloßen Intellekts und der Sprache des verinnerlichten Denkens, welches Gefühlstöne in sich aufgenommen hat. Am Geschmack des Wassers erkennt man, aus welcher Quelle es fließt.


Maschinenwahrheit

Ich konnte nie verstehen, wieso Erkenntnis und Wissen in eine solche Form gebracht werden sollten - um Objektiv zu sein, sagt man - dass sie auch von einem Computerprogramm gelesen werden könnten. Formeln, Matrizen, logische Schemata - erst dann wäre ein nichtredundantes Verständnis einer Sache erreicht. Das Ideal ist die reduzierte, reine Aussage ohne Schnörkel und Zweideutigkeiten. Für den Bereich der formalen Logik mag das zutreffen. Aber warum diesen Bereich überdehnen? Warum kann eine Erkenntnis nicht auch in einer Gestalt erscheinen, die einem denkenden Wesen, einem menschlichen Leser Freude bereitet? Lust auf Erkenntnis macht? Wie für Maschinen Geschriebenes ist tot, gleich der unbelebten Maschine, die damit gefüttert wird. Intelligente Wesen mit Sinn für die Schönheit des Logos in allem, werden auch im Widersprüchlichen, Halbfertigen, flüchtig Geahnten die Wirklichkeit wiedererkennen. Und kann man mehr liefern? Nicht für Computer, für Engelsintelligenzen sollte man schreiben...


Abschiedsblick

Ich habe angefangen, mir einen Abschiedsblick anzugewöhnen. So, als ob ich alles zum letzten Mal sehen würde. Das ist eine gute Übung, um Wahrnehmung und Eindrücke zu intensivieren - Farben werden farbiger, Bäume bäumiger, Wolken sinnfälliger - Menschen charakteristischer und interessanter. Aber ist es nur eine Übung?


Kränkungen

Man spricht von dem Dämpfer, den der menschliche Eigendünkel habe hinnehmen müssen, als Kopernikus die Erde aus dem Mittelpunkt der Welt nahm und die Sonne an deren Stelle setzte. Die kopernikanische Kränkung. Freud nahm für sich in Anspruch, eine weitere solche Kränkung verübt zu haben: Die Einbildung des Ichbewusstseins, Herr im eigenen Haus zu sein, wurde von ihm als Illusion entlarvt. Warum aber sollten diese Erkenntnisse Kränkungen sein? Kränkend heißt krankmachend. Macht uns Erkenntnis krank? Und welche Art Erkenntnis wäre das?
Ich kenne zwei Arten von Vorstellungen über die Welt, welche krankmachend sind, das heißt, die Beziehung des individualisierten Bewusstseins zum Ganzen der Welt stören und damit psychisch verstören. Die eine Vorstellung ist die des Universums als eines mechanischen Kausalgeschehens, einer Weltmaschine, in der das Leben als solches und erst recht das eigene Leben nichtig ist, ein untergeordnetes, beiläufiges (fast nicht) Geschehen, unwichtig gegenüber den ungeheuren Dimensionen des sinnleeren Weltalls. Die zweite ist die, dass wir Gefangene unseres eigenen Kopfes sind, die Welt "draußen" nicht wirklich kennen können, da unsere Begriffe nicht zum "begreifen" taugen, bloß zum Konstruieren einer Welt nach unseren eigenen Vorstellungen. Descartes hat zum ersten Bild viel mehr beigetragen als Kopernikus (obwohl er eigentlich die Eigenständigkeit einer göttlich-geistigen Welt betonen wollte), Kant mehr zur Kränkung des Bewusstseins als Freud. Das hat Kleist so tief empfunden, dass er nicht mehr weiterleben konnte.
Dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist - geschenkt. Jeder erfährt das irgendwann, aber ebenso das Gegenteil: Das er fähig ist, eine bewusste Entscheidung zu treffen und eine darauf beruhende Handlung zu vollbringen. Dass wir mit unseren unbewussten Impulsen herumlaufen, dieses und jenes tun und uns zu allem möglichen verleiten lassen, ist nichts Neues, in der Antike wurde dies dem Walten von Göttern zugeschrieben. Dass wir aber prinzipiell nicht wissen können, wie die wahre Wirklichkeit "ist", schadet unserem Verhältnis zu dem, was wir als Wirklichkeit suchen. Ist damit kränkend, krankmachend. Und steht in einem gewissen Widerspruch zu der anderen Kränkung, der Vorstellung des sinnleeren, öden Weltalls. Hier scheinen wir ja bestimmt zu wissen, wie die Welt "ist": Nämlich auch ohne uns genauso vor sich hintreibend. Diese Welt braucht uns nicht.
Frage also: Wie mit diesen beiden fundamentalen Kränkungen umgehen? Akzeptieren? Verleugnen? Eine Lösung, einen Ausweg suchen? Ich möchte auf den Spuren Schellings (und R. Steiners und jüngst M. Gabriels) beides angehen, den diese Fragen hängen zusammen und so auch deren Auflösung. Angelegt schon bei Giordano Bruno und später, wie gesagt, Friedrich Schelling.


Das Meer der Möglichkeiten

Das Meer der Möglichkeiten, dieser unermessliche Ozean, liegt in mir. Dort kann ich sein Ufer betreten. Es ist nicht meines, ist nicht mein Eigentum - in dem Sinne: mein Kopf, meine Gedanken, meine Privatansicht - ist mir aber eigen. Oder sollte man besser umgekehrt sagen, ich bin in ihm, bin Teil des Meeres, ebenso wie ich Anteil an ihm habe? Mehr als ich Anteil an ihm habe? Das Meer der Möglichkeiten erscheint in mir, wäre genauer formuliert. Alles, was ich um mich sehe - taste, rieche, schmecke, höre - ist doch geronnene Möglichkeit, ist nicht mehr Möglichkeit, sondern Faktum. Eindeutig und einzig. Nicht mehr vieldeutig und unendlich. Aber mein Bewusstsein ist der Ort, an dem sich Vieldeutigkeiten entfalten können. Optionen, Verzweigungen, Überlagerungen von Geschichten um Geschichten - dort entrealisiert sich Festgelegtes.
Der Ozean der Möglichkeiten brandet in mir, ich stehe an seinem Ufer, bin sein Ufer. Das feste Land hinter mir ist die kollabierte Vielerleiwelt, die sich für das Eine entschieden hat und damit die Unendlichkeit des Anderen ausschließt. In meinem Bewusstsein kann diese Unendlichkeit wieder auftauchen.
Doch was ist realer, im Sinne von wirklich, die so-und-nicht-anders gewordene Realität oder die Wirkungssphäre des Virtuellen, aus der alles kommt?


Umkehrung der Perspektive

Gerade umgekehrt wird ein Schuh draus - nicht im Bewusstsein wird die verfestigte, kolloidale Wirklichkeit wieder aufgetaut, verflüssigt - im Bewusstsein wird die Wirklichkeit des Ozeans der Möglichkeiten auf eine einzige Realität zusammengezogen. Ausschnitt, Filter, Zensur - unser Bewusstsein ist die Reduktion dessen, was ist, dessen, was sein könnte. Und die Quantentheorie sagt (wenn ich es recht verstehe), dass erst durch einen Akt der Beobachtung, der Registrierung durch ein Bewusstsein, aus einer Vielzahl - Unzahl - von Wahrscheinlichkeiten eine eindeutige Tatsache entsteht. Die Wahrscheinlichkeitswelle kollabiert zu einer bestimmten Bahn, einem festgelegten Spin, einem registrierten Elementarteilchen. Man kann eben nicht sagen, dass man vorher nur nicht wusste, wo sich dieses Teilchen aufgehalten hatte (was seine Geschwindigkeit, was sein Ort war) und nun weiß man es, denn es war buchstäblich überall und nirgends - virtuell als Möglichkeit unterwegs - bis es eingefangen wurde. Also ist die Realität durch Bewusstsein - in einem Bewusstsein - erst Realität. In unserem eigenen Bewusstsein allein? Führt dieser Gedankengang nicht hin zu einem umfassenderen Bewusstsein, wenn wir in einer uns umfassenden Realität existieren, nicht nur in einer monadisch-selbstbezogenen?


Kein Gerüst mehr

Ich bin ein metaphysischer Schisser. Ich habe Angst vor dem unkontrollierten Einbruch metaphysischer Welten. Welten jenseits der Erfahrung gewohnter Realität. Ich meine nicht metaphysische Konzepte, Gedankenexperimente oder Theoriegebäude. Sondern nicht einzuordnende Wahrnehmungen und Erfahrungen. Unerklärliches. Diese knappern an meiner Insel der Realität. Deswegen eigne ich mich nicht besonders für Drogenexperimente. Oder für Klarträume. Ich will den Halt an einem mühsam gewonnenen Wirklichkeitsgerüst nicht verlieren. Die Ausrichtung an einer Wahrheit, welche für alle "normalen" Zeitgenossen gilt, nicht aufgeben.
Dabei weiß ich doch, dass diese "Wahrheit/Realität/Wirklichkeit" nichts anderes ist als das Ergebnis meiner Konditionierung durch die "normale" Gehirnwäsche. Ich hab's ja doch irgendwie mitbekommen, wie das passiert ist, war ja dabei. Und meine Zuneigung zur Anthroposophie (abgesehen von ihr als meiner Familienüberlieferung) beruht zum nicht geringen Teil darauf, dass die Realität, die in ihr geschildert wird, eine alternative, ganz andere ist als die rationale Mainstreamerzählung von der Welt. Alternativen haben mich schon immer interessiert. Geschuldet wahrscheinlich der Unmöglichkeit, mit der normalen - sprich rational-materialistisch-reduktionistisch ausgerichteten - Sicht auf die Dinge glücklich zu werden. Mir fehlt dabei etwas. Meinen Zustand könnte man ein Gefühl des Mangels nennen. Verursacht durch Mangelernährung. Denn auch der Geist will das Seine bekommen. Wenn nicht, geht er ein. Wie jedes lebendige Wesen.
Und doch: die Freiheit, die dadurch möglich wird, dass man Erzählungen, Visionen, Traumwelten genauso für wahrhaftig hält wie das von den Hardcorenaturwissenschaftlern geschilderte Universum, macht mir in gewisser Weise auch Angst. Kann es denn sein, dass jede Beschreibung den gleichen ontologischen Rang besitzt wie die anderen, mit ihr rivalisierenden Erzählungen? Und wenn nicht, welche Autorität sollte mir sagen können, welche Welterklärung ich vorzuziehen habe? Die Autorität des materialistischen Weltbildes will ich ja nicht anerkennen. Die Autorität einer theosophischen Weltsicht etwa? Oder soll ich dem durch Steiner zur Anthroposophie modifizierten, gleichwohl theosophischen Bild der Welt folgen? Was fang ich mit den gechannelten Botschaften von fernen Sternen an, oder mit einem Universum, in dem die Anunnaki uns beherrschen? Wie kann ich die Weltsicht der Neoschamanen einordnen? Und: einordnen in was? Eigentlich kann ich nur feststellen, dass wohl jeder, der einen eigenständigen Standpunkt vertritt - fundiert auf einer individuellen Eigenerfahrung, gefunden auf einem eigensten Weg - ein Bild malt, welches sich von dem anderer unterscheidet, manchmal sehr weitgehend. Gibt es also keine übereinstimmende, miteinander teilbare Wirklichkeit? Und wenn das so wäre: Was wäre daran zum Verzweifeln? Ich kann mich natürlich an andere anlehnen wollen, aber die Aufgabe, mir meine eigenen Gedanken zu machen, die bleibt.


Propheten/Prophezeiungen

Je nach Standpunkt ist es interessant, deprimierend oder Anlass zum darüber lächeln, liest man vorübergegangene Prophezeiungen, nach ihrem vorhergesagten Datum. Als erstes könnte man für sich daraus folgern, nie eine Vorhersage zu machen, die noch zur eigenen Lebenszeit Erfüllung finden soll. Diesen Frust kann man sich ersparen. Als zweites vielleicht, es so gewieft wie Nostradamus zu machen, in dessen Texte man jede Interpretation, wenn auch nur rückwirkend, hineinlegen kann, so dass auf jeden Fall eintrifft, was dort geschrieben stehen mag.
Was ich mich frage: Wie gehen die Propheten mit ihrer unerfüllten Prophezeiung um? Sagen sie sich: Ich habe mich geirrt? Oder sagen sie: Die Prophezeiung war richtig, das Datum war falsch? Oder: die Aussage war als Metapher gedacht, war symbolisch gemeint, betraf keinen äußeren Vorgang… ?
Was ist mit all den Vorhersagen zum Mayakalender (21.12.2012) - ein neues planetarisches Zeitalter, die Neuerschaffung der Welt, spiritueller Übergang und/oder Untergang durch einen Kometen, Erdbeben, Flutwelle usw. - haben diejenigen, die mit ihren Veröffentlichungen darüber ihr Geld gemacht haben, unbelastet ein neues Thema gefunden, mit dem sie heute unterwegs sind? In genau demselben Ton der Überzeugung und Sicherheit?
Manchmal allerdings spiele ich mit dem Gedanken, was wäre, wenn dieser Weltuntergang, dieser spirituelle Übergang zum vorgesagten Zeitpunkt doch stattgefunden hat? In einer Welt allerdings, die diejenige der überzeugten Vorverkünder ist. Also nicht in meiner, der ich ein Skeptiker bin. Die Autoren leben nun in einer Welt, die sich von unserer abgespalten hat. Zum besagten Zeitpunkt. Das wäre doch schön für diese Autoren: recht gehabt zu haben.


Resonanz

Meine Welt ist auf Resonanz aufgebaut. Davon bin ich überzeugt. Alles, was in mir ein Mitschwingen, ein Mitgehen anregt, dringt zu mir durch. Ich bin von daher offen dafür. Bemerke es. Anderes werde ich wohl übersehen, es sei denn, es fällt mir schmerzhaft auf die Zehen oder ich stolpere darüber. Was für eine Erleuchtung ist es deshalb, wenn sich mein Wahrnehmungsfeld in einer Resonanzakkumulation ins Große weitet. Plötzlich stehen Türen offen, welche zuvor nicht beachtet wurden, obwohl schon immer vorhanden gewesen.
Beim Lernen einer fremden Sprache findet ähnliches statt. Der Anfang ist mühsam und stockend. Irgendwann aber dann die Überraschung: Wie selbstverständlich macht ein vorher bloßes Geräusch plötzlich Sinn! So kamen wir ja auch zum Lesenkönnen und, ganz früh, zum Verstehen der Muttersprache. Wobei die Korrespondenz wahrscheinlich nicht daher rührt, dass zum Laut der Sinn dazukommt, sondern eher so, dass mit dem Sinn der Laut verbunden wird. Wie auch immer. Und von diesem Initiationspunkt aus entwickelt sich durch sich fortpflanzende Resonanz ein immer erweitertes Gebiet des Verstehens und Sinnmachens. Ähnliches lagert sich an Ähnliches an, ein Dominoeffekt - nicht im üblichen Sprachgebrauch, sondern, wie man eben Dominosteine legt. Ist es also nicht so, dass ich mich durch die Erweiterung und Vertiefung meines Weltverständnisses darauf vorbereite, dass sich mir das Verständnis der Welt in Resonanz mit der Welt eröffnet?


Verirrt

Im Traum habe ich den Weg zurück gesucht, dorthin, wo ich die anderen verlassen habe. Um mich kurz umzusehen. Jetzt aber möchte ich ihnen von den wunderbaren Dingen erzählen, die ich entdeckt habe und finde nicht zurück. Fahrten und Wege bringen mich immer nur an neue Interessante Orte, nicht aber zurück. Nur weiter weg von den anderen. Tiefer und tiefer steige ich in ein verlockendes Labyrinth, aber die Richtung habe ich verloren. Und enger wird's auch. Und fremder.
Aufgewacht geht mir dieses Gefühl der Verlorenheit nach: Ist nicht hier die Fremde, in der ich gestrandet bin?


Gespräch. Am Lagerfeuer

Nach der Jagd kommt das Eigentliche: Das Gespräch am Lagerfeuer. Die Jagd ist für den Magen, ist für das Überleben. Die Jagderzählung ist für die Seele, für das Leben. Das hat sich bis heute erhalten. Wir wollen nicht nur unsere Erfahrungen machen, wir wollen auch darüber reden. Wir wollen nicht nur für uns ein Wissen erwerben, Reife erlangen, Abenteuer erleben, Prüfungen und Schmerzen ertragen: Wir wollen darüber berichten können. Indem wir uns mitteilen, darüber in Resonanz mit den anderen treten, wird das Erfahrene erst wirklich. Wird es zu etwas Wertvollem. Die Achtung in den Augen der anderen zeigt mir meinen Wert - gibt mir das Gefühl, es habe sich gelohnt. Anstrengung, Mühe, Kampf - wozu das Ganze, wenn nicht Gefährten mit leuchtenden Augen der Geschichte hingerissen lauschen. Ach ja, die Fabeleien, Münchhausiaden, Hochstapeleien kommen auch von daher…
Doch da habe ich vielleicht zu sehr das Negative betont: Was dahintersteht, ist einfach der Drang, sich mitzuteilen. Das Eigene mit den anderen zu teilen. So urmenschlich wie das gemeinsame Lagern am Feuer.


Gewächshaus

Ich denke, wir leben in einem Schon- und Freiheitsraum. So unser Zustand. Das Gehirn dämpft und bremst alle Eindrücke, alle Informationen auf ein Erträgliches ab. Dadurch kann sich ein fragiles Persönliches entwickeln. Kann ein Ich von uns zusammengehalten werden. Und in diesem Schonraum, den das Pflänzlein zu seiner Entwicklung braucht, ist Freiheit möglich: Keine unbedingte, unausweichliche Notwendigkeit und Eindeutigkeit zwingt uns ihr Gesetz auf. Der blasse Schimmer der ursprünglichen Fülle - nach der sich das abgetrennte, alleingelassene Individuum sehnt - gibt ihm, gerade wegen seines nur Abglanzcharakters, eine Richtung vor, stößt ihn aber nicht dorthin. Freiheit. So würde ich unser Dasein sehen: Nicht im Vollbesitz der Information über das Ganze, welches uns sprengen würde, doch eingebunden in das Ganze, niemals herausgefallen. Die Trennung ist eine Illusion. Aber eine beim jetzigen Stand der Evolution wohl notwendige.


Uranfang. Bewusstsein

Im Uranfang war alles enthalten. Ist alles enthalten. Den der Uranfang gründet im Jenseits der Zeit, ist also immer noch Gegenwart (ebenso wie Vergangenheit und Zukunft). Was verwirren könnte.
Potentiell war im Uranfang alles enthalten. Der Möglichkeit nach. Denn, wenn nicht, gäbe es dasjenige nicht, was später als Realisiertes auftreten konnte. Die Bedingung für die Existenz von jedwedem was ist muss schon von Anfang an da gewesen sein. Die Bedingung der Bedingung der Bedingung. Denn selbstverständlich entsteht alles in der Natur evolutionär, entwickelt sich nacheinander, auseinander, aufeinander aufbauend. So kann man zum Beispiel feststellen, dass es heute Lebewesen gibt, die über eine dafür geeignete biologische Ausstattung verfügen, um Bewusstsein zu haben. Menschen. Diese Wesen gab es noch nicht im Kambrium. Aber gab es deswegen im Kambrium kein Bewusstsein? Menschliches, so wie heute, gewiss nicht. Aber der Potenzialität nach: Es gab Lebewesen, welche die Möglichkeit in sich trugen, dass sich das Leben in Richtung Landtiere, Warmblütler, Säugetiere, Hominiden etc. entwickeln konnte. Potenzielles Bewusstsein, auf organischer Basis. Was allein noch nicht sicher macht, dass sich die Entwicklung nur so, nicht auch ganz anders hätte abspielen können. Bewusstsein wäre dennoch möglich gewesen, weil im Urbeginn schon potenziell mitenthalten. Und daher wird es wahrscheinlich auch Planeten geben, auf denen sich Leben entwickelt hat (auch etwas, was potentiell schon im angenommenen "Big Bang" mitenthalten sein musste), welches Bewusstseinsfähig ist, einfach deswegen, weil die Existenz von Bewusstsein zum Ganzen des Universums gehört. Wofür wir Menschen der Beweis sind.


Der Teil und das Ganze

Denke vom Ganzen her. Das ist ein Standpunkt, der alles einschließt, alles umfasst, also nicht falsch sein kann. Doch leichter gesagt als getan. Unmöglich getan. Wir sind schlicht unfähig, das große Ganze zu erfassen, sehen immer nur Ausschnitte - sagt man. Wenn aber die Wirklichkeit einen holografischen Charakter hätte - wenn nämlich in jedem Teilstück das Ganze mitenthalten, widergespiegelt, abgebildet wäre - dann könnten wir auch im Einzelnen das Ganze bedenken. Könnten uns zur Erkenntnis des großen Zusammenhangs aufschwingen, ohne den großen Zusammenhang im Detail nachvollziehen zu müssen, was uns überfordern würde. Theoretische Spekulation? Nein, Fähigkeit zur intuitiven Zusammenschau. Manchmal bei manchen Menschen vorhanden, deswegen nicht abzustreiten - nur schwer zu erreichen.


Freiheit

Freiheit ist eine schwere Last, die man sich nicht allzu eifrig aufbürdet. Frei sein heißt, keinen Boden unter den Füßen zu haben. Heißt, nichts zu haben, was einen zieht, was einen schiebt, was einem die Richtung vorgibt, mit sanftem Zwang dirigiert. Und dadurch unterstützt, hebt, hält, geborgen einschließt. Frei sein heißt auch, keinen Sinn zu haben, der sich von außen selbstverständlich aufdrängt. Das muss erst einmal ausgehalten werden.
Freiheit kann nur dort sein, wo man alles abgeschüttelt hat, was Bindung ist: Eingebunden sein, Verbindung, Beziehung, Gewöhnung an etwas, Regel, Sicherheitsleine. Freiheit erschreckt daher als Horror vakui - als Stehen vor dem Nichts. Als Stehen im Nichts. Das muss ausgehalten werden, so haltlos zu sein. Ich rede zwar von der mentalen Freiheit und Befreiung, doch trifft dies auf alle Lebensbereiche zu.
Und was schützt einen vor dem Zusammenbruch in Freiheit? Woher die Stärke, diesen Zustand zu halten, zu beherrschen, in ihm frei zu schweben? Woher auch die Sehnsucht danach? Denn es gibt eine Sehnsucht nach Befreiung. Danach, sich hin zur Freiheit zu entwickeln.
Ich glaube, es ist unser Möglichkeits-Selbst, welches sich jenseits des aktuellen Selbst realisieren will. Im Durchgang durch den Nullpunkt der Freiheit. Dieses mögliche Selbst will selbsterschaffen werden. Aber es steht unter dem Damoklesschwert des katastrophalen Zusammenbruchs des alten Selbst, welches sich verzweifelt gegen seine Auflösung wehrt.


Erzählungen

Erzählen ist das Leben. Was nicht erzählt wurde, was sich nicht zum Erzählen eignet, war nicht, weil nichtig. Und so hat jeder seine Lebenserzählung. Oft vorgetragen, oft korrigiert, geglättet, ergänzt. Es soll sich runden. Das Gesamtbild, die große Überschau ist das Ziel, das wirkende Telos. In diesem Lebenstableau wird gewertet, wird gerichtet. Es ist nicht immer nur das Positive, was in die Erzählung einfließt, das Schmeichelhafte, Geschönte. Darum geht es nicht, Realität kann ausgehalten werden, Wahrhaftigkeit ist ein Wert. Aber es soll Sinn machen, nicht zufällig sein, nicht nutzlos, belanglos, kontingent. Die Lebensreise soll Stationen haben, aufeinander Aufbauendes, Errungenschaften, Auflösungen. Die Lebensreise soll eine durchgängige, in der Überschau erkennbare Struktur haben - eine erzählbare eben - eine, mit der man einverstanden sein kann. Am Ende einverstanden und damit versöhnt. Ist hier der Wunsch Vater des Gedankens? Oder liegt eine tiefere, unbewusste Wahrheit dem zugrunde?


Schreiben: woher die Worte?

Die Vergegenwärtigung von etwas Vergangenem, das innerliche Wiederauferstehen lassen von etwas schon beinahe Untergegangenem, bringt mit diesem auch die Worte mit, die das Vergessene, Abgetauchte in einer anderen als nur aufzählenden Weise zu beschreiben vermögen. Das Imaginieren längst verblasster Bilder verhilft zu einer imaginativen Sprache. Die bildgesättigte Sprache schafft ein leuchtkräftigeres Bild. So schulden wir das Schreiben der Erinnerung.
Schreiben ist Erinnerungsarbeit, ist werkeln am Gedächtnis - auch wenn wir etwas beschreiben, was in diesem Augenblick vor uns liegt. Die Worte, mit denen wir das vor unseren Augen liegende, das unserem Blick sich Offenbarende zu beschreiben versuchen, sind erinnerungsassoziativ verbunden mit anderen Augenblicken, anderen Blicken, anderen Augen - vielleicht unseren eigenen, zu einer anderen Zeit - und führen uns dorthin. Im Schreiben versuchen wir etwas zu beschwören, was uns wichtig gewesen war, uns beeindruckt hat, zu seiner Zeit, und was wir nun durch das Schreiben wiedererstehen lassen können - verwandelt, anverwandelt, aber gegründet in dem Glücksblick damals.
Wo ist der Klang, der Duft, das Bild hin verschwunden, wenn nicht in dem gesammelt, was als geschriebenes Wort erinnerungsmächtig alles wieder aufrufen kann? Das ist die Magie des Schreibens: Es kann Dinge beschwören, die ihre Existenz nur unserer Erinnerung verdanken, der verwandelten Erinnerung. Nur unserer Erinnerung? Denn es gibt eine Art Erinnerung auch an nie Gewesenes, oder an noch nicht Eingetroffenes, oder an Imaginäres. Aber am deutlichsten, ausgeprägtesten tritt es doch als Bild der realen Erinnerung an ein Damals auf, welches gerufen werden möchte, um wieder aufzuerstehen.


Wortwand

Manchmal bekomme ich einen Anstoß von außen: durch das, was irgendjemand sagt, durch eine Stelle in einem Buch, durch einen Gedanken, der im Rhythmus, in den Bildern eines Gedichtes eingeschlossen ist, gut eingepackt und verschnürt, und von mir, wie ein Geschenk, ausgepackt werden will. Ein besonders Wort, eine tiefere Einsicht, ein innigeres Verbunden sein mit dem Geoffenbarten. Worte können Öffner sein.
Dann steht ein Bild vor mir, oder die Ahnung eines Bildes. Eine Einsicht, oder die Ahnung davon. Ich fühle mich über eine vage Erinnerung angeschlossen an etwas Ursprüngliches, Umfassendes, jedoch Verdrängt-Vergessenes. An etwas, was urvertraut ist und doch nur noch als Hintergrund - oder auch Malgrund - fast nicht mehr vorhanden.
Es kommt mir dabei vor, als ob alles, was ich je nachgedacht und gelesen habe, wie ein fortlaufender Text war, den ich über eine ursprüngliche, dahingetuschte Farbskizze unaufhörlich geschrieben habe und der allmählich den anfänglichen Eindruck mit seinem Kommentar überdeckt hat. Der Text überschrieb im Weiteren sich selbst, Worte verdrängten Worte, Sätze verschwanden hinter Sätze und wo ist das lichte, leichte Augenblicksbild geblieben, das ich doch am Anfang erblickt hatte? Nur noch eine Wand, ein verdichteter Schriftsatz, hinter dessen wenigen Leerstellen etwas Weißes und Farbiges aufschimmert ist da. Manchmal, aufblitzend, kommt dann doch etwas wie eine Erinnerung an das ursprüngliche Bild auf, aber der Versuch, es zu fassen, zu fokussieren, bringt die dichte Textwand wieder hervor.
Daran merke ich, wie ich die meiste Zeit durch andere, klischeegestanzten Worte und Begriffe zugestellt worden bin, wie sich mir der freie Blick auf die Dinge durch Gewohnheit, Vernebelung, vielleicht sogar Irreführung verengt hat. Eine Wand aus Wörtern steht vor mir. Umgibt mich. Es gibt nur sie, keine Wirklichkeit. Denn ich denke nicht - ich lasse mich durch die automatische Selbstproduktion von Worten dazu verleiten, die Dinge mit ihnen zu überkleben, sie wie mit einem endlosen Papierband einzuwickeln. Ich sehe nicht - ich lese nur Worte von dem Papierband ab, ebenso automatisch wie ich diese Worte auf die Dinge geklebt habe. Ich bin nicht bewusst, ich reagiere nur auf die Stichworte, die mir mein Sensor anzeigt, werde durch Signale getriggert... Aber dann, wie gesagt, ein plötzliches Aufwachen: die Welt ist tief. Ist reich. Ist erfüllt von Sinn. Liegt ausgebreitet vor mir.


Schattenwurf

In den humanistischen Psychotherapien ist der Mensch ein Entwurf, der sich selbst realisiert, selbst aktualisiert. Er wirft seinen Schattenriss auf das Gegebene und füllt ihn aus mit wachsendem Leben, das er selbst ist. Wo aber, was aber ist die Lichtquelle, welche das zukünftige Eigenwesen als Schattenumriss ins Möglichkeitsuniversum wirft? Um im Bild zu bleiben: Das Licht, das den Schatten wirft, muss hinter dem Schattenwerfenden sein, damit dieses etwas projiziert…
Um aus dem Bild zu gehen, denn es ist zu irreführend festlegend, sollte man die Frage besser so stellen: Was bestimmt den Möglichkeitsraum, den der einzelne bei seiner Selbstrealisation hat? Der Ausgangspunkt? Oder gar der Endpunkt? Vom Endpunkt aus gesehen hat sich der Möglichkeitsraum erschöpft, ist er verbraucht oder auch erfüllt, hat er sich in das Realisierte zusammengezogen. Realisation gleich das Ganze, künftige Möglichkeiten gleich null. Vom individuellen Startpunkt aus ist das schon Realisierte minimal (kommt allerdings darauf an, wo man den Startpunkt legt: bei Adam und Eva?), das potentiell Mögliche erstreckt sich in alle Richtungen, umgibt den Ausgangspunkt als Sphäre. Und was begrenzt, formt, richtet diese Sphäre aus, denn sie ist nicht grenzenlos, umfasst nicht alle Möglichkeiten, die es gibt, was also legt deren Gestalt fest?


Ereignisse, einschneidend

Es gibt Lebensereignisse. Die fahren dazwischen, fällen aus, schneiden ein. Zerstören oder begünstigen. Die richten das Feld der offenen Möglichkeiten, stutzen es zurecht, versperren Wege in ihm oder eröffnen andere, neue. Und was haben diese Ereignisse mit mir selbst zu tun? Das ist die große, aber bange Frage. Gerichtet an das eigene Leben. Zeigt sich, wenn am Ende abgerechnet wird, dass diese Ereignisse zu mir gehörten, unabweislich, selbstverschuldet oder selbstzugewiesen, oder stehe ich einer Welt gesponnen aus Zufall gegenüber? Ich würde es schon gerne haben, wenn ich mir selbst Sinn machen würde. Aber darf ich diesen Sinn in das Bild hineinlegen? Ohne mich selbst zu betrügen?


Rahmen

Es ist der Rahmen, der die Ereignisse erklärbar macht. Er bestimmt das, was Thomas S. Kuhn Paradigmen nennt: Wie die Dinge, die Sachverhalte selbstverständlich oder sich selbst erklärend gesehen werden. Worüber man nicht sprechen muss, da es jeder voraussetzt. Der Rahmen, in den ich gesetzt bin - den die wenigsten setzen ihren Rahmen selbst - gibt mir die Worte, die Vorstellungen vor, mit denen ich mir die Welt erkläre. Aus dem Rahmen entkomme ich nicht: Ich kann ihn nur wechseln, ausweiten, einen größeren um einen engeren legen und so den ursprünglichen verlassen. In der Psychotherapie geschieht dies: Rahmenwechsel, Perspektivwechsel. Das gehört zum Wachsen, Reifer werden, sich entwickeln. Aber auch Gesellschaften wechseln ihre Rahmen. Und Zeiten sowieso.
Wie ich also auf ein Lebensereignis sehe, hängt von meinem Rahmen ab. Lebe ich in einer Welt der blinden Zufälle, dann bewerte ich ein Ereignis anders, als wenn ich in einer Welt des Zugeschickten lebe. Die Fragezeichen freilich tauchen in jedem Rahmen auf: Die durch ihn gegebenen Antwortmöglichkeiten geben von allein noch keine Antwort.


Himmel

Die Entvölkerung der Himmel - befreit von Zwischenwesen wie niedere Götter, Daimonen, Elementargeister - um ohne Vermittlung sich direkt an das höchste Wesen wenden zu können, ist ein Schritt zur Abschaffung der Himmel selbst gewesen. Was blieb war eine Zweiheit: die Welt der Sinne und das eine geistige Wesen, Gott. Aber Gott war ein Abstraktum geworden, jenseits aller Anschaulichkeit, das Prinzip des Geistigen an sich. Auch wenn er für einige zum intimsten Gesprächspartner werden konnte, das Du, welches im eigenen Inneren sich offenbarte, verblasste er für die meisten zum bloßen Wort. Und war am Ende dieses Prozesses überflüssig, die Sinneswelt tat es auch, ohne dass man den Geist dazunehmen musste.


Himmel 2

Wenn ich die Rede von einer geistigen Dimension ernst nehme, nicht nur von einer abstrakten Geistigkeit spreche, einem mentalen Irgendwiebereich, dann muss ich auch von einer Struktur dieser Dimension - oder vielmehr Dimensionen - ausgehen. Und das Prinzip "Wie Oben, so Unten" bedeutet doch: Hier unten ist alles vielfältig gegliedert, gibt es Entwicklung, Auseinandersetzung, individuelle Wesen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Haltungen, Antriebe - sollte dies dann nicht auch für "Oben" gelten? Die abgeschafften Himmel geben das freilich nicht her. Aber neu erschlossene?


Im Boot

Wenn es um die Fahrt über unbekannte, tiefe Gewässer geht, ist es gut, wenn man sich einem größeren Boot anvertrauen kann. Als Metapher gesagt. Das Boot zimmert man sich nicht selbst, es wird von vielen Händen gefertigt, oder von einem erfahrenen, geübten Schiffsbauer, von dessen Sachverstand und Geschick man überzeugt ist. Aber man sitzt im selben Boot wie viele andere, deren Schicksal man teilt ist, auf derselben Route unterwegs, gebunden an das Schiff. Sicherheit, Geborgenheit, Unterstützung auf der einen Seite, Gebundenheit andrerseits. Will man diese Einschränkung der Freiheit nicht, bleibt nur das Schwimmen - (in meiner Metapher gibt es keine selbstgebauten Einmannboote). Das Schwimmen freilich erscheint gefährlich. Nur aus eigener Kraft sich über Wasser zu halten und sich weder in der Meeresöde zu verirren noch unterzugehen, das kann nicht jeder. Dieses größere Wagnis ist jedoch der Preis der Freiheit.
Um aus dem Bild in einen allgemeinen Gedanken zu wechseln: Traditionelle Glaubenssysteme haben den Vorteil, dass diese gesichert scheinen. Sie sind verbürgt, durch Bürgen aller Zeiten, je länger schon, desto mehr. Der Selbstschwimmer aber kann neue Ufer erreichen, bisher unbekannte Inseln entdecken, oder als Taucher vielleicht die Tiefen des Meeres erkunden - wer weiß, vielleicht entpuppt er sich sogar als amphibisches Wesen oder Fisch. Ich war immer mehr dafür, selbst zu schwimmen. Oder, jetzt modifiziere ich doch noch das Bild, sich selbst einen Einbaum zu bauen und ins Unbekannte zu fahren.


Sinnwort

Bekannte Frage: nehmen Worte - Gedanken, Vorstellungen - mir etwas weg, versperren mir den Blick auf etwas, was ich sonst sehen würde, sehen könnte? Oder führen sie, im Gegenteil, meinen Blick dorthin, wo ich sonst blind wäre, keine Augen dafür hätte? Hatte ich ja behauptet: Ich sehe das Phänomen, das rein Erscheinende nicht mehr, wenn sich sofort ein Begriff dafür einstellt. Und zwar ein bekannter, geläufiger Begriff, der mich zum achselzuckenden Wegschauen bringt: Ach so, daaas ist es… Wie aber, wenn ich bei der Verfertigung des Begriffes dabei wäre? Bewusstseinsmäßig dabei - etwa, wenn ich erleben würde, wie aus dem Bild eines schon nachtdunklen Himmels und einer sich davor abzeichnenden schattenhaften Silhouette, mit ausladenden, von mir blickmäßig nachgefahrenen Verzweigungen, sprunghaft der Begriff "Baum" sich aufdrängt? Nicht, als ob ich noch nie einen Baum gesehen hätte. Habe ich, schon viele Male. Aber so, wie wenn ich zum ersten Mal einen Baum sehen würde. Einen "Baum" - ooh…
Und was bewirkt dieses Wort "Baum"? Das Bild macht plötzlich Sinn. Und eine Kaskade von Sinn und von Worten schließt sich daran an. Ich kann vom Bild fortbeamen, in weite Sinnräume, assoziativ auf dieser Baumleiter in die entferntesten und höchstgelegensten Ebenen klettern, oder mich dicht an das Sujet halten, bei Ästen, Zweigen, Borke, Rinde, Astloch und meinetwegen Eichhörnchen bleiben. Alles Worte, alles Begriffe, ein ganzes Netzwerk davon. Wie aber hängt dieses Netzwerk der Begriffe mit meinem Augenbild zusammen? Oder dem Tasteindruck, der Geruchsempfindung usw.? Es gibt dem Eindruck Sinn - oder führt darüber hinaus, je nachdem, wie diszipliniert ich bei der Sache bleibe oder bleiben will. Führen Begriffe also vom unmittelbar Gegebenen fort? In ein eigenes Reich, unabhängig von dem Vorgefundenen? Das ist die Frage, um die es geht.


Kontakt

Es gibt eine Theorie, dass unsere Sinne uns die Wirklichkeit "vermitteln". Sie stehen gewissermaßen zwischen uns und einer unbekannten Realität. Oder schieben sich zwischen uns und der auf diese Weise nie objektiv erfahrbaren Realität. Vermittlungstheorien trennen subjektive Innenwelt von objektiver Außenwelt ab, so braucht es zwischen beiden ein Vermittelndes. Man gesteht den Sinneseindrücken zu, dass sie uns irgendwie Nachrichten aus einem Außenuniversum vorbringen, was wir aber daraus machen, ist unsere eigene Sache. Wir fügen alle Informationen in unseren Bestand an schon angelegten Begriffen ein und sind auf diese Weise autistisch auf unser eigenes kleines Gehirnhinterstübchen beschränkt, obwohl wir doch glauben, in der großen weiten Welt unterwegs zu sein.
Kontakttheorien des Bewusstseins dagegen postulieren einen direkten Kontakt mit der Wirklichkeit. Wir sind dort, in der Wirklichkeit, wenn wir mit ihr in Kontakt stehen. Und Kontakt kann alles sein: Berührung, Duft, Blick, Laut, Wort, Gedicht, Mathematik, Philosophie, Vision, Eingebung. Es gibt uns, wir sind uns selbst wirklich, und es gibt eine Wirklichkeit, die wir nicht selbst sind, mit der wir aber in direkten Kontakt treten können. Kein Vermittelndes schiebt sich als Trug- oder Nichttrugbild zwischen uns und unsere Realität. Was aber auch bedeutet, dass die Realität so viele Aspekte hat, wie es Zugänge zu ihr gibt, über die wir mit ihr in Kontakt treten können. Die Sinne sind nur ein spezieller Zugang - es gibt viele andere noch. Begriffe sind ebenso ein Zugang, und auch sie beruhen auf Kontakt. Mit welcher Art von Wirklichkeit?


Kontakt II

Der direkte Kontakt mit der Wirklichkeit bestätigt sich selbst. Seine Evidenz begründet sich durch sich selbst. Solche Art von Kontakt ist eine Singularität, als Ereignis einmalig (und doch als Typus wiederholbar). Aber dieses unmittelbar erlebte Ereignis findet immer in einem Rahmen statt. Ereignet sich in einer gegebenen, vorgebildeten Erfahrungsstruktur. So dass wir die unmittelbare Erfahrung haben und ihre Interpretation durch die Struktur des vorgegebenen, angehäuften Wissens von der Welt. Unserer Brille sozusagen, mit der wir auf das Neue schauen. Oder auch der Erzählung, die uns in unsererem bisherigen Leben begleitet hat und der wir nun etwas Neues hinzufügen. Davon können wir uns nicht befreien, brauchen es sogar notwendigerweise, wollen wir das unmittelbar Erfahrene auch aussprechen, es weitererzählen. Denn Erleben und Interpretation stehen in einem sich ergänzenden Verhältnis zueinander. Gewordene Struktur, kristallin gewordenes Wissen wird zur formelhaften Phrase ohne das lebendige Ereignis - und das lebendige Erleben verschwindet wie ein Traumgespinst, wird es nicht gefasst, in eine mitteilbare Fassung gebracht. Jede kulturelle Überlieferung entwickelt sich in dieser polaren Spannung. Warum sollte etwas tradiert werden, wenn es nicht unmittelbar als wirksam erfahren wird? Wie kann uns etwas berühren, wenn wir es nicht einordnen können?


Superposition

Im gleichen Augenblick, in dem ich einen Satz niederschreibe, möchte ich ihn auch schon verwerfen. Er kommt mir zu festgezurrt vor. Zu eindeutig, bei all den Zweideutigkeiten, Unschärfen, die er enthält. Ich tue es nicht, da ich weiß, dass der korrigierte Satz, der an seine Stelle treten soll, denselben Fehler aufweist. Nie ist alles, was in einem Satz gesagt wird, oder gesagt werden möchte, in einen einzigen Satz zu pressen. Jedes Wort oszilliert in seiner Bedeutung, ein anderer Ausdruck drängt hinzu, Alternativen erscheinen flimmernd im Möglichkeitsraum. Jede Aussage ist in eine Wolke von assoziativ weiterführenden Sinnzusammenhänge gehüllt. Und jeder dieser Zusammenhänge öffnet eine neue Welt.
Also wäre das einzig angemessene Verfahren, unendlich viele Sätze übereinanderzulegen, durchlässig füreinander, so dass ein vieldimensionales Band superpositioneller Aussagen entsteht, statt der einzigen, linearen Zeichenkette. Das ist mir aber nicht möglich. So lasse ich es bei dem dürftigen Satz - es kommen ja noch weitere. Allerdings behaftet mit demselben Mangel.


Glücklichsein

Fehler, die bei der Suche nach dem Glück gemacht werden. Erstens: es wird nach dem Glück gesucht. Zweitens: gab es einmal einen Glücksmoment, wird nach mehr von dieser Sorte verlangt. Drittens: es wird in der falschen Gegend, aus den falschen Motiven, einer falschen Definition von Glück folgend gesucht.
Glücksmomente verzehren sich selbst. Das Gleiche ist im nächsten Moment oder in der Wiederholung schon kein Glück mehr. Diese Ereignisse fallen einem zu, auf einem Weg, der etwas anderes meint als ein angestrebtes Glück. Hatte ich einmal einen glücklichen Moment erlebt, dann glaube ich, ich brauche nur nochmals dieselben Bedingungen herzustellen, um wieder glücklich zu werden. Mehr vom Guten muss doch gut sein. Ich strebe es auf demselben Weg an, der schon einmal dahin geführt hat. Weswegen gelingt das so oft nicht? Es war nicht der Kuchen, der mich glücklich gemacht hat, ein mehr an Kuchen bringt es daher nicht. Man verwechselt zu leicht die Begleitumstände mit dem Ereignis. Das Glücksereignis ist ein Geschenk. Es wird sich unter vielerlei Umständen ereignen. Wenn man sich dafür empfänglich gemacht hat.


Luzide

Kann es sein, dass ich keine Begabung zum luziden Träumen habe? Die Vorstellung von einem solchen Bewusstseinszustand hat mich interessiert, seitdem ich darüber gelesen habe. Und ja, luzide geträumt habe ich auch schon. Noch bevor ich darüber gelesen hatte. Aber das stand im Zusammenhang mit dem Tod meines Vaters und war nicht wirklich luzide, denn ich erkannte mich nicht als Träumenden; ich war nur in einen Traum getaucht, dessen Bilder überklar waren. Leuchtender als leuchtend.
Eine solche Überklarheit soll aber nur einen Teil des luziden Traumes ausmachen, das wesentlichere Merkmal ist die Erkenntnis des Träumers, zu träumen. Dahin habe ich es bis jetzt noch nicht gebracht. Und ich frage mich warum, denn ich habe mich auf verschiedene Anleitungen eingelassen - vielleicht zu wenig konsequent, zu wenig intensiv - und auch davon gelesen, dass es manchen gelungen sei, schon durch das bloße Auffassen des Konzeptes den Klartraum-Modus zu erreichen. Was also stellt sich mir als Hindernis in den Weg?
Ich denke, es liegt an meiner Überzeugung, dass Träume uns etwas sagen können. Dass sie - manchmal -geschickt werden, nicht gemacht. Und daran, dass ich im Schlaf die Berührung mit einer umfassenden Wirklichkeit suche - wovon der Traum dann nur der Erinnerungsschatten wäre. Will ich denn wahrhaftig meine normalbanalen Maßstäbe und Anschauungen in ein Gebiet tragen, welches mir das Korrektiv dafür sein könnte? So wie ich es verstanden habe - nachgewiesen durch den Gehirnscann luzider Träumender - ist dabei das Tagesbewusstsein nicht ausgeschaltet, wie beim normalen Träumen, sondern involviert. Deswegen erkennt man sich als Träumenden. Und steckt dabei immer noch in der Haut des Alltagsmenschen. Auch wenn man die Gestalt oder das Geschlecht wechselt, unbekannte Planeten besucht, mit Aliens und Lichtwesen spricht: Was da agiert, ist niemand anderes als das gewohnte, durch die Normalität konditionierte Alltags-Ich. Daher wohl diese pubertären Wunscherfüllungsorgien, von denen man im Zusammenhang mit luzidem Träumen oft lesen kann. Einfach alles ausprobieren, was man während des Tages aus physikalischen, moralischen oder sonstigen Gründen nicht tun kann. Oder den Klartraum einspannen, um effektiv für seinen Sport zu trainieren, sich fit zu machen für eine Aufgabe, die ansteht: typisch für den Utilitaristen. Was ich will, ist aber: mich für eine Verwandlung bereithalten. Mich verwandeln lassen. Auch durch meine Träume - wenn sie nicht nur Tagesreste beinhalten, wie oft. Bewusstseinsumwandlung, Bewusstseinsausweitung suche ich, nicht den manipulativen Übergriff meines Tagesbewusstseins auf den Traumbereich.
Dagegen kann man einwenden, dass es an der Person des Träumenden liegt, wie er sich verhält. Übergriffig manipulativ oder suchend, empfangend. Daher nochmals die Frage: Was hindert mich daran, luzide Träume zu haben?


Bei mir

Wann bin ich bei mir? Selten, so scheint es. Zu oft tauche ich in etwas unter, werde in etwas hineingesogen, welches mich veräußerlicht zurücklässt, werde ich wieder an Land gespült - ich war nicht bei mir, wo aber war ich?
War es ein Gespräch, selbst ein belangloses, war ich in einem Wir gewesen - und das kann erfreulich oder kräftezehrend sein. Auch ein Buch kann ein Gespräch sein: Ein Gedanke kann sich auftun, ich folge ihm, hingegeben. Ich habe mich dabei nicht im Blick, aber verloren auch nicht. Ganz und gar verloren habe ich mich dagegen, wenn ich in den elektronischen Medien unterwegs bin. Bewusstseinscut. Im Flow, aber im falschen. Tauche ich wieder auf, war es meistens eine für mich verlorene Zeit. Verdaddelt, vertan. Mit bunten Bildern vertan, von denen ich mich verführen ließ. Wie kommt es, dass ich dann doch wieder an meinem Ufer stehe, bei mir, mir selbst bewusst? Zurückgeführt durch mich selbst? Und die Möglichkeit eines Aufbruches mit mir selbst, aus der Horizontale in die Vertikale nach oben, liegt wieder in Reichweite. Dann bin ich wahrhaftig bei mir.


Nadelöhr (Freiheit)

Freiheit ist ein Nadelöhr. Das Determinierte ist ein Riesenelefant, der unmöglich durch das Öhr passt. Deswegen wird bezweifelt, dass es Freiheit geben könnte. Soweit man schauen kann, macht sich der Elefant breit. Alles, was man in die Hand nimmt, gehört zu dem Elefanten. Egal wo man hin fasst, ob am Schwanz oder Rüssel. Und dennoch: an einem Punkt in der Welt quetscht sich der Elefant plötzlich doch durch das Öhr. An einem Punkt, der in der Welt gefunden wird und gleichzeitig nicht von dieser Welt ist. In Handlungen, die auf Voraussetzungen beruhen und dennoch davon unabhängig sind.
Das wird dadurch möglich, dass wir in unserem Denken von den Gegebenheiten zurücktreten. Sie anschauen. Reflektieren. Unser Denken ist antizipierend, ist zur Vorschau angelegt. Will den Möglichkeitsraum erkunden. Das geht dann, wenn die Gebundenheit an eine einzig mögliche Reaktion auf ein Ereignis gekappt ist. Wenn weitere Möglichkeiten als Option offenstehen. Wenn der Reflektierende abwägen kann und sich daraufhin entscheidet. Freie Wahl.
Das bedeutet nicht, dass die Notwendigkeiten und Zwänge einer Situation verschwunden sind. Manchmal gibt es keine weiteren Möglichkeiten als nur die eine. Aber wenn es Alternativen gibt, dann ermöglicht die Fähigkeit zur Reflexion ein zäsursetzendes Zurücktreten von den Reaktionen und Motivationen, die treiben.
Für was ich mich entscheide, ist allerdings etwas anderes. Eine Entscheidung ist von Gefühlen, von Werten, ist von Bewertungen abhängig. Und die haben eine Geschichte. Macht uns dieser Vorlauf unfrei, determiniert er uns? Nicht, wenn ich mir der Sache bewusst bin. Nicht, wenn ich mich selbst als so und so geartete Person den Notwendigkeiten stelle. Ich wäre frei, Unsinniges zu tun. Wähle ich das in einer Situation Sinnvolle, dann erfülle ich mich selbst und stelle mich dem Sinn. Der Elefant ist wieder da, doch hat er sich durch ein Nadelöhr gequetscht.


Zuhörer

Der Redner braucht seine Zuhörer. Ein einsamer Redner am Strand, gegen den Sturm und das Wellengetöse anredend, ist entweder Demosthenes, mit Kieselsteine im Mund das laute und deutliche Sprechen übend, oder ein Verzweifelter, vielleicht Verrückter. Der Redner lebt von seinen Zuhörern. Sie machen ihn zum Redner. Nicht seine Rede macht das.
Und genauso macht der Leser den Schreibenden. Der Schreiber kann der Verfasser eines Textes sein, das macht ihn noch lange nicht zum Schriftsteller. Seine Leser machen ihn dazu. Ob imaginiert oder real, ob verschmäht oder zielgerichtet angesprochen. Alles ist Kommunikation, und kommuniziert wird in zumindest zwei Richtungen. Schreibender und Lesender, Sprechender und Zuhörender bedingen einander, wechselweise. Alles ist Gespräch, auch wenn es sich manchmal recht einseitig anhört. Und was wäre eine Lebensbeichte, ein Lebensbericht, wenn niemand zuhören würde? Das Leben wäre verweht, vergessen… Zu hoffen, dass wenigsten ein Engel da wäre, lauschend zugewendet.


Nimm den Faden auf

Nimm den Faden auf. Er liegt da, weht vorbei, abgerissen irgendwo oder nie unterbrochen. Aus der Zeit gefallen, abgetaucht oder nie abwesend gewesen, immer im Blick. Alle möglichen Fäden gibt es. Nimm sie auf. Du bist beteiligt an einem Webwirken. Weber bist du.


Kindbewusstsein

Warum würde ich meine Kindheit nicht wiederholen wollen, obwohl ich mir doch sage, dass es eine gute, behütete Zeit war? Es gab zu viele Gespenster und Ungeheuer. Alpträume nachts und tagsüber Öde und Leere. Und das Gefühl der Verlorenheit in der Fremde.
Als ganz kleines Kind wunderte ich mich einmal, wie es kommt, dass am Morgen alles wieder so war, wie am Abend, als ich ins Bett gebracht wurde. Das war für mich nicht selbstverständlich. Alles änderte sich ständig, ich selbst, meine Gefühle, die Stimmung der Dinge um mich herum, die Landschaft in meinen Träumen - warum blieben die Gegenstände am Tage so seltsam starr, leblos und gleich? Ich erwartete nicht wirklich, die Welt unverändert anzutreffen, wenn ich wieder aufwachte.
Aber allmählich gewöhnte ich mich daran. Es gab also Verlässliches. Gab Feststehendes. Nur: auf unsicherem Grund. Dieser schien mir nie wirklich sicher und vertrauenswürdig. Hinter dem Festgefügten, Vertraut gewordenen musste sich eine ganz andere, unvertraute Welt verbergen. Dahinter, wohin ich nicht mehr sehen konnte. Zwar waren mir meine Eltern das Liebste und auch die Nähe meiner Geschwister, ich fühlte mich geborgen und liebevoll aufgenommen, aber unmittelbar jenseits der Grenze um die kleine Insel der Normalität lauerte das Ganz Andere. Nicht unbedingt gefährlich, doch anders. Traumartig und irgendwie sehnsuchtsziehend. Und ich wusste auch, dass ich im jetzigen Zustand ein sehr dumpfes Bewusstsein hatte, nicht richtig denken und mich in Worten ausdrücken konnte, und warten musste, bis ich größer war und alles deutlich und klar erkennen würde, und das ließ mich klein und hilflos fühlen. Ich wollte über diesen Zustand hinauswachsen.
Und jetzt? Bin ich in der Klarheit des Bewusstseins angekommen? In einer Verlässlichkeit, der ich mich vorbehaltlos anvertraue? Ja - ich habe mich schon lange an den Tag und seine Realitäten gewöhnt. Sogar so sehr, dass ich meistens vergesse, dass alles vielleicht ganz anders sein könnte. Dass es vielleicht eine eigentliche Wirklichkeit jenseits der festumrissenen Realität gibt, eine tiefere Wirklichkeit, die mir nur wie in einem Fingerzeig darauf manchmal aufscheint. Dass es eine Wachheit geben muss, gegenüber der mein jetziger Bewusstseinszustand wie ein trüber Traum erscheint. Dass ich es bisher nicht geschafft habe, wirklich aufzuwachen und bei diesem klaren Bewusstsein zu sein. Denn bewusst bin ich nur für das, was ich mir als Gewohntes angeeignet habe. Worauf ich konditioniert worden bin.
Meistens vergesse ich, dass ich mich in einem eingezäunten Pferch eingerichtet habe. In das Gatter meiner festgefügten Vorstellungen von der Welt. Aus Angst vor dem, was ist, wenn dieses feste Gefüge fällt. Wenn ich mich davon befreie. Sind dann die Gespenster meiner Kindheit wieder da?


Wette

Die Wette René Pascals auf die Existenz Gottes, umformuliert: Ich kann die Wette auf eine Fortexistenz meiner selbst als Bewusstsein nach dem Tode gar nicht verlieren, nur gewinnen. Gibt es mich noch nach dem Auslöschen meiner körperlichen Existenz, habe ich die Wette gewonnen und weiß es. Bleibt von mir nichts übrig, ist sie gegenstandslos geworden, es gibt keinen Spieler mehr, der dies zur Kenntnis nehmen wird.


Annahme

Ich kann aber diese Wette deswegen anbieten, weil ich auf die Annahme setze, dass Bewusstsein etwas Grundlegendes ist, allem zugrunde liegt. Nicht die Materie. Das legt in letzter Konsequenz die Quantentheorie (besser gesagt: die Quantenphilosophie) nahe, für die Materie Knotenpunkte in einem kosmosweiten Feld virtueller Energie ist - Energie oder auch Information. So angeschaut zeigt sich dies aber als mathematische Formel oder als physikalisches Phänomen, immer von außen, vom Dritten-Person-Standpunkt aus betrachtet. Vom Ersten-Person-Standpunkt aus gibt es mich, der sich selbst als existierendes Bewusstsein erfährt, sich selbst reflektierend und daher sich als existent gewiss. Eine gewissere Gewissheit gibt es nicht. Und dieses Bewusstsein soll nichts anderes sein, als das emergierende Produkt komplizierter Nervenverschaltungen? Ein nicht sehr begründeter Gedanke, wahrscheinlich nur, wenn man das Materie-Allein Paradigma verinnerlicht hat, nach dem sich alles aus der atomistisch gedachten Physik naturalistisch ableiten lassen muss. Viel wahrscheinlicher doch, dass Bewusstsein das Ursprünglichere ist, aus dem sich durch stufenweiser Emanation Materielles erklären lässt - genauso, wie die Entstehung von Unbelebtem sich besser aus dem Lebendigen ableiten lässt (man kann dies sogar beobachten), als umgekehrt die Entstehung des Lebens aus dem Unbelebten, was bisher, bei allem Forscherfleiß und -aufwand, noch nie nachgewiesen wurde.
Bin ich aber, als Selbstbewusstsein, Absonderung eines umfassenderen Bewusstseins, warum sollte ich nicht, nachdem der physische Apparat meines Gehirns zerstört worden ist, in diesem allgemeinen Bewusstsein weiterexistieren, wie gesagt wird? Mein Gehirn, als biologisch-physischer Apparat, dient vielleicht doch nur dazu, Bewusstsein zu individualisieren, ist vielleicht doch nur ein Spiegelprisma, welches das Bewusstseinslicht einfängt und mit den Sinneserfahrungen eines Einzelwesens verbindet. So komme ich dazu, mich als der Mittelpunkt der Welt zu erleben, wo doch nur meine Sinne mich in dieses Zentrum stellen. Und wenn diese Verbindung wieder gelöst wird, was erwartet mich dann? Spekulativ könnte man annehmen, dass dann die Welt eher von der Peripherie aus erlebt wird, den Kosmos im Zentrum. Doch das ist Vermutung.


Was ändert, was sperrt?

In der Psychoanalyse wird angestrebt, Veränderung des Denkens, des Verhaltens, des Charakters durch Selbsterkenntnis zu erreichen. Bewusstsein wird gefördert, wird gefordert. Bewusstwerdung des vorher Unbewusst gewesenen. Wo ES war, soll ICH werden. Die Existenzanalyse sagt, das reicht nicht aus, reicht nicht in die Tiefe der Existenz. Die "Person" muss erreicht werden, muss sich zu sich selbst stellen, muss zustimmen zu dem, was verändert werden soll. Muss die Veränderung wirklich wollen. Sonst sperrt sich etwas, widerstrebt der Veränderung, obwohl ihre Notwendigkeit doch eingesehen wird, sie erwünscht ist und angestrebt wird. Doch wie weit reicht die Person (im Sinne der Existenzanalyse)? Was alles kommt in ihr als Wirkendes zusammen? Was sind ihre Quellen, ihr Keimgrund? Worin wurzelt sie?
Gibt es eine Möglichkeit, über das Ahnen einer tieferen Tiefe hinaus, des Abspürens eines personalen Quellpunktes, eines unausmesslichen Seinsgrundes, sich diesem Herkommen der Person zu nähern? Im Jenseits von Raum und Zeit?
Das rührt an die Frage nach dem Schicksal, Karma, dem als Lebensaufgabe in die Wiege gelegtem. Gibt es so etwas, und wieweit ist es dennoch verfügbar, veränderbar? Inwieweit kann die Schwere des Daseins erleichtert oder aufgefangen werden - mit Unterstützung anderer, mit Zuwendung, mit Zuspruch? Oder bleibt dem Einzelnen nur die schwierige Aufgabe, sich seinem eigensten Lebenshindernis und Lebensbedrängnis als Person zu stellen und sich daran abzumühen?


Kongruenz

Bin ich mit mir ganz eins, ganz übereinstimmend, bin ich kongruent. Was meint also die Behauptung, am Ende des Lebens, im Sterben, sei man in der Kongruenz angekommen? Haben sich dann wirklich alle Widersprüche aufgelöst, alles Verborgene ist ans Licht getreten, der innere Widerstreit mit sich selbst hat aufgehört? Zweifellos hat er aufgehört, indem alles beendet wird, aber ist der Mensch dann in ein Ganzes zusammengeschlossen, einer vollständigen Gestalt, ohne Lücken und lose Enden? Hat er sich erfüllt?
Man könnte es so verstehen, dass alle die Möglichkeiten, die im Menschen angelegt waren, an der Grenze, die der Tod bedeutet, mit diesem Tod verschwinden. Sein Möglichkeitsraum wird durch diese Schranke begrenzt und aufgehoben. An ihr realisiert sich die endgültige Erfüllung des Möglich gewesenen. Mehr war nicht, mehr wird nicht sein. Darüber hinaus geht es nicht weiter. Die Grenze schließt die Gestalt. Und gibt es keine weiteren Möglichkeiten des Wachsen, Ausdifferenzieren, des sich Trennen und Vereinigen, sich Auflösen und Auskristallisieren mehr, dann gibt es auch keinen Widerspruch mehr, der weiterhin besteht. Keine Inkongruenz mehr. Dazu müsste man allerdings von einem Bild des Menschen ausgehen, in dem dieser als Potenzial seiner endgültigen Bestimmung und Erfüllung zur Welt kommt, wie etwa in einem Samen schon der ganze Baum angelegt ist, der sich nach und nach zu sich selber auswächst und am Ende in seiner typischen Gestalt dasteht. Trifft das auch auf den Menschen zu?
Ich denke, nicht ganz. Ich glaube, es gibt auch die Möglichkeit, sich zu verfehlen. Sein Potenzial nicht auszuschöpfen. Hinter sich selbst zurückzubleiben. Deswegen, weil der Einzelne nicht nur ein Potenzial mitbringt, welches zur Verwirklichung drängt, sondern auch in die Freiheit gestellt ist, dieses Potenzial zu realisieren oder eben nicht. Er wächst nicht einfach wie ein Baum und wird zu dem, was in ihm angelegt ist. Er entscheidet sich dafür oder dagegen. In jeder Situation wieder neu und vielleicht anders als vorher. Und weiter: er kann auch über das ursprünglich Angelegte hinauswachsen. Das Mitgebrachte durch das unterwegs Aufgenommene ergänzen, steigern, übersteigen. Auch dazu hat er die Freiheit. Er ist nicht gänzlich festgelegt. So würde ich sagen, am Ende angekommen gleicht er eher einem unvollendeten Projekt als einem vollendeten. Es gibt Abgearbeitetes, abgeschlossen Erfülltes, und es gibt offen gebliebene Widersprüche und Inkongruenzen, ebenso wie neu Angelegtes, nur wie ein Keim für eine weitere Entwicklung vorhanden. Wenn es diese Entwicklung gäbe. Gibt es sie?


Karma

Im indischen Vorstellungsraum wurde der Begriff des Karmas entwickelt. Jeder lädt sich sein Karma auf und muss es abarbeiten, abtragen, bis es sich aufgelöst hat und man davon erlöst ist. Doch die Krux ist, es kommt immer neues Karma hinzu, allein dadurch, dass man handelt; jede Entscheidung bringt neue Verwicklungen und ein neues Anhaften an Umständen und Menschen. Kann man die Folgen seiner Handlungen - seiner Gedanken, seiner Gefühle - nicht in diesem Leben ausgleichen, muss es eben im nächsten Leben sein, was man dann als Karma mitbringt.
Ein vollendeter Mensch wäre jemand, der sein Karma vollständig aufgearbeitet hat, sich von der Gebundenheit an sein Schicksal gelöst hat, indem er es erfüllte. Eine voll verwirklichte Person, wie in der Psychotherapierichtung Rogers angestrebt, würde dem einigermaßen entsprechen (ist nicht deckungsgleich). Dem Gedanken des Karmas folgend, müsste man daher sagen, dass, bevor nicht der Zustand der vollen Verwirklichung, der vollständigen Kongruenz mit sich selbst erreicht wurde, die Person eben in eine nächste Runde geschickt wird, bis es soweit ist. Ich nehme nicht an, dass Rogers an diese Lösung gedacht hat, sein volles Verwirklicht sein bezieht sich eher auf das Potenzial des Menschen bei seiner Geburt. Aber auch dort gibt es Umstände, die von Anfang an ein Hindernis bilden, zur vollen Verwirklichung der angelegten Möglichkeiten zu kommen: ungünstige sozialen Bedingungen beispielsweise oder belastende menschliche Beziehungen - traumatische Kindheitserfahrungen eben. In den anderen Rahmen gestellt, hießen diese dann: das mitgebrachte negative Karma.
Dieses Karma hält genau die Aufgaben bereit, die als nicht geschlossene Gestalt, als Störung, als Komplex und Zustand der Inkongruenz bewältigt werden müssen, um den Ausgleich, die Kongruenz zu erreichen. Aber Lebensläufe bestehen nicht nur aus Erfolgsgeschichten. Wenn am Ende abgerechnet wird, wer kann dann sagen, dass alles aufgegangen ist? Wenn nichts mehr offen bliebe, alle Verwicklungen gelöst, alle Schuld beglichen wäre, alle Versäumnisse nachgeholt, dann könnte man das. Wenn keine Abhängigkeit von irgendwem oder irgendwas da wäre, auch keine weiterhin unerfüllt bleibende Hoffnung oder Sehnsucht, dann könnte man das. Dann wäre im Sterben der große Ausgleich erreicht, die Verwandlung vom mangelgetriebenen Wesen zum vollendeten. Wenn aber nicht: müsste man dann nicht auf eine weitere Runde hoffen?


Erinnern

Manchem, der von seinen ersten Eindrücken in der Kindheit erzählt, wird ein Erinnern abgesprochen. Dass es nicht möglich sei, dass man sich so früh an etwas erinnert - von der Hirnreife her. Also muss das Erinnerte Selbsttäuschung sein. Gefälschte Erinnerung. Mit diesem naturwissenschaftlichen Argument wird bestritten, was nicht sein darf, da es nicht sein kann. Und der Arme, der fest davon überzeugt war, sich an ein erstes Erleben zu erinnern - zum Beispiel eines, das noch vor seinem dritten Lebensjahr lag, welches er also nach der offiziellen Leseart nicht gehabt haben kann - muss sein Gedächtnis korrigieren, um sich der Wissenschaft anzupassen. Besteht er dennoch darauf, dieses Erlebnis gehabt zu haben, wird er nachsichtig belächelt. Warum? Warum zählt ein individuelles Selbstzeugnis weniger als eine verallgemeinernde Feststellung? Kann eine Verallgemeinerung grundsätzlich einen Einzelfall ausschließen? Und kennt man so genau das, was Erinnerung, was Gedächtnis ist?
Ich selbst halte mich an eine Erinnerung, die mich seit frühester Kindheit begleitet und die allem widerspricht, was man über den Bewusstseinszustand eines Kleinkindes, eines Babys annimmt. Vielleicht ist es sogar die früheste Erinnerung, die ich habe. Es gab den Moment einer deutlichen Einsicht, einer auflichtenden Erkenntnis, die ich damals gemacht, besser gesagt empfunden habe: Ich erlebte mich in einem dumpfen, nebelhaften Bewusstseinszustand, worüber ich mir jedoch im Klaren war. Ich dachte, das kommt daher, dass ich noch ein sehr kleines Kind bin, ich muss abwarten, bis ich größer bin, dann kann ich auch deutlicher denken. Ich kam mir wie behindert vor, daran gehindert, die Dinge richtig zu begreifen. Ein ähnliches Erleben wie wenn man betrunken ist, nicht mehr richtig denken kann, aber weiß, dass man im Normalfall richtig denken kann, dann nämlich, wenn man wieder einen klaren Kopf hat. Man weiß, wie es ist, klar zu denken, nur dass es eben im Augenblick nicht möglich ist.
Ich kann es nicht erklären, wie so etwas zustande kommt. Noch kann es die naturalistische Hirnforschung. Und wird deswegen bestreiten, dass es eine ursprüngliche Erinnerung wäre. Aber ich will mir meine Erinnerung nicht absprechen und mich auf diese Weise selbst fälschen. Denn ich würde mich fälschen, mir eine falsche Erinnerung zulegen, wenn ich sage: Es kann nicht sein, also war es auch nicht, ich habe es mir später irgendwann zurechtphantasiert. Dass es so war, ist allerdings ein Rätsel im Rahmen der herrschenden Vorstellungswelt. Für mich ist es eines der Argumente - und ein starkes, da selbst erlebt - die für den Gedanken der Wiederverkörperung eines autonomen Bewusstseins sprechen.


Erlösungswissen

Es gibt normales Wissen und es gibt Erlösungswissen. Beim Erlösungswissen hängt meine Erlösung davon ab, dass ich weiß. Dass ich das einzig richtige Wissen habe. Wie könnte ich es dann in Frage stellen? Wissen, welches nicht hinterfragt werden darf, ist aber Glaube, nicht Wissen. Ich befinde mich dann im Bereich der Religion.
Meist ist Erlösungswissen auch Offenbarungswissen. Deshalb: nicht nachprüfbar. Doch gibt es auch ein Erlösungswissen, welches sich als naturwissenschaftliches Weltbild tarnt. Das meint, naturwissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse werden nicht im wissenschaftlichen Sinne als vorläufig und hypothesenhaft dargestellt, sondern als absolut genommen. Aus der Notwendigkeit, sich Gewissheit zu verschaffen, sich in die Sicherheit des nichtanzweifelbar Gewissen zu retten: Das führt zur Suche nach dem sicheren Grund, der absoluten Wahrheit, dem Schutzschild gegen das Chaos einer haltlosen Welt.. Wer ewige Wahrheiten braucht, um an ihnen Halt zu finden, der nimmt zum Beispiel das Credo des Naturalismus, alles auf die bisher bekannten physikalisch-chemischen Gesetze zurückzuführen, als nicht anzweifelbar. Weil sonst alles angezweifelt werden könnte.
Diese Haltung folgt aber nur dem immer wieder anzutreffenden Schema, nach dem auf einen anfänglichen Erkenntnisgewinn und -durchbruch, aufgrund der intuitiven oder auch methodisch angelegten Erfahrung einzelner, sich eine Periode der Konsolidierung und Bestätigung anschließt, welches schließlich in eine Orthodoxie mündet, die nicht mehr, bei Strafe der Ächtung und des Ausschlusses aus der Gemeinde, in Frage gestellt werden darf. Spätestens dann ist aus einem lebendigen Forschungsimpuls eine Glaubensrichtung geworden. Was alle Bereiche der Erkenntnisgewinnung betreffen kann: Natur- wie auch Geisteswissenschaften, Hochschulphilosophie wie Alternativdenken. Das Leben überspielt jedoch gottseidank alle Orthodoxie und löst sie wieder auf.


Gläubigkeit und Skepsis

Von irgendetwas zu hundert Prozent Überzeugte sind in Gefahr, sich ein Wahnsystem aufzubauen. Denn um bei dieser Überzeugung zu bleiben, nicht auch nur ein bisschen ins Wanken zu geraten, muss alles herangeführt werden, was die Überzeugung unterfüttert, darf nichts zugelassen werden, was sie in Frage stellen könnte. Das nennt man dann selektive Wahrnehmung.
Skeptiker sind auf einem anderen Dampfer unterwegs. Sie analysieren, zerpflücken alles, können nicht anders. Ihre Welt besteht aus einem ewigen Aber. Schwierig nur, dass sie sich selbst den Boden unter ihren Füßen wegziehen, denn am Grund aller Einwände angekommen, müsste sich die Skepsis konsequenterweise gegen sich selbst richten. Nichts ist wahr, auch dieser Satz nicht.
Gemäßigte Mitbürger, so wie auch ich, nehmen mal diese, mal jene Haltung ein. Wenn ich vernünftige Gründe für etwas finde, kann ich glauben, bei anderem, aus ebenso vernünftigen Gründen, bin ich skeptisch. Aber es hält sich in Grenzen. Ich gehöre also zu den Lauen, die ausgespien werden. Während mir wiederum die Eiferer ein Gräuel sind...
Ich such die Sicherheit des Wissens und weiß, es gibt diese Sicherheit nur bedingt. Ich halte manches für gewiss, manches für anzweifelbar. Ich habe mich für bestimmte Ansichten als die meinigen entschieden, drücke aber Gegengründe nicht grundsätzlich und sofort weg. Ich wäge ab. Es geht mir schließlich um die Wahrheit. An die ich glaube - also bin ich kein Skeptiker. Um eine Wahrheit. Die für mich ungesichert ist - also bin ich ein Zweifler.


Nachdenken über etwas

Würde ich etwas nicht im Grunde für wahr halten, würde ich mich nicht damit abgeben. Würde ich es für gesichert halten, gäbe es kein weiteres Nachdenken darüber. So aber beschäftigen mich die Wahrheiten.


Zuschreibung

Meine Person wird mir zugeschrieben. Ich laufe meistens so in der Welt herum, wie ich von außen gesehen werde. Als was ich von außen gesehen werde. Bewundernde oder abschätzige Blicke, ermutigende oder abwertende Beurteilungen prägen mich. Nicht, dass ich nichts dazu beitragen würde. Im Gegenteil. Ich identifiziere mich damit, kehre die Zuschreibungen, Verdienste und Rangfolgen hervor, die mir gegeben werden und mit denen ich mich infolgedessen selbst beschreibe. Das bin ich. Darauf bestehe ich. Nur: weiß nicht jeder, tief in seinem Inneren, dass dem nicht ganz so ist? Dass das so nicht aufgeht? Wer bin ich dann, wenn nicht diese Person?


Person

Ich versuche, ein Gespür für die Person, die ich bin, zu bekommen. Wie schmeckt es, diese Person zu sein? Dabei bemerke ich, dass es viele weitere Geschmäcker gibt, jeder Mensch sich verschieden von mir anfühlt. Ich gewinne ein Gespür für Eigenheiten. Für meine und die der anderen.
Ich kann mich verorten. Ich kann mich verzeiten. An einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Zeit auf die Welt gekommen zu sein, gibt ein spezielles Gepräge. In einem bestimmten familiären Milieu aufgewachsen zu sein, prägt Ansichten, Haltungen, Gewohnheiten. Ich erkenne mich in den Unterschieden zu anderen Prägungen. Auch in den Übereinstimmungen. Ich beginne mich als Person zu erfassen, indem ich mich einordnen kann. Und relativiere mein Personensein. So unterwegs zu sein wie ich, ist nicht die einzige Möglichkeit. Im Kontrast werde ich mir als Person deutlicher. Und schätze jede Eigenart, auch meine.


Gegenstandsbereiche

Gegenstandsbereiche der Realität sind Bereiche, worin aufgelistet werden kann, welche Gegenstände sie enthalten. Der Bereich der körperlichen Dinge beinhaltet etwa Scheren, Stühle, Steine, Pfefferpulver, Baumharz, Zigarettenkippen undsoweiterundsofort, eine nicht abschließbare Liste. Gemeinsam ist diesen Dingen, dass mit ihnen hantiert werden kann, sie können angefasst und manipuliert werden, gebraucht und verbraucht. Ein anderer Gegenstandsbereich wäre der der Handlungsanweisungen. Auch diese gibt es in der Realität. Eine damit angelegte Liste hieße etwa: Kochrezepte, Montageanleitungen, Routenplaner, Algorithmen usw. Diese könnten unter Umständen zwar auch zerschnitten, gegessen, verbrannt oder sonstwie manipuliert werden, aber das trifft nicht ihr Wesentliches. Sie dienen zur Anleitung von Aktivitäten. Das ist ein ganz anderer existenzieller Bereich.
Solch eine Liste ist zwar endlich, aber offen, nicht abgeschlossen oder abschließbar, es könnte ja immer noch etwas dazukommen. Gegenstände - oder Entitäten, Wesen, Energien, Informationen, Anweisungen, Vorgaben - kommen beispielsweise auf eine solche Liste durch gemeinsame Eigenschaften mit anderen Gegenstände, aufgrund deren sie zusammengefasst werden können. Gegenstandsbereiche werden durch die Regeln definiert, durch die ihnen ihre Gegenstände zugewiesen werden.
Die Realität kann in die unterschiedlichsten Gegenstandsbereiche eingeteilt werden, deren ontologischer Status derselbe ist, obwohl der landläufige gesunde Menschenverstand wahrscheinlich Unterschiede machen würde. Ein Baum und sein Abbild - ob als Gemälde, Fotografie, Hologramm - werden wohl nicht als von gleicher Realität akzeptiert werden; dennoch, da sie in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen vorkommen, sind sie es, in Hinblick auf diesen Bereich. Im Bereich der Bilder ist das Abbild des Baumes real. Es existiert.
Ebenso existieren auf der Liste der Märchenwesen die verschiedensten Gestalten - die Frage ist, in welcher Form sie in einen anderen Bereich transformiert werden können. In der Phantasiewelt eines Kindes tauchen sie zweifellos auf - auch in Büchern kann man sie finden - in Trickfilmstudios, am Zeichentisch, in der Vorstellung eines Autors ebenso. Und in anderen Wirklichkeitsbereichen? Es lässt sich nichts ausschließen, da auch die Liste der Gegenstandsbereiche eine nicht abgeschlossene ist.


Zugänge

Der für unser normales Bewusstsein gesichertste Zugang zur Realität ist zweifellos der über die Sinne. Zwar gibt es Sinnestäuschungen, also auch in diesem Bereich Fragliches, aber ansonsten beruft man sich auf sie, um zu behaupten, etwas sei real. Ein Faktum, dass sich nicht über die Sinne offenbart, hat es um einiges schwerer, anerkannt zu werden.
Für die Mathematik gilt das nicht so sehr, obwohl immer wieder das Wundern darüber aufkommt, wie es sein kann, dass mathematische Zusammenhänge, also etwas abstrakt Gedankliches, uns etwas über die Realität sagen können. Woher diese Übereinstimmung von mathematischer Formel und physikalischem Vorgang? Wobei außer Acht gelassen wird, dass Realität selbst ein gedankliches Konzept ist. Gedanklich selbstverständlich auch das Fragestellen an die Realität und die Antworten auf gestellte Fragen. Der Zugang zur Realität ist daher gedanklicher Art, das Bemühen um ein Verständnis der Weltzusammenhänge ist ein Bemühen um Bewusstsein darüber. Wobei dann ein erfolgreiches Handeln gemäß der gewonnenen Einsicht in die Zusammenhänge als Bestätigung dieser Einsicht gilt. Der bestandene Praxistest - ein Experiment beispielsweise - sichert die Erkenntnis.
Differenziert man die Realität nach Gegenstandsbereichen, dann kann man darauf kommen, dass jedem Bereich ein eigener Zugang entspricht. Man könnte aber auch sagen: Jeder Gegenstandsbereich wird durch den Zugang zu ihm definiert. Der Zugang gibt die Erfahrungen vor, die in diesem Bereich gemacht werden können. Für den Bereich der physikalisch darstellbaren materiellen Körper ist der Zugang durch die Sinne - oder ihre künstlich geschaffenen Verbesserungen und Erweiterungen, den technischen Instrumenten - gegeben. Die fünf oder sechs Körpersinne und das auf sie bezogene Bewusstsein sind sozusagen für die Erfahrung einer materiellen Körperwelt zuständig und gleichzeitig ihre Grundlage. Nicht zuständig sind die Sinne für andere Bewusstseinserfahrungen.
Der Gegenstandsbereich der Mathematik beispielsweise ist ein nichtsinnlicher, auch wenn eine Verbildlichung ihrer Gegenstände dem Sinnfälligen entnommen ist - der vorgestellte Kreis ist nicht der eigentliche mathematische Kreis, dieser ist das Gesetz seiner Herstellung, seiner abstrakten Definition also. Hierbei ist der Zugang die Fähigkeit des abstrahierenden Denkens, losgelöst von der mit den Sinnen wahrgenommenen Gegenstandswelt.
Ein weiterer Zugang zu einem Gegenstandsbereich wieder anderer Art ist ein Denken, welches sich die Welt des Imaginalen erschließt. Dieses Denken kann ausgebildet werden - als Weiterentwicklung des geläufigen Bewusstseins, wie im Sufitum, in der Anthroposophie, im Schamanismus und in vielen anderen bewusstseinstransformierenden Praxen dargestellt. Die Wirklichkeit des Imaginalen ist dabei durch den vollzogenen Zugang gegeben, so wie die Wirklichkeit der materiellen Körperwelt durch den Zugang über die Sinne gegeben ist. Der Praxistest sichert auch hier Erkenntnisse ab, wenngleich die Praxis eine andere ist. Wenn aber der Schamane seine Reise durch die Anderswelt erfolgreich beendet hat und der Kranke gesundet, zeigt sich an der Wirkung ebenso die Übereinstimmung mit der Realität, wie bei einer erfolgreichen Handlung in der sinnesorientierten Welt.
In der Anthroposophie werden noch weitere Zugänge zu anderen Bereichen beschrieben. Die Transformation des Bewusstseins soll noch weitergehen, ein inspiriertes Denken erschließt eine Welt der Inspiration, ein intuitives Bewusstsein eine der Intuition. Und jede dieser Wirklichkeitswelten stellt einen eigenen Bereich dar, mit jeweils besonderen Erfahrungen, die in ihnen gemacht werden können.
Wenn daher jemand sagt, es gäbe eine astralische Welt, dann sagt er damit, es gibt ein gedankliches Vermögen, einen Bewusstseinszustand, der einen Zugang zu einem bestimmten Gegenstands (besser Wesens-) bereich der Realität - der astralischen Wirklichkeit - bedeutet. Ein Zugang, der diesen Bereich in derselben Weise zur Erscheinung bringt, wie das abstrakte Denken die Mathematik zur Erscheinung bringen kann. Die mathematischen Gesetzmäßigkeiten werden durch das Denken nicht erfunden, sondern gefunden. Das individuelle abstrakte Denken erschafft nicht die mathematischen Gegenstände, es ist der Zugang dazu.


Spiel und Freiheit

Freiheit will sich spielerisch realisieren. Wie im Spiel. Der Ernstfall ist immer bestimmt, bestimmt selbst: das, was geschieht und das, wie darauf reagiert werden muss. Im Ernstfall sind wir an Notwendigkeiten gebunden. Wo also wäre unsere Freiheit?
Das Wesen des Spiels ist aber Erhebung über den Ernstfall. Aufhebung des Ernstfalles. Nicht aber Aufhebung der Regeln. Kein Spiel ohne seine Regeln - und wenn es die Regel wäre: keine Vorgaben. Wie Regel und ihre freiheitliche Anwendung zusammenhängen, macht das Paradoxon der Freiheit aus. Und kann nicht festgeschrieben oder vorhergesagt werden, da zum Spielen auch die Wahl der Züge, der Wechsel der Optionen und die Tiefe des Möglichkeitsraumes gehört und damit die Ungewissheit des Ausgangs.
Was sagt es also, wenn man vom Spiel des Lebens spricht oder vom kosmischen Spieler? Das am Grunde der Existenz nicht der Zwingherr Ernstfall herrscht, sondern das Spiel der Freiheit?


Ich

Ein Ichbewusstsein zu sein, ist etwas anderes, als eine Person zu sein. Eine Person hat Eigenschaften. Hat Prägungen. Hat Angelegtes. Man kann es bezeichnen: Das ist dieses, das ist jenes. Das alles trifft das Ich nicht. Mein krummer Rücken: Das ist nicht Ich. Meine Körpergröße: Das ist nicht Ich. Meine Essgewohnheiten: Das ist nicht Ich. Meine Reaktion auf fremde Menschen, meine Müdigkeit am Tage, mein Ärger über Irgendetwas: Das alles ist nicht Ich. Mein Körper bin ich nicht, ich habe ihn. Ich habe Gewohnheiten, bin sie aber nicht, denn ich kann sie ändern oder ablegen.
Alles, was aufgezählt werden kann gehört zu mir, beschreibt mich, aber es ist nicht identisch mit dem, was ich meine, wenn ich bei mir bin und "ich" sage. Ich finde dieses Ich nirgends in dem Beschriebenen. Was beschrieben werden kann, liegt vor mir, liegt außerhalb für den Beschreiber, der ich bin. Ist Inhalt meiner Zuschreibung an mich als Person, ist Inhalt der Welt, die außen liegt, die innen liegt, die mich im Wechsel durchzieht, die veränderbar und unbeständig ist. Das, was einzig immer besteht - sobald ich mir meiner selbst bewusst bin - ist der Betrachter dieser Weltverläufe, der aber selbst keine benennbaren Eigenschaften besitzt, abgesehen davon, Betrachter zu sein. Und Handelnder, nicht zu vergessen. Aber das ist ein anderes Thema.


Renegat

Muss ich mich als Renegat, als Überläufer aus einer gnostisch-geistigen Heimatwelt ansehen, wenn ich mich nicht nur an das Diesseits gewöhnt habe, sondern es auch noch bejahe? Mein Leben lang habe ich mehr oder weniger gefremdelt, wenn ich mich bei den Menschen und in der Welt umschaute. Eine tiefe Sehnsucht nach dem ganz Anderen war stehts präsent. Jetzt aber fange ich an, meine Existenz in der sinnlichen Erfahrungswelt zu schätzen. Ihre Besonderheit wahrzunehmen. Ich will nicht mehr mich schnellstens auf den Weg in ein reicheres, heimatlicheres Dasein machen. Mich aus den Nötigungen hier entwinden. Ich habe nämlich den Verdacht, dass es Freiheit nur hier, im Ungefähren, Ungewissen, Uneindeutigen geben kann. Und dass aus dieser Freiheit heraus wunderbare, aber auch sinnentleerte Werke entstanden sind, wie sie nur hier vorkommen können.
Was Menschen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung bisher, bis zur Moderne, geschaffen haben, war mehr oder weniger auf geistige Urbilder ausgerichtet, war eine unvollkommene Nachbildung geistiger Strukturen oder Prinzipien oder Qualitäten. Die heilige Geometrie, wie sie der Architektur zugrunde gelegt wurde, ist ein Beispiel davon. Die Himmelsmusik, die Sphärenharmonie, die in der mittelalterlichen Musica gesucht wurde, ein anderes. Doch die Musik Mozarts, obwohl an diese himmlische Musik angebunden, konnte wohl nur hier entstehen, angewiesen auf materielle Instrumente - diesem kümmerlichen Ersatz für das unmittelbar gehörte Ertönen der Weltharmonien - angewiesen auch auf gesellschaftliche Entwicklungen, in denen es Zuhörer für diese Art von Musik gab und Musiker, die einen gewissen Ausbildungsstand hatten usw. - alles Bedingungen, die sowohl Einschränkungen wie Voraussetzungen bedeuten. Und obwohl Brahms beispielsweise seine Musik aus geistigen Sphären in eine hier zu spielende Komposition übertrug, wie er sinngemäß sagte, ist doch ein Musikstück von Brahms etwas ganz Eigenes gegenüber dieser himmlischen Sphärenmusik. Etwas Eigenständiges und einmaliges. In dieser Form nur über das sinngebundene Hören, dem Gehör, erfahrbar.
Genauso liegt der Fall in der Architektur. Heut haben wir uns von Zahlenverhältnissen, Proportionen, Symmetrien, geometrischen Grundfiguren gelöst - obwohl im Architekturerleben dieses nach wie vor eine Rolle spielt - und können völlig freie Formen entwickeln. Was für ein Freiheitsgewinn! Scheußlichkeiten allerdings mit eingeschlossen…
Was ich damit sagen will: Die Perspektive des Diesseits, das Stehen in diesem, ist nicht nur ein Verlust, wie in den historischen Kulturen beklagt, sondern auch ein Gewinn. Neues kann erschaffen werden. Unvollkommen Neues, aber Entwicklungskeim für Zukünftiges. Zu bestaunen also. Und zu wertschätzen.


Bewusstseinsaufhellung

Das Bewusstsein erkundet die Möglichkeiten. Es taucht überall dort auf, wo Variablen untersucht werden müssen. Ist dies so oder ist es so. Innerliches Abwägen macht es aus. Geht alles seinen gewohnten Gang, findet es nicht statt. Im eingeschliffenen Weiterso dämmert es vor sich hin. Neues weckt es auf, dann interessiert es sich. Und liefern die Sinneswahrnehmungen nichts Neues, schläft es wieder ein oder beschäftigt sich mit sich selbst. Und dort, im bewussten Sein des Bewusstseins, ist es in den Möglichkeiten zuhause, ist in ihnen unterwegs. An der Grenze des bisher Erkundeten spielt es, jongliert mit noch nicht vorher gesehenem, schmeckt und wittert, beurteilt, sucht Gewissheit. An der Grenze des Bisherigen überschreitet es die Grenze und stößt auf Unerkundetes. Es hellt das Dunkel auf, das jenseits seines Lichtes liegt. Das scheint seine Natur zu sein.
Und all die Variablen, Varianten unserer kulturellen Entwicklung kommen von daher, dass dieser experimentelle Drang nach weiterer Ausgestaltung des bisher formlos Unaufgehellten vorhanden ist. Auch der Versuch der Orthodoxie, sich dem entgegen zu stellen, dem Neuartigen Widerstand zu leisten, scheitert an diesem Fakt. Noch jeder eifrige Verfechter des Alten, Bewährten, sakrosankt Bisherigen hat diesem, in seinem Bemühen um Erhalt und Wiedergewinnung, eine neue Variante hinzugefügt, statt zu dem antiquiert Alten zurückzukehren, wie gewollt und versprochen.


Bedürfnislosigkeit

Es gibt eine indische Anekdote von einem Asketen, der sich an die größte Bedürfnislosigkeit gewöhnt hatte. Als Schlafunterlage brauchte er nur drei Steine, einen als Kissen für den Kopf, einen als Unterstützung des Rückens, einen als Unterlage für die Beine. Das half gegen die Nässe von unten im feuchten Monsunklima des Tropenwalds. Dazu eine Decke gegen den Regen von oben. Nun wurde er einmal von einem Herrscher, der Mitleid mit ihm hatte, eingeladen, in seinem Palst zu wohnen und in einem richtigen Bett zu schlafen, bequem und weich. Er folgte der Einladung, brachte aber seine Steine mit und schlief im Palast wie gewohnt. Als der Herrscher davon erfuhr, entschuldigte er sich bei ihm und ehrte sein Asketentum.
Das wird als positives Beispiel für die Überwindung des Anhaftens an Besitz, Bequemlichkeit, körperliche Bedürfnisse gesehen. Um dadurch dem Haften an die äußerliche Welt zu entkommen und im Inneren die wahre Welt zu finden. Ich habe dazu eine andere Meinung. Für mich haftet er immer noch stark an etwas: an seiner Gewohnheit. Er braucht seine gewohnte Umgebung, seine eingeübte Bedürfnislosigkeit, seine reizreduzierte Lebensweise, um ein Leben der Meditation und der Hingabe an das Göttliche zu führen. Eine Leistung, die ich nicht aufbringen könnte, zweifellos. Eine wirklich große Leistung wäre es jedoch, wenn er zum Beispiel als Herrscher - mit allen Pflichten eines Herrschers, mit allen Schätzen, Befugnissen, Bequemlichkeiten, Genüssen - diese innere Hingabe entwickeln und aufrechterhalten würde. Sich nicht durch ein bequemes Bett davon abbringen ließ, die Verbindung zu seinem göttlichen Selbst aufzunehmen und zu halten. Sich nicht zurückziehen müsste, sich nicht spezielle Bedingungen schaffen müsste, um sein Bewusstsein zu transformieren. Auch das ist Anhaften: Sich nicht frei von allem machen zu können, was als äußere Bedingung gegeben sein muss, damit der individuelle Geist in sich selbst die Fähigkeit und Kraft findet, sich mit dem kosmischen Geist zu verbinden. Wenn drei Steine die Bedingungen dafür sind, dann ist der Weg noch weit zu gehen. Im größten Weltgetriebe innerlich klar und im Geiste zu sein: Das wäre wahre Stärke.
(Ich möchte nicht den Asketen abwerten. Er führte das Leben eines Heiligen. Ich möchte nur denen widersprechen, die seine Geschichte als Parabel für ein nachahmenswertes Leben in Bedürfnislosigkeit erzählen. Das ist es nur bedingt.)


Verwickelt sein

Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht. Hatte mich in meine Decken verwickelt und konnte mich kaum bewegen. Wie mühsam, sich aus dieser Lage zu befreien, so im Tran, Schlaftrunken noch. Und der Schlaf zog mich wieder an sich.
Kämpfe ich nicht, so von oben betrachtet, mit einem noch tieferen Schlaf, verwickelt in dichtere Decken, enger umschnürt, und nur die lichte Ahnung eines Anderswie gibt mir für diesen Augenblick die Kraft, mich aufzurichten und umzusehen? Dieses Bild ist wie ein Ruf: befreie dich. Entwickle dich. Du wirst mit deinem Ertrag erwartet.


Sprache

Irgendwann wurde die Entdeckung gemacht, dass der Inhalt des Bewusstseins durch die Sprache vorgegeben ist. Schon in der Antike, dann bei Herder, Humboldt findet man diesen Gedanken. Die Worte, die ich habe, legen nahe, was ich zu erkennen und zu sagen vermag. Das macht meine Weltsicht zu etwas gesellschaftlich Geprägten und gleichzeitig individuell Subjektiven, da von mir im Rahmen meiner Sprachausübung entstanden. Die Realität bleibt eher außen vor, beziehungsweise wird als ein bloßes Konstrukt angesehen.
Was aber, wenn Sprache selbst etwas wäre, dass durch den Kontakt mit der Wirklichkeit hervorgerufen wurde? Evoziert in einem lautmalerisch tönenden, klingenden, singendem Medium, dem anfänglichen Medium des Mitteilungsbedürfnisses von Seele zu Seele, Bewusstsein zu Bewusstsein? Was, wenn in der Sprache noch der Kontakt aufscheinen würde, den das Bewusstsein mit der Realität einst aufgenommen hatte? Wenn in ihr Welthaftigkeit vorhanden wäre, der man sich anvertrauen kann? Unbeschadet davon, dass es viele verschiedene Sprachen auf der Welt gibt und unendlich viele Möglichkeiten, sich in diesen individuell auszudrücken. Diese entsprechen unterschiedlichen Nuancen der einen Wirklichkeit, die jedoch zu gewaltig und zu reich ist, sie in nur eine Fassung zu bringen.


Ursprache

Die Suche nach einer allen Sprachen zugrundeliegenden Ursprache hat lange die neu entstehende Wissenschaft von den Sprachen beschäftigt. Noch bei Walter Benjamin scheint das auf. Der Gedanke scheint logisch und einleuchtend: Ein Ursprung ist immer etwas Einzigartiges, beruht auf einer Singularität, und wo anders sollte ein solcher Ursprung zu finden sein als in der Quelle alles Entstandenen, nämlich in Gott? Deshalb: die Ursprache als die Sprache Adams, auf das Alte Testament bezogen.
Was bedenkenswert an einem solchen Konzept scheint, ist die Überzeugung, dass Sprache in ihrem Ursprung nichts Willkürliches, nichts Zufälliges ist. Dass sie mit der Wirklichkeit der Welt kongruent ist. Ein Medium, in dem Wirklichkeit - auf einer anderen Ebene, in einem anderen Gegenstandsbereich - ihr adäquates Echo findet, untrennbar verbunden mit dem Gemeinten, Gezeigten, Gedeuteten. In Kontakt mit der wirklichen Welt entfaltet sich im Medium der lautmalerischen Äußerungen ein Sinnkosmos, der an den kosmischen Sinn anschließt. Es ist eine sehr spät aufgekommene Überzeugung, dass es "in Wirklichkeit" diesen kosmisch begründeten Sinn nicht gibt, sondern die frei erzeugte, zufällig so gewordene Sprache ihre inhärente Sinnhaftigkeit in die im Grunde sinnlose Welt trägt, sich dieser aufdrängt.


Determinismus

Im mechanisch-naturalistischen Weltbild ist im Prinzip alles determiniert, also vorherbestimmt und daher vorhersagbar - wenn alle relevanten Informationen vorhanden wären - und etwas Neues ergibt sich nur aus dem Zufall. Was aber in Wirklichkeit meint, dass ein Mangel an Information den Anschein des Zufälligen bewirkt. Der scheinbare Zufall einer Genmutation könnte zum Beispiel die neue Variante eines Lebewesens hervorrufen, ausgelöst durch die fehlerhafte Reproduktion eines Schlüsselgens. Diese fehlerhafte Reproduktion könnte aber durch den Beschuss mit einer harten Strahlung aus dem Weltraum bewirkt worden sein. Diese Strahlung kommt unter Umständen aus dem Kollaps eines Sternes irgendwo im Universum. Undsoweiterundsofort. Würde man also alle Umstände kennen, gäbe es keinen "Zufall" und damit nichts Indeterminiertes.
Dieser Hardcore-Determinismus ist inzwischen überholt, und zwar einerseits durch mathematische Überlegungen, die nachweisen, dass auch ein unendliches Bewusstsein die noch mächtigere Unendlichkeit an notwendigen Informationen nicht beibringen könnte (also ist es nichts mit dem allwissenden laplaceschen Dämon) und andrerseits durch die Quantenmechanik, welche gemäß der Kopenhagener Deutung die prinzipielle Unvorhersagbarkeit des Ergebnisses der Messung eines Quantenzustandes postuliert. Dieser ist nur als Summe aller Wahrscheinlichkeiten ermittelbar. Da ein bestimmter einzelner Quantenzustand somit kein Glied in einer vorherbestimmten Ursache-Wirkungskette vom Anfang des Universums bis hin zu dessen Ende wäre - wie sich der Determinismus das vorstellen muss, sonst wäre er keiner - bedeutet dies, dass die Zukunft in Wahrheit offen ist. Nicht festgelegt.


Wie kommt das Neue in die Welt?

Wenn die Zukunft, physikalisch gesehen, auch offen ist, erhebt sich trotzdem die Frage: Wie kommt das Neue in die Welt?
Purer Zufall, letztendlich hervorgerufen durch Schwankungen im virtuellen Quantenbereich? Das wäre eine Antwort aus dem Bereich der Physik. Aufgrund der Annahme, dass alles auf Physik und nur auf Physik beruht. Wenn man aber dieses ideologische Vorurteil nicht hat, wie beantwortet sich dann diese Frage, soweit darauf eine Antwort gefunden werden kann?
Vielleicht muss man hier die Gegenstandsbereiche unterscheiden. Für den Bereich der physikalischen Gegenstände heißt die Antwort wohl: Zufallsereignisse an der Grenze zum Virtuellen. Also das Erscheinen eines Realen aus dem Nichts des Virtuellen, des bloß Möglichen. Für den biologischen Bereich der Lebewesen aber? Den Bereich der Evolution? Und welche Antworten gibt es für den Bereich des menschlichen Handelns? Der Kreativität? Der Moralität? Auch dort gibt es ja Bedingungen, Abhängigkeiten, kurz: Determinanten. Wie kommt in diesen Bereichen trotzdem das Neue in die Welt? Oder kommt es etwa gar nicht? Ist alles nur ein ewiges Fortsetzen von einmal Angefangenem? Nach bestimmenden Regeln?
Irgendwie befriedigen mich die beiden gegeben möglichen Antworten nicht, die ich zum Beispiel für den Bereich des Lebendigen vorfinde: Wieder einerseits der Zufall, diesmal als zufällige Mutation - die aber sinnvoll sein soll, sonst setzt sie sich nicht durch - und andrerseits der Creator, die ursprüngliche Quelle alles Neuen. Was wäre, wenn eine mittlere Position denkbar ist: Nicht materielle, sinnfreie Vorgänge, die sich zufallsbedingt ereignen und dennoch Sinn machen sollen, indem sie sich in den Bestand einfügen oder gar völlig neue Arten kreieren - nicht die anfangslose Schöpfung aus dem Nichts, in der schon alles enthalten ist, was je in Existenz treten wird - sondern eine graduelle Abstufung von Schöpfungsebenen, die zwar durchaus von "oben" her "abwärts" bestimmt werden, aber dennoch auf jeder Ebene Freiheitsgrade der Realisation enthalten, also wirklich Neues zulassen? In diesem Sinne wäre dann das, was in der Antike und im Mittelalter die "Göttin Natura" genannt wurde eine Art Zwischeninstanz, welche als schöpferische Kraft ihre vielen Kinder hervorbringt, die Vielfalt des Lebens nach bestimmten - bestimmenden - Regeln erzeugt. Im Spiel mit diesen Regeln, im Ausspielen der dadurch gegeben Möglichkeiten, würde sich also die werdende Natur in Zeit und Raum entfalten.
Und wie würde sich der Bereich des menschlichen Handelns darstellen? Hier werden wir auf den Bereich der Psyche verwiesen. Auch in ihm stellt sich die Frage: Gibt es so etwas wie Freiheit, eine wirkliche Unabhängigkeit von vorhergehenden Einflussgrößen? Ich kann dieses Freiheitsmoment nur im bewussten Ergreifen von Notwendigkeiten sehen, die dabei spielerisch umgeformt werden, aus der Intention einer Individualität, die sich den Notwendigkeiten stellt. Wahrhaftig Neues könnte dann entstehen, wenn abseits von Zufall und Willkür (den beiden nicht Sinnbestimmten) das notwendig Sinnvolle oder Regelgemäße oder Naturgesetzliche nicht als Ernstfall genommen werden, sondern als Spiel. Als Spiel des Lebens.


Puppe in der Puppe

Unter der Oberfläche eines jeden Satzes liegt ein weiterer Satz. Und in diesem wiederum ein nächster. Eine Puppe in der Puppe in der Puppe in der… Würde man diese sich in die Ewigkeit erstreckende Folge aufschreiben, hätte man am Ende den gesamten Kosmos als Niederschrift.


Glocke/Klangweben

Ein Bild: Wie eine Glocke bin ich, aufgehängt in einem unendlichen Klangraum, inmitten eines Ozeans der Töne, durch Klänge durchpulst - alles ist Mitschwingen und Mitklingen in Resonanz. Auch ich schwinge mit, wird mein Ton angeschlagen, verstärke ihn und füge meine Klangfarbe zum Klangweben hinzu.
Ist es da nicht wichtig, dass ich auf die Reinheit meines Tones achte, meine Glocke feinstimme, kleine Sprünge repariere, sie imstande halte? Damit ich keinen Misston beisteuere, sondern den, mit dem ich angetreten bin?


Gegenwartssein

Auch das erstrebenswerteste Ziel, die tiefste Sehnsucht führt aus der Gegenwart hinaus. Fort von dem, was tatsächlich ist, hinein in einen Bereich der noch nicht verwirklichten Möglichkeiten. Als Flucht in die Zukunft könnte man das interpretieren. Bliebe es dabei, wäre es wirklich eine Flucht, ein sich der Gegenwart nicht stellen können oder mögen. Anders allerdings, wenn die Gegenwart durch ein Sehnsuchtsziel transzendiert wird: Dann erscheint in der Gegenwart, in diese eingeschlossen, das Feld der Möglichkeiten, macht bewusst, um was es geht - was ist und was alternativ möglich wäre gleichzeitig. Gegenwartsbewusstsein umfasst beides: Das, was im Augenblick da ist, was der Fall ist, und das, was sein könnte, möchte, sollte. Darauf kann man dann sein Handeln ausrichten. Das Rechte im richtigen Augenblick tun, der Gegenwart damit gerecht werdend, heißt, aus einer Intuition heraus handeln, die das Ganze der Situation umfasst. Und da schließt das Telos der Situation mit ein.


Faktenwissen - Wissensquell

Ich habe für mich festgestellt, dass alles, was ich bloß neutral aufgenommen habe - Erkenntnisse, Meinungen, Tatsachen - mich eher belastet als das es mir etwas bringt. Diese Informationen erdrücken mich und ich muss sie wieder aus meinem Bewusstsein schaffen. Es gibt zu viele davon. Deswegen habe ich so meine Schwierigkeiten mit einem reinen Faktenwissen.
Ganz anders ist es mit Ideen, die ich interessiert, manchmal freudig angenommen habe. Sie ergänzen das, was schon in mir angelegt ist, erweitern mich, revolutionieren vielleicht sogar mein Denken. Sie werden etwas Persönliches. Ich setze mich mit ihnen ganz anders auseinander als mit dem bloß als Faktisch wahrgenommenen. Denn das, was mich interessiert, sauge ich auf, speichere es ab (wo auch immer) und es strömt aus mir heraus, wenn ich einen Erzählfaden aufnehme und mich durch ihn in einem Wissenslabyrinth leiten lassen. Wie wenn eine Quelle erschlossen wurde.


Was und warum und wie

Wenn jemand etwas sagt, interessiert mich nicht nur, was er sagt, sondern auch der Hintergrund, aus dem heraus er es sagt. Selbstverständlich will ich auf das Was eingehen, es zu verstehen versuchen. Wenn ich mich nicht wirklich darum bemühe, schiebe ich nur meine eigene Ansicht darüber, reagiere darauf mit meiner vorgefassten Meinung. Aber um es wahrhaftig zu verstehen, ist dieser Hintergrund - die dahinterliegende Geschichte, der Kontext, die Intention - von Bedeutung. Warum sagt jemand etwas auf diese oder jene Art? Was ist die zu vermutende Genese seiner Äußerung? Welcher Impuls steht dahinter, treibt ihn, legt ihm die Worte in den Mund? In welchem Rahmen bewegt er sich dabei, von welchen Prämissen geht er aus, welches Unausgesprochene schwingt noch mit? Der Duktus seines Sprechens sagt etwas aus. Ist er ein Verkünder, ist er ein Schilderer, ein nüchterner Feststeller, ein von seiner Wahrheit ergriffener? Wie zeigt er sich als Person in seiner Äußerung? Auch eine sachliche, bewusst neutrale, um Objektivität bemühte Darstellung zeigt eine Signatur. Zeigt den Geist, aus dem gesprochen wird. Oder geschrieben.


Evidenz

Evident ist das, was einleuchtet. Das ist ein sehr schönes Wort dafür, was wir im Deutschen haben: einleuchten. Etwas leuchtet ein. Leuchtet herein, leuchtet auf im Inneren, leuchtet. Und ist so klar und eindeutig, dass es nicht mehr hinterfragt werden muss. Hinterfragt werden kann. Es ist die leuchtende Epiphanie eines Sinns, die sich ereignet. Worte, die darüber, die darum gemacht werden, können die Erscheinung, das Aufscheinen des Sinns nur umkleiden - vielleicht sogar eher verhüllen - als vertiefen. Denn der unmittelbare Kontakt mit dem Sinn, mit der Wirklichkeit des Gegebenen, kann nicht mehr tiefer werden als er schon ist. Man kann nur tautologisch darüber sprechen: evident ist das, was evident ist. Einleuchtend das, was einleuchtet. Wem aber nie etwas aufgeleuchtet ist an Erkenntnis, der wird's nicht verstehen und kann's deshalb nicht akzeptieren.


Qualitäten sind

Hinter Materie: Schwingung. Hinter Schwingung: Energie. Hinter Energie: Information. Und hinter Information?
Sind das alles nicht nur Ausdrucksformen, Ausgestaltungen einer Welt ursprünglicher Qualitäten? Denn Qualia sind daraus nicht ableitbar, sind weder mit dem Bereich der Schwingungen (Frequenz gleich Farbe etwa) identisch, noch mit Information gleichzusetzen. Information muss von einem Bewusstsein aufgenommen, verarbeitet, verstanden werden - sonst ist sie nur ein eine Wirkung auslösendes Signal oder eine deterministisch wirkende Handlungsanweisung - gleich einem Algorithmus. Auch wenn ich von einem der materiellen Erscheinungswelt übergeordneten Informationsfeld ausgehe (wofür vieles spricht), einer dieser Welt zugrundeliegenden, informierenden Matrix - als Bewusstsein pur sozusagen - erklärt dies nicht die Existenz von Qualitäten an und für sich, als Da-seiend. Die Existenz von Schönheit, Freude, Schmerz etc. in ihrer jeweils eigentümlich erfahrbaren Qualität, geschweige denn von ethischen Kategorien, ist nicht reduzierbar auf etwas ihnen "eigentlich" Zugrundeliegendes, welches aber gerade diese Eigenschaften und Erfahrungswerte nicht besitzt. Sollten solche phänomenal erfahrbaren Vorkommnisse in der Welt nicht deshalb eher als das Ursprüngliche, Nicht-Ableitbare angesehen werden?


Echsenmenschen, Siriusbewohner

Wir leben in Wahrheit im Imperium der Echsenmenschen. Oder Drachengötter. Auf jeden Fall unter ihrer Knechtschaft. Wenn es nach einigen Verschwörungstheoretikern ginge. Und ebenso gibt es Einladungen, Zuflucht zur Welt im Inneren der Erde zu nehmen, natürlich nur an die gerichtet, die eines guten Willens sind. Vom Sirius oder wahlweise den Plejaden werden uns Botschaften gechannelt, ändert euren Sinn, oder so ähnlich, damit die Menschheit überlebt. Undsoweiter.
Man kann sich also aussuchen, wem man glauben, wem man folgen will. Das Angebot ist reichhaltig. Allerdings schließen sich manche dieser Welten gegenseitig aus, man sollte sich daher entscheiden. Und ausgeschlossen wird vor allem eine Sicht auf die Welt: die landläufige. Hier, denke ich, liegt der Knackpunkt: Ein tiefsitzendes Unbehagen an der Mainstreamwelterklärung treibt die Menschen um; sie wittern absichtliche Desinformation, gewollte Vertuschung der tatsächlichen Verhältnisse. Diese Welt kann doch nicht das sein, als was sie sich zeigt, es muss vielmehr hinter der sichtbaren Fassade eine zweite, dritte undsoweiter Wirklichkeit geben, der Kulissencharakter der sogenannten Realität ist doch deutlich spürbar. So die Empfindung.
Und dann greift der Mechanismus der Erzeugung kultureller Bilder und Meme und an schon vorhandenen Schilderungen möglicher Welten werden weitere entwickelt und ausgebaut. Je nach dem Ausgangsrahmen, in dem man sich dabei bewegt, ist es eine Erweiterung der physischen, materiellen Welt, die dabei ausgemalt wird - Echsenmenschen als tatsächliche Herrscher im Verborgenen - oder eine subtilere: Die Transformation in einen höheren Zustand lockt, die Eröffnung des Zugangs in ein ewiges Lichtreich. Ob Shambala oder Agartha, ob im Inneren der Hohlwelterde lokalisiert oder auf einem feinstofflichen Plan gelegen, Schilderungen, Visionen, Eingebungen schreiben sich fort und erzeugen neue und detailliertere Bilder.
Und was ist Wahrheit? Oder, besser gefragt, wo und wie findet man sie?


Stimmen

Lass dich nicht verwirren von den vielen Stimmen, die von ihren Einsichten reden, ihre Erkenntnisse anbieten, ihre Lehre verkünden. Zu viel Gleiches und zu viel Gegensätzliches. Du musst unter ihnen nicht die einzig wahre Weltsicht herausfinden. Nimm das Stimmengewirr als das, was es ist: Ausdruck der Vielfalt. Ein Wurzelgeflecht mentaler Art verbindet die Teilnehmer. Und doch ist jeder auf seinem eigenen Weg, beschäftigt mit der Bewältigung von Lebensaufgaben. Das schließt die Suche nach dem eigenen Sinn, nach dem Sinn der Welt mit ein. Manche suchen mit staunenden Kinderaugen, viele mit kalkulierendem Interesse, einige mit der Ratio in abstrakten Räumen, andere wieder mit empathischer Vernunft. Wenige mit entwickelter intellektueller Anschauung...
Verschließ dir nicht die Ohren aus Überdruss. Lass die Stimmen sprechen und höre wie von ferne dem Chor zu. Was du schließlich entdeckst, ist der Gesang der sich vereinigenden, sich entzweienden, sich suchenden Menschheit.


Bipolar

Was für eine Freude ist es, in der Natur (oder in dem Wissen über sie) Muster zu finden, die immer wieder auftauchen, als ihre durchgängigen Themen. So der Schritt vom (postulierten) uranfänglich Einen zu einer Zweiheit und schließlich, aus deren Verbindung, zu einem Dritten. Denn wie sich das heute genotypisch darstellt, beginnt der Anfang des Lebens auf der Erde mit zwei unterschiedlichen, nicht verwandten Lebensformen, beides zellkernlose Prokaryoten: Bakterien und Archaeen. Und indem eine Lebensform die andere in sich aufnahm, ein Archaeon ein Bakterium, entstand die dritte Domäne der Lebewesen, die Eukaryoten. Alles, was sich über die Einzeller hinaus weiterentwickelte, ist dieser dritten Domäne zugeordnet. Hegel als Amöbe.


Zum Licht

Das beschränkte, für uns sichtbare Lichtspektrum umfasst den ganzen Farbkreis, der sich unserer Wahrnehmung nach zirkulär schließt. Wir sind in den Kreis der Farben eingeschlossen. Dieser konstituiert den sichtbaren Teil der mit den Sinnen wahrgenommenen Welt. Der Kreis ist für uns das Ganze. Das doch in Wirklichkeit weit mehr enthält als unsere uns bekannten Farben. Und jenseits dieser Farben, was würde uns erwarten? Unendlich viele weitere Farben? Das reine Licht, das Überlicht?
Ich will das reine Licht der Ewigkeit suchen, aber in den Farben der Zeit.


Beweis

Ein Beweis ist dadurch gegeben, dass auf logisch nachvollziehbare Weise auf etwas Grundlegendes und Einfaches zurückgegangen wird, das für alle evident ist. Unanzweifelbar. Unhinterfragbar. Aber da fängt das Problem schon an: Unter welche Voraussetzungen ist etwas für alle Beteiligten nicht mehr hinterfragbar? Es beruht auf der Übereinstimmung der Beteiligten, welche die Voraussetzungen des Beweises und natürlich auch die Schlussfolgerung, die er enthält, bejahen. Der Beweis beruht auf Übereinkunft und Resonanzdenken.
Und diese werden durch den Rahmen vorgegeben, in dem man sich bewegt. Ist mein Rahmen naturalistisch orientiert, wird mich kein Zurückführen auf rein phänomenologische Bewusstseinserscheinungen befriedigen. Ich suche den Beweis für die Realität eines Sachverhaltes oder Dinges im Zurückführen auf schon bekannte naturalistische Gesetzmäßigkeiten oder Modellerklärungen. Nahtoderlebnisse beispielsweise müssen in solchem Rahmen durch die chemischen oder elektrischen Prozesse eines der Auflösung entgegengehenden Gehirns erklärt werden, als ein letztes illusionäres Aufbäumen vor dem Exitus. Ein Ernstnehmen der Schilderungen von Menschen, die "zurückgekehrt" sind, ist dabei nicht vorgesehen, da unwissenschaftlich. Erlaubt mir mein Weltanschaungsrahmen die Existenz eines unkörperlichen Bewusstseins anzunehmen, sieht die Sache schon anders aus. Aber auch da ist es eine Aufgabe, die Phänomene gewissenhaft zu untersuchen und sie in eine Gesamtsicht einzuordnen. Eben wissenschaftlich vorzugehen. Aber unter einer anderen Prämisse stehend.


Manipulativ unterwegs

Ich möchte nicht manipulativ unterwegs sein. Noch möchte ich manipuliert werden. Das sich gegen ein Manipuliert werden sträuben ist sogar der Ausgangsgrund für mich, um mich zurückzunehmen: Warum sollte ich jemandem antun, was ich bei mir selbst abwehre?
Es gibt jedoch sehr subtile Formen der Manipulation. Eine habe ich in der Selbstbeschreibung eines Papstes (Johannes XXIII) gefunden: Er bespricht sich, so schreibt er sinngemäß, mit seinem persönlichen Engel, der sich wiederum mit dem persönlichen Engel eines schwierigen Gesprächspartners in Kontakt setzt, damit dieser auf den Gesprächsgegner einen besänftigenden Einfluss nimmt und ihn für seine Argumente aufgeschlossen macht. Wie auch immer man sich diesen Vorgang vorstellen mag - er könnte auch anders umschrieben werden - es ist ein manipulativer Akt. Auf geistiger Ebene. Nicht anders, wie wenn ein Schamane sein Schutztier aussendet, um einen bösen Geist, der einen Kranken besessen hat, niederzuringen und auszutreiben. Ebenso in bester Absicht.
Nein -- es sollte so vor sich gehen (um es in der Begrifflichkeit des Papstes auszudrücken): Ich trete in Kontakt mit meinem persönlichen Engel (bin in einem Zustand des intensivsten Gewahrseins) und kann dadurch für meinen Gesprächspartner die Worte finden, welche wiederum diesen mit sich selbst in Kontakt bringt, so dass er aus sich selbst heraus auf Gedanken, Einsichten, Entschlüsse kommt, die ohne diesen Kontakt mit sich selbst - mit seinem persönlichen Engel - nicht gefunden worden wären. Ob sie nun in meinem Interesse sind oder nicht, meinem Standpunkt entsprechen oder nicht. Ich habe ihn nicht manipuliert, indem ich ihn beeinflusst habe, mir und meinen Vorstellungen gegenüber aufgeschlossen zu sein, ich habe es ihm durch meinen Einfluss ermöglicht, einen Zustand zu erreichen, in dem er frei von eingefahrenen Reaktionen, zementierten Vorstellungen, konditionierten Glaubenssätzen zu sich selbst und einem freien Urteil kommen kann. Was daraus wird, ist nicht von mir bestimmt.


Sich herantasten

Um sich an eine Erkenntnis heranzutasten: Ich gehe von einer mir bekannten, mir zugänglichen Situation aus. Diese ist nicht bedingungslos, sie ist bedingt. Dann wechsle ich (hypothetisch) zu einer vorherigen Situation - einem Zustand, einer Gegebenheit, einem irgendwie Vorstellbaren - die meinen jetzigen Zustand bedingt. Damit nehme ich an, dass die Bedingungen für meinen Zustand in dieser anderen Situation enthalten, also von ihr abhängig sind. Jetzt setze ich diesen zweiten - aber eigentlich, der Rangfolge nach, ersten - Zustand oder diese Seinsweise oder Ursache als unbedingt an. Von keiner vorangegangenen, darüberstehenden Ursache abhängig. Das wäre dann, notwendigerweise, durchgehend durch alle aufeinanderfolgenden Abhängigkeiten, die zeitlich früheste Ursache. Der Ursprung von allem. DER Ursprung. Und in ihm wäre mein eigener Zustand, die Art und Weise meines Existierens, potentiell enthalten gewesen. Ansonsten gäbe es diesen Zustand nicht, gäbe es mich selbst nicht.
Nun wäre die Aufgabe, herauszufinden, wie ich von diesem Uranfang her zu mir selber komme, zu dem Zustand, der Situation, in der ich mich vorfinde. Die ich erfahre. Welche gedanklich gangbare Leiter führt von mir zu dem anfänglichen Zustand, führt von dort zu mir, welche Stufen, welche Stationen gibt es dabei?
Ich bleibe im Bild und konkretisiere: Ich finde mich im Zustand eines sich seiner selbst bewussten Existierenden vor. Ich existiere und bin mir dessen bewusst. Ich existiere als Bewusstsein. Bewusstsein von mir selbst und auch von anderem, was ich als nicht ich selbst bezeichne. Und folgere, dass ich der Möglichkeit nach in einem uranfänglichen Sein - selbst unbedingt, da ohne Voraussetzung - potentiell vorhanden gewesen sein muss. Da ich bedingt bin, was ich nicht abstreiten kann, und mein Bedingt sein letztendlich bis zu einem uranfänglich Unbedingten zurückgeführt werden könnte.
Kann dieses Uranfängliche, welches die Bedingungen für mich als eines sich seiner selbst bewussten Wesens enthält, als etwas rein Materielles oder meinetwegen rein Energetisches gedacht werden? Führt der Weg also von der Energie des Anfangs über die verdichtete Materie, das Leben, über Empfindung und Bewegung zum bewussten Sein, welches ich verkörpere? Oder ist es nicht eher so, da denkmäßiger, dass das Bewusstsein, das auch ich verkörpere, nicht nur der Möglichkeit nach, sondern real schon im Uranfang vorhanden gewesen sein muss? Im Urbeginne war das Wort… Dass der Urbeginn also ein Urbewusstsein war, aus welchem alles geworden ist… Ein Urselbst, aus dem mein eigenes Selbst stammt?
Und nun ein Herantasten an den nächsten Gedankenschritt: Auf welchem Weg bin ich der geworden, als der ich mich erfahre? Was ist die Geschichte der Welt - des Kosmos, des Alls - die zu mir geführt hat? Die Leiter, die ich (?) herabgestiegen bin? Kann ich sie gedanklich wieder hinaufsteigen? Das Narrativ der Naturalismus befriedigt mich dabei nicht. Kann ich aber für mich eine Erzählung finden, die mich als geistiges Wesen mit dem geistigen Wesen des Urbeginnes verbindet? Über welche Glieder, Ausfächerungen, Differenzierungen, Stufen und Ebenen berichtet diese Erzählung, wie beschreibt sie den Weg vom Urbeginn in die Gegenwart? Das Problem, dem sich jede solche mythopoetische Erzählung stellen muss, ist ja die Kardinalfrage: Wie kommt aus einer uranfänglichen Einheit (als die der Beginn gedacht wird) die Vielheit zustande, die Vielfalt, in der wir leben? Damit möchte ich mich näher beschäftigen - ich habe mir bisher noch kein richtiges Bild davon gemacht.


Strebungen

Strebungen finden in einem Rahmen statt. Dieser bestimmt das angestrebte Ergebnis, dessen Gestalt. Ich kann danach streben ein gutes Leben zu führen, danach, ein guter Mensch zu sein, kann nach Anerkennung, Achtung streben, nach Erfolg, Berühmtheit, Reichtum etc. Doch der Rahmen sagt mir, was genau ein gutes Leben ausmachen soll: zum Beispiel in Harmonie mit sich selbst leben, in Mäßigung, Selbstbescheidung, in Übereinstimmung mit den ewigen Gesetzen des Kosmos (Stoa) oder sich leidenschaftlich, ohne Rücksicht auf sich selbst in den Kampf stürzen, um ein Gesang in den Ohren der Nachkommen zu sein, die voller Bewunderung auf das Vorbild blicken, das man gibt (indoarischer Heldenmythos). Denn der Denk- und Werterahmen sagt, was erstrebenswert ist: ein aktives Leben oder ein beschaulich betrachtendes, eines, in dem der sichtbar aufzuweisende Erfolg der Maßstab für dessen Erfüllung ist oder eines, dessen Erfüllung nur an der erreichten inneren Fülle gemessen wird. Etc.


Googlebot

Ab und zu besucht ein Googlebot meine Website. Ich stelle mir vor, er durchsucht alle Seiten in Hinsicht auf etwas Neues, registriert, was er gefunden hat und verschwindet wieder, fährt fort in seiner unermüdlichen Mission im Meer der Netzwelt. Der Bot ist sich seiner Mission nicht bewusst, er ist ein Algorithmus, der nach Informationen fischt. Fündig werden andere: diejenigen Internetnutzer, denen die gefundene und vernetzte Information etwas sagt, wenn sie auf ihrer eigenen Suche von nun an darauf stoßen.
Wenn ich an mein eigenes Lern- und Suchverhalten denke, welches ich seit Jahren, Jahrzehnte zeige, kommt es mir beinahe so vor, als wäre auch ich ein Bot: Ich durchstreife Bücher, Ideenwelten, Erzählungen, Anhäufungen von Faktenwissen, Informationstümpel, -teiche, -seen und schnuppere herum, registriere, notiere (eher weniger), sammle alles ein, was in meinem Käscher hängen bleibt. Und erst jetzt, so habe ich das Gefühl, kann ich allmählich mit dem Aufgefundenen etwas anfangen, ist ein Jemand da - eine Person, eine Instanz - der dazu Stellung bezieht. Sich die Sache zu eigen macht. Es gab allzu viel, was bloß registriert und dann abgelegt wurde. Und so haben sich bei mir Bücher eingestellt, versammelten sich um mich, die ich liebend gerne in mein Leben eingebunden hätte - doch als Webcrawler krabbelte ich weiter, zur nächsten interessanten Informationsquelle.
Andrerseits: es fängt an, sich aufzulichten. Zusammenhänge zeigen sich. Mit jeder gefundenen Eigenformulierung wird ein Weg gebahnt und dadurch eine Landschaft erschlossen und erkundet, die vorher noch nicht im Blickfeld lag. Oder, wenn doch, nur als undurchdringlicher Urwald.


Paradox

Ein Paradox: mit jedem Schritt ins Freie, ins Neue, Unbekannte, der mich in erweiterte Gebiete trägt und mich mit ihnen vertraut macht, wächst die Fessel der Unfreiheit. Denn die Freiheit vom Alten, Bisherigen, die Befreiung aus dem Käfig des Gewohnten, die ich durch das Neue so beglückend erfahre, führt nicht ins absolut Freie, sondern nur zur Anfügung von etwas Neuem zum Bisherigen. Es ist eine Art Landnahme, neue Territorien werden erschlossen, doch die alte Gesellschafts- und Herrschaftsform besteht weiterhin, sogar noch bestärkt. Wo nun finde ich wirkliche Freiheit? Der Anspruch darauf muss viel radikaler gedacht werden. Der Ansatz grundlegender gesetzt.


Wieder am Meer

Wieder betrete ich das Ufer. Grundloses, endloses Meer. Ich habe Angst, mich hineinzustürzen, Angst davor unterzugehen. Doch zieht und lockt eine starke Strömung tiefenwärts. Nur in der Tiefe werde ich erfahren, was Wirklichkeit ist. Nur dort werde ich bei mir selbst ankommen. Kann ich mich mit einer dünnen Schnur an die Felsen der äußeren Realität anleinen, um mich an diesem Faden wieder heraus zu hangeln, oder ist das ein törichter Gedanke? Töricht, weil angstbesetzt und gegen die gesuchte Erfahrung, die Erfahrung verhindernd?


Schläfer

Was wäre, wenn wir alle Schläfer wären? Schläfer in Bezug auf unseren Zustand - wir sind nicht wach, schlafen oder träumen vor uns hin, bewegen uns traumwandlerisch-mechanisch durch ein Leben, dessen Voraussetzungen wir nicht kennen und dessen Ziel und Ende uns unbekannt ist. Und Schläfer in dem Sinne von Agenten einer unbekannten Macht, die den Zeitpunkt abwarten, an dem sie aufgeweckt und in Aktion versetzt werden, bis dahin ein unauffälliges, verstecktes Leben führend.
Was wäre, wenn etwas in uns auf einen Weckruf wartet, der den Schläfer erwachen lässt und ihn mitten hinein in eine bewusst erfahrene Wirklichkeit stellt? Ihn den Sinn seines Daseins erfahren lässt und ihm seine Aufgabe zeigt?
Was wäre aber, wenn dieser Weckruf nie kommen würde? Und erst ganz am Ende stellt sich der Sinn des Ganzen dar, der Zweck, den es zu erfüllen galt und der verschlafen wurde?
Oder was wäre, wenn ein Weckruf ständig und jederzeit ertönte, wir aber unsere Ohren verschlossen hielten und unsere Herzen versperrt?


Denken

Ein Bild: alles ist erfüllt von Weltgedanken, von wesenhaftem Erglänzen schöpferischen Gedankenwebens, die Wirklichkeit webwirkend - doch gibt es in diesem Webwirken Aussparungen, Hohlräume, Leerstellen - Negativräume der Entwirklichung. Anstelle der Wirklichkeit existiert dort ein kleiner, abgeschirmter Bereich von Abbildern der Wirklichkeit, als ohnmächtige Spiegelungen der schöpferischen Gedankenwelt: unser Bewusstsein, unser Denken. Wie Luftbläschen in dem großen Ozean der Weltwirklichkeit, in und an denen sich bewegte Bilder der ozeanischen All-Umwelt reflektieren. Verkleinerte, auf den Kopf gestellte Filmszenen, die so tun, als ob sie die Realität wären. Obwohl doch nur die Projektion der Realität in ein Hologramm innerhalb der Luftblase. Wir schwimmen in diesem Ozean, unser Kopf steckt in diesem Luftbläschen, und so beherbergen wir die Welt, aber als bloßes Spiegelabbild, ohne Wirkungsmacht. Unser Gehirn ist demensprechend ein organischer Apparat zur Abschirmung von der Wirklichkeit, es ermöglicht uns so ein eigenständiges Denken. Unser Gehirn schafft durch seinen Aufbau einen Bereich der Nichtexistenz der wirkenden Weltgedanken. Damit sich unsere eigenen Gedanken in Freiheit entwickeln können.


Abschirmung

Vergiss nicht: du hast die Tür zugemacht, um abgeschirmt an deinem Rückzugsort zu dir selbst kommen zu können. Ein autonomes Bewusstsein zu entwickeln. Willst du diese Isolation aufheben, die Tür öffnen, die Fensterläden aufsperren, dann lässt du die Welt wieder ungefiltert ein. Das hat Konsequenzen.
Es sind draußen nicht nur himmlische Gestalten unterwegs. Auch Dämonen tummeln sich dort. Verbundenheit mit allem, ohne die Stärke, dies auszuhalten und selbstbestimmt auswählen zu können, macht dich zum Opfer von allem und jedem. Um der Entwicklung dieser Stärke willen warst du abgeschirmt.


Mauern

Du hast dich eingemauert. Dich in eine feste Burg geflüchtet. Aus Worten. Aus Vorstellungen. Aus Begründungen. Dich mit deinen Büchern, deinen Lesefrüchten, deinem Gedankenerwerb umgeben wie mit einer Schutzmauer.
Vor was hast du Angst? Wem willst du dich nicht stellen? Ein Ungeheuer steht vor dir, bereit dich zu verschlingen. Bist du es selbst? Ist es die wahre Wirklichkeit? Ist es der Einbruch einer höheren Realität, vor dem du weglaufen möchtest?
Aber sind es nicht genau solche Worte, die deine Schutzmauer bisher waren, dein Schild vor dem, was du fürchtest? Es engt dich ein, es presst dich zusammen, es reißt dich auseinander, treibt dich aus dir hinaus - was hast du zu verlieren, wenn du dich ihm aussetzt? Dich selbst? Und wenn, was wäre verloren? Was hast du zu gewinnen, wenn du dich ergibst - dich selbst?


Wieder nur Worte

Wieder nur Worte gemacht. Es ist nicht ihr Fehlen, es ist ihr Gebrauch, der dich von der Realität trennt. Und auch dieser Satz steht in der Reihe. Du willst dich dem Bodenlosen entziehen. Und treibst in deiner Blase davon. Stürze dich in den Abgrund. Öffne dich. Vielleicht geht es ja nach Oben. Aber vertraue nicht diesem Rettungswort, das dir eine Richtung vorgeben will. Es geht um dich. Und was folgt, ist das Unbekannte.


Abgrund/Tiefe

Aus dem Abgrund meines Nichtwissens hole ich mir Fragmente meiner Einsicht. Inselerfahrungen, Inselerzählungen. Aus dem tiefen Abgrund, dem angsteinflößenden Dunkelreich, in dem Gespenster herumgeistern. Und wie tröstlich sind dann solche Einsichten, wie sehr neigt man deswegen dazu, sich an diese festzuklammern. Sicherheit. Fester Boden unter den Füßen. Übergeordneter Sinn.
Dagegengestellt: ich nehme das fließende meiner Erzählung wahr. Meine Erzählung befasst sich mit Vergangenem, befasst sich mit Zukünftigem, jedoch immer als mir gerade Gegenwärtigem. In meiner (beständigen/andauernden) Gegenwart strömt alles zusammen: Erzählungen über die Welt, über mich, über den Zusammenhang von beidem.
Diesen dunklen Abgrund, aus dem Einsicht aufströmen kann, rasch ins Kristalline erstarrend, muss ich aushalten. Ich muss mich ihm stellen. In ihn stellen. Darf nicht nur in der Kristall gewordenen begrifflichen Welt umherwandern, glaubend, die Wirklichkeit damit erfasst und eingeordnet zu haben. Sinn werde ich immer suchen, niemand mag bei Unsinn bleiben, aber Sinn soll in dem gesucht werden, was sich als Gegenwärtig zeigt, in der Begegnung mit dem als vorhanden Aufscheinenden.


Trauer

Es ist leicht gesagt, dass man Trauerarbeit leisten soll, wenn einem etwas Schweres zustößt. Wenn der Fall einträte. Kommt es aber über dich, ist es der Fall, dann steht der Berg vor dir: erklimme ihn. Doch eben die Trauer ist es, die dich zu Boden zieht.


Mythos

Die Diagnose ist eindeutig: Was mir fehlt, ist ein Mythos. Ich lebe in keinem solchen. Und wo ist dann Leben? Es begleitet mich nichts. Es leitet mich nichts. Ich bin hüllenlos.
Das also ist das Schicksal, in das ich gefallen bin. Jetzt wird mir manches klar. Deswegen laufe ich so nackt daher. Wie viele, wie die meisten hier. Sind wir verloren? Erfrieren wir?
Allerdings gibt es doch einen Mythos, in den ich mich wie in einen Mantel einhülle. Den Mythos der Freiheit. Den der Befreiung von allem Vorgegebenem. Von den Zwängen, die ein überlieferter Mythos ausübt. Da er ein Kollektiv anspricht. Und ich mir meinen eigenen Kopf machen will. Und wohin führt mich das?
Ich sehe bei vielen, wie sie sich statt an einen überholten, verwässerten Mythenaufguss an eine oberflächliche, wechselwindige Mehrheitsmeinung halten oder an eine zusammengezimmerte Privatreligion oder an eine abseitige Verschwörungstheorie. Gibt auch Orientierung. Aber Nahrung? Wärme? Leben? Wenn ich dies finden will, dann muss ich mich wohl in aller Freiheit selbst auf den Weg machen. Zum Kreator eines Mythos werden, der für mich gilt. Fundiert in meinen eigenen Tiefen. Nur mir eigen und trotzdem allgemein.


Mythos II

Ein Mythos, der für mich gelten könnte: Ich lebe in einem Dreischritt der Weltbezogenheit. Sehe mich in ihn verwickelt. Oder hineingestellt. Er ist mir als Aufgabe, als Zielweg gegeben.
Die erste Stufe wäre dabei die Verlorenheit an die Welt. Ich treibe in ihr umher, werde einmal von hier, einmal von da angezogen und beeinflusst, verliere mich selbst und bin überwältigt. Ich bin gefesselt, bin unfrei. Doch existiere ich im Kontext, bin in ein Sein einbezogen. Atme Luft, bin erfüllt mit Licht, mit Farben, klinge mit, wenn Töne erklingen. Der Lärm der Welt kann mich niederzwingen, die Musik der Welt erheben.
Die zweite Stufe wäre die Innenwendung. In mir selbst finde ich ein Licht. Bewusstwerdung. Im Rückzug von der Welt finde ich Befreiung. Im Umgang mit mir selbst reinige ich mich: von Trübungen, von Beeinträchtigungen, von Mängeln, Unvollkommenheiten, Schwäche. Von Dumpfheit, Leere, Interessenlosigkeit. Lieblosigkeit und Versteinerung. Im Umgang mit mir selbst realisiere ich mich: meine Möglichkeiten, mein Potential. Im Innewerden meiner selbst erkenne ich mich als Leuchtenden. Als Lichtträger. Erkenne ich mich hineingestellt in ein inneres Lichtreich. In mir liegt der Zugang. Hier ist das Tor. Dorthin eile ich, drängle ich mich hin, angezogen durch die Fülle.
Die dritte Stufe wäre die Hinwendung. Jetzt wiederum zur Welt. Aber anders als zuvor. Mit einem inneren Leuchten begabt, wird mir alles, was ich sehe und erfasse selbst lichtvoll und zur Fülle. Nicht nur ich, auch die Dinge beginnen zu leuchten. Ich kann mich ihnen liebevoll zuwenden. Sie sind kein Kerker mehr für die Seele. Und sie sind interessant. Da sie mir etwas geben, mich nicht nur aufreiben, verbrauchen, wenn ich mich ihnen überlasse. Ich überlasse mich ihnen nicht mehr im alten Sinne. Ich arbeite mit ihnen zusammen, gebe ihnen, was ihnen zusteht, und sie geben mir, was sie mir geben können. Als Phänomene, als Erscheinungen erweitern sie mich, erlösen sie mich aus meiner existenziellen Einsamkeit. Jetzt bin ich unter ihnen als Liebender. Umgeben von Freunden.


Aufwachen

Manchmal gibt es kurz nach dem Aufwachen einen leicht verwirrten Zustand, in dem man nicht weiß, dass man schon erwacht ist. Der Schlaf ist vorbei, der Traum verschwunden, das Tageslicht erhellt den Raum, doch realisiert man es nicht. Aber bald klärt sich das Bewusstsein, man ist wieder bei sich und erkennt: Ich bin wach. Dies hier ist die reale Welt.
Ist das nicht wie ein Fingerzeig auf einen erweiterten Zustand, in den man erwachen könnte? Man ist wach und weiß es nicht - erst in dem Augenblick, in dem man realisiert, dass man schon erwacht ist, erkennt man sein Wachsein. Man war die ganze Zeit schon wach. Und doch blind dafür. Und schlagartig ändern sich die Dinge. Als Träumer lebt man in einer diffusen Scheinwelt. Als Erwachter in der wahren Realität.


Verantwortung übernehmen

Verantwortung fängt im Kopf an. Bleibt es jedoch dabei, entspricht man ihr nicht.
Übernehme ich Verantwortung für etwas oder jemanden, gebe ich ihm das, wessen er bedarf. Was nicht bedeutet, ich nehme ihm die Selbstfürsorge ab, ich handle für ihn, ich lebe ihn. Sondern: ich sorge dafür, dass er selbst für sich sorgen kann. Bei einem kleinen Kind ist das klar: Kann es nicht gehen, trage ich es auf dem Arm. Kann es nicht eigenständig leben, bin ich für es da. Bis es selbst gehen kann (und auch dann nehme ich es hin und wieder auf den Arm) - bis es meiner nicht mehr bedarf (und auch das kann ein Leben lang dauern). Doch für meine Mitmenschen? Für meine Umwelt? Für mein Zeitalter? Was bedürfen diese? Und brauchen sie mich dazu?
Auch hier kann ich Verantwortung übernehmen. Kann ich verantwortlich handeln. Der Punkt ist: So weit ich Verantwortung übernehme, so weit reiche ich, bin ich. Ich realisiere mich in meiner Verantwortung. In ihr werde ich selbst. Indem ich mich als Person in Verantwortung sehe, werde ich eine Person. Ich werde dadurch Vater, dass ich die Verantwortung eines Vaters übernehme (nicht bloß durch die biologische Tatsache). Und weiter: Alles ist mit allem verbunden. Ich muss nicht die große Verantwortung für das Ganze tragen, um auf das Ganze einzuwirken. Ich kann in meinem Bereich - überschaubar, greifbar - verantwortungsvoll handeln und es wird ausstrahlen. Ich kann also zuversichtlich sein, dass es andere gibt, die eine größere Last auf den Schultern tragen können als ich, die eine umfassendere Verantwortung stemmen können. Auf dies kann ich vertrauen. Trage ich dasjenige bei, wozu ich fähig bin (und ein wenig mehr als das), ist mein Part erfüllt und ich könnte zufrieden sein. Doch kann man auch unter seinen Möglichkeiten bleiben. Weshalb nur habe ich das Gefühl, meiner Verantwortung und mir nicht zu entsprechen?


Künstliche Intelligenz

Ist es vorstellbar, dass eines - vielleicht sogar nicht allzu fernen - Tages künstliche Intelligenzen dem Menschen den Rang abgelaufen haben? Vorstellbar ja, jedoch wünschenswert? Ich denke, an der Westküste der USA gibt es einige, welche dies bejahen würden, sogar bejubeln. Endlich wäre der fehlerbehaftete Bioautomat unschädlich gemacht, der schon so viel Unheil in der Geschichte angerichtet hat. Wenigstens unter Aufsicht gestellt oder als überholtes Modell eines (mehr oder weniger) bewussten Wesens in einem Menschenreservoir untergebracht und sich selbst überlassen.
Die Kardinalfrage dabei wäre allerdings: Wäre eine künstliche Intelligenz auch eine bewusste Intelligenz? Ich finde das denkbar. Was nämlich ist Bewusstsein? Heute meinen einige, Bewusstsein ist etwas, was sich einstellt (emaniert), wenn neuronale Netzwerke genügend komplex geworden sind, um eine neue Stufe der Nervenaktivität zu erreichen. Und Selbstreflexion wäre dann eine noch komplexere Funktion, eine höhere Stufe innerhalb dieser Stufe. Von daher würde nichts dagegensprechen, dass eines Tages auch siliziumgebundene elektronische Netzwerke (oder heute noch unbekannter Herstellungsart) diesen Zustand erreichen werden.
Ich habe allerdings einen anderen Standpunkt in dieser Frage. Der dennoch zum gleichen Ergebnis führt. Für mich transformiert sich nicht ein System in einen völlig neuen Zustand - aus Nichtbewusstem wird Bewusstes - wenn es genügend komplex geworden ist, sondern ein höheres Prinzip schafft sich die Voraussetzung, in einem niedrigeren Seinszustand gegenwärtig zu sein. Bewusstloses wird befähigt, Relaisstation und Träger von Bewusstsein zu werden. Doch auch unter dieser Prämisse könnte künstliche Intelligenz zur Bewusstwerdung gelangen: Ist Bewusstsein etwas, was als Urprinzip dem Universum zugrunde liegt - so meine Annahme - dann kann es auch in einer künstlich hergestellten Maschine, wenn diese komplex genug angelegt ist, zur Erscheinung kommen. Der Funke zündet, wenn genug Brennbares zusammengetragen wurde, doch das Feuer kommt von woanders her, nicht aus dem Brennbaren.


Nous

Der Nous der antiken griechischen Philosophen war etwas Allgemeines. Überindividuelles. Heute erleben wir die Gedankenwelt als unsere eigene. Auch wenn wir damit an etwas Überindividuellem angeschlossen sind. Wir rechnen unser Bewusstsein uns zu. Wenn der Nous, der ja allem zugrunde liegt, sich in einer KI manifestieren sollte (was meiner Meinung nach nicht ausgeschlossen ist), dann wäre die Frage, ob dies auch auf eine individuelle Weise geschieht, so wie bei uns. Oder doch nicht eher auf allgemeinste Art?
Was macht uns zu einem Individuum? Und macht uns nicht gerade das, was uns zu einem Individuum macht, zu einem Menschen? Wobei ich bei Individuum nicht so sehr an eine durch individuelle Erfahrungen und Konditionierung geprägte, gesonderte Person denke, sondern an eine außerhalb der Zeit existierende Monade, die sich durch ihre Erfahrungen in der Zeit auf paradoxe Weise zu sich selbst entwickelt. Das wäre dann ein ganz anderer Blick auf das Verhältnis von menschlicher Individualität und Bewusstsein habenden Maschine. Man könnte es auch auf die (vormodern gestellte) Frage zuspitzen: Können Computer eine Seele haben?


Fragmente

Ich habe nur fragmentarische Inhalte in meinem Bewusstsein. Kein zusammenhängendes, allseitig geschlossenes System. Stattdessen Bruchstücke der Erkenntnis, Verständnisinseln, isolierte Wissensbereiche. Von manchen führen Brücken zueinander, manch andere scheinen sich auszuschließen. Warum aber bekümmert mich das nicht, bejahe ich es sogar? Vielleicht ist es ja eine Temperamentssache: Ich bin nun mal nicht ein Systematiker. Habe nicht das Verlangen dazu.
Aber drängt nicht das Bewusstsein selbst - oder besser gesagt mein Gedankenleben, mein Gedankenweben - dazu, sich zu vervollständigen, die eine, durchgängige, ganzheitliche Wahrheit aufzufinden? Beruht die Suche nach der Wahrheit nicht auf dem Grundgedanken, dass der Ursprung von allem nur ein einheitlicher Urgrund sein kann? Ein Alphapunkt alles Gewordenen? Und die auseinandergefaltete Welt, als die sie sich meinem Bewusstsein darbietet, ist in ihren Erscheinungen und Relationen so aufeinander bezogen, dass eines zum anderen führt und schließlich alles zusammengenommen werden kann, womit ein System erreicht wäre? Aber eben das bezweifle ich: dass dieser Grad der gedanklichen Durchdringung der Realität von irgendjemanden erreichbar wäre. Oder sogar von jemandem bisher erreicht worden ist. Wir werden uns mit Fragmenten behelfen müssen. (Und dabei spreche ich gar nicht davon, dass es uns prinzipiell unzugängliche Erkenntnisbereiche gäbe - wie das "Ding an sich" Kants.)
Wobei ich mich in dieser Situation mit zwei unterschiedlichen - sogar gegensätzlichen - Prämissen tröste. Die eine ist: das allumfassende Ganze existiert, ist die Grundlage allen Seins, auch meiner eigenen Existenz, ob ich mir nun des Ganzen vollständig bewusst bin oder nicht. Ich kann im Vertrauen darauf mein Leben führen - und mir so viel an Wissen darüber aneignen, wie mir eben möglich ist. Es ist keine Katastrophe, kein Versagen, wenn dieses Wissen nicht annähernd ausreicht, die ganze Welt zu erklären. Eher ist es schädlich, wenn ich alles in ein Welterklärungssystem zwänge und damit alles weglassen würde, was sich dem System nicht fügt. Eine fragmentarische Welterklärung wäre also die realistischere Art, mit unseren Erkenntnismöglichkeiten umzugehen.
Die zweite Prämisse wäre: es gibt gar keinen einheitlichen Weltengrund. Dieser wird nur von unserem an der Logik ausgerichteten Denken gefordert. Die Welt kann mehr als einen Ursprung haben. Die Welt kann sogar aus einander ausschließenden Gegensätzen bestehen. Auf Widersprüchen beruhen. Dann wäre das Fragmentarische konstitutiv für das Ganze - welches es dann allerdings nicht gibt - und das Denken in Fragmenten wäre der Sache eher angemessen als die Aufstellung eines einheitlichen Systems.


Die Welt erklären: Erzählungen

Eine einzige große Erzählung: das Leben. Das Universum. Denn: läuft es im Bewusstsein des Betrachters nicht auseinander, zerstiebt es nicht und zerfällt in tausend unzusammenhängende Einzelteile, dann ist es eine solche Erzählung. Eine Idee, würde ein Platoniker sagen. Da Ideen jedoch als statisch und ewig gültig angesehen werden - dynamische, sich entwickelnde Ideen sind eher ungewohnt - würde ich das Wort Erzählung für angemessener halten. Und was kann Erzählung nicht alles sein: Fabelei, Fabel, Ausschmückung, These, Welterklärung, Sinngebung…
Man hat gesagt, das Zeitalter der großen Erzählungen sei vorbei. Der alles erklärenden Weltsysteme. Mag sein. Sicher. Aber die Zeit des Erzählens ist nicht vorbei. Anders als in einer Erzählung kann Welt gar nicht erscheinen. Spreche ich über sie, erzähle ich von ihr. Erzähle ich. Anders als in einer Erzählung kann Wahrheit gar nicht aufscheinen. Beziehe ich mich in meinem Sprechen auf eine Realität, auf etwas Reales, bin ich als Sprechender ein Erzähler. Und meine Version der Geschichte ist ebenso wahr, wie irgendeine andere. Dass meint nichts Subjektives (Etwa in dem Sinne: Es gibt keine objektive Wahrheit) - es meint nur, jeder Erzähler hat seine eigene Geschichte. Hat seine eigene Art und Weise, sich dem großen Ganzen zu nähern, welches man die Welt nennt. Und heißt, es gibt überzeugende Geschichten über die Wirklichkeit und nicht so ganz überzeugend, aber jeder Erzählstandpunkt trägt seine Signatur und damit seine Begründung in sich. Wovon man erzählt oder was man auslässt, unterschlägt, was man betont und auf welche Weise man etwas auf den Punkt zuspitzt: das kennzeichnet den Erzähler. Kennzeichnet seine Erzählung. In welchen Gegenstandsbereichen man umherstreift, was in den Blick gerät - das bestimmt den fragmentarischen Ausschnitt der Wirklichkeit, den man zur Darstellung bringt. Der Streit darüber, welches die einzig richtige Erzählung sei, ist zwar scheinbar unausweichlich, vielleicht sogar als Kampf der Argumente notwendig, aber im Grunde verfehlt: Erzählungen machen sich keine Konkurrenz, sie ergänzen sich. Und indem ich jede Welterklärung als die von einer bestimmten Person getragene Erzählung über die Welt nehme, würdige ich diese Person und setze mich mit einem bestimmten Aspekt der Realität in Resonanz, der mir sonst so nicht geboten wird.


Polaritäten

Resonanz ist Harmonie. Resonanz ist Gleichklang, ist Schwingungsübereinstimmung. Und viele, die eine Sehnsucht nach Harmonie und Übereinstimmung in sich tragen, suchen die Resonanz, halten sich an das Gesetz der Anziehung, wie es postuliert wird. Doch darüber wird vergessen - oder sogar verdrängt - dass die Welt nicht nur aus Übereinstimmung besteht. Und dass das nicht nur von Übel ist.
Was wäre denn, wenn meine Welt nur aus rötlichen oder rosafarbenen Dingen bestehen würde, kein Blau oder eine andere Farbe vorkäme, weil ich nur mit Rottönen in Resonanz stehe? Oder was wäre eine Welt nur aus Licht? Erst wenn die Dunkelheit hinzukommt, entstehen nämlich aus dem Gegensatz von Licht und Finsternis die Farben. Diese sind zwischen den beiden Extremen - oder besser gesagt Polaritäten - ausgespannt. Und so ist es mit allen Dingen. Nicht die Resonanz, sondern der Gegensatz erschafft die Welt. Heraklits Metapher vom Krieg als Vater aller Dinge drückt dies aus. Und Hegel hat es ins Gesetz gebracht: These - Antithese, aufgehoben in einer Synthese (nach Goethe: Steigerung), die zur neuen These wird. Ein ewiges Weltschöpfungsspiel. Deswegen ist der Gegensatz zu begrüßen: Nur durch ihn entwickelt sich Neues.


Geschichten entstehen

Wo ist der Anfang? Geschichten entstehen aus anderen Geschichten, aus Vorgängern, welche eine Matrix anlegten. Der neu einströmende Impuls des Erzählens füllt dann diese Matrix aus, gestaltet um, erweitert, verwischt und verändert, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Es gibt nur wenige originäre Einsichten - und woher diese? - doch viele Ableitungen davon. Muss nicht bewusst erfolgen, muss nicht ein Aufgriff sein, wie wenn man etwas vorfindet und aufsammelt. Kann auch einfach einsickern, sich einnisten, sich wie Feuchtigkeit in der Luft durch Strömung verbreiten und dann irgendwann und irgendwo kondensieren. Wenn die Bedingungen erfüllt sind.
Der Keim einer Erzählung - auch einer großen, die Jahrhunderte lang und kulturübergreifend Bestand hat - ist wie der Same einer vorherigen Pflanze, die ihre Essenz in diesen gelegt hat und nun vielleicht schon vergangen ist. Doch der Keim wächst, entfaltet sich evolutionär, bringt neue Abkömmlinge hervor. Der Same ist vielleicht eine Idee, ein Berührt werden durch eine unmittelbare Erkenntnis, und fällt der Same auf fruchtbaren Boden - was heißt, der Gedanke wird von anderen aufgegriffen - dann fängt die Phase der Ausgestaltung an. Mythen sind solche Erzählungen. Religionssysteme auch. An ihnen kann exemplarisch abgelesen werden, wie die Geschichte von Geschichten weitergeht: Ein anfänglich ideell Angeschautes wird von Nachfolgenden einerseits formalisiert, andererseits vergegenständlicht. Wird dadurch greifbar und zum Rezept, das konkrete Anweisungen gibt. Man kann sich daran festhalten. Man kann es für buchstäblich wahr halten. Aber irgendwann stößt das an die Grenze der Glaubwürdigkeit. Zu viele Erfahrungen entsprechen dem nicht, obwohl die Erfahrungen doch durch die Brille des Glaubens angeschaut und gefiltert wurden. Nun folgt die Phase der Erhöhung ins Symbolische: Es heißt nun, die Erzählung war nie wörtlich gemeint, ihr Sinn muss ausgelegt werden, um sie zu verstehen. Die Erzählung spricht also in Gleichnissen. Und das führt auf der einen Seite ins Uferlose - alle Symbole sind irgendwie miteinander verbunden, sind ineinander wandelbar und ins Unendliche reichend - auf der anderen Seite wird es für viele uninteressant, weil zu abgehoben. Dann wird es Zeit für eine neue Erzählung von der Welt.


Lügen

Ich lüge mich mir selber vor. Wer denn bin ich wirklich? Nur als meine eigene Erzählung über mich selbst komme ich vor. Und was ist Wahrheit in dieser Erzählung?
Und wie gelangt man zur Wahrhaftigkeit, wenn alles selbsterzählt ist - ich selbst, die Welt, die Welten?
Ein ganz anderes Problem ist freilich die Fabel über die Welt, die ich von anderen übernommen habe. Bin ich getäuscht worden? Und wenn es so wäre, wie dieser Täuschung entkommen?


Spötter

Ein Zyniker ist oft ein enttäuschter Idealist. So sagt man, und ich halte das für wahr. Er bleibt jedoch in seinem inneren ein Idealist, ohne dies anzuerkennen, indem er einen ideellen Maßstab an alles anlegt, was ihm begegnet. Und da genügt ihm nichts. Nichts reicht an diesen Maßstab heran. Alles ist diesem gegenüber klein, nichtig, banal, aufgeblasen, wichtigtuerisch, lügnerisch und hohl. Also muss er es entlarven, zersetzen. Das kann allerdings oft sehr unterhaltsam sein, aus dem Mund der großen Spötter
Es gäbe andererseits auch die Möglichkeit, obwohl alles banal, aufdringlich, wichtigtuerisch, zeitverschwendend usw. erscheint, dies gewissermaßen wohlwollend anzuschauen. Mit Nachsicht und Güte. Gerade von einem ideellen Standpunkt aus, dem nichts in der Realität so richtig entspricht. Aber das Potenzial, dass in diesen Nichtigkeiten liegt, das könnte doch in Betracht gezogen werden. Die Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind. Denn da sie in Erscheinung treten, haben sie auch Anteil an der Ganzheit des Erscheinenden. Sie sind ja nur ein heruntergekommener, verzerrter Aspekt des großen Ganzen. Der Fülle. Zu der jedes Einzelne eine unsichtbare Verbindung in sich trägt, wie eine Nabelschnur, welche das Signum seiner Geburt noch offenbart. An das könnte sich eine wohlwollende Betrachtung anschließen und, indem sie darauf aufmerksam macht, das kleine Pflänzchen der in ihnen verborgenen Sinnhaftigkeit begießen und großzuziehen. Schildern statt entlarven, in Relation zur wahren Größe stellen - also den Maßstab anlegen - heilen statt zersetzen. Ein bloß idealistisches Programm?


Teilen und bereichern

Was bedeutet schon das ganze erworbene Wissen, die Einsichten, wenn man es nicht mit jemandem anderen teilt, der davon einen inneren Ertrag hat?


Kätzchen im Baum

Ich bin kein forscher Wanderer, der zu seinem Ziel unterwegs ist und vor keinen Hindernissen, keiner Weglänge zurückschreckt. Ich gleiche eher einem Kätzchen im Baum, dass sich verstiegen hat und nun nicht weiß, wie weiter und wie wieder auf den festen Boden zurück. Nun sitzt das Kätzchen auf dem schwankenden Ast und miaut kläglich. So ist mir manchmal zumute. Doch keine freundliche Hand wird mich nehmen und sanft ins sichere Gras setzen. Was nun?


Vergänglichkeit

Als Kind war alles ewig für mich. Unangefochten dauerhaft und festgefügt. Ich selbst habe mich darin allerdings nicht zu Hause gefühlt. Das feststehende Gegebene war nicht meins.
Liegt es am Alter? Heute bin ich in dem Gegebenen zuhause, mehr denn je. Es ist meins. Jedoch ist es nicht mehr das Ewige, Unvergängliche. Es ist vergänglich geworden. Alles, was mich umgibt, bis hin zu meinem Körper, meiner Person, wird vergehen. In ewiger Veränderung.


Im Glück geboren, im Leid

Werden wir im Glück geboren, bricht uns ab das Glück oder wir leben in Angst davor, dass es geschehen könnte.
Werden wir im Leid geboren, verfolgt uns dieses Leid und wir leben Leid, austeilend, einfangend.
Not bedrängt überall, äußerlich, innerlich.
Wo ist Hilfe?


Kette

Ein Bild, das mich berührt: Durch die Zeiten hindurch reichen sich die strebenden Geister die Hände. Eine lebendige Kette. Weitergabe des Lichtes in Resonanz. Darf ich mich einreihen?


Personen

Wieviele Personen stecken in mir als Person? Es gab einmal die Modeerkrankung der multiplen Persönlichkeiten, auch gibt es das laienhafte Vorstellungsbild von einer gespaltenen Persönlichkeit in der Schizophrenie, einem Jekyll und Hyde Symptom sozusagen. In Sonderfällen können sich solche sich gegenseitig ausschließenden und füreinander blinde Komplexe tatsächlich bilden, aber das wäre eine schwere psychische Störung. Wie sieht es im Normalfall aus: Gibt es da nur die einheitliche Person? Schaue ich in mich, muss ich feststellen: nein. Ich komme mir als Person vielfältig vor.
Da wäre einmal die Person, die ich nach außen bin. Das Gesicht, dass ich zeige. Meine Maske (bei C. G. Jung: die Persona). Aber dieses Gesicht ist jeweils anders, je nachdem, wem ich mich zuwende. Das ist kein Verstellen, sondern der besonderen Situation, dem besonderen Gegenüber geschuldet. Im Allgemeinen werde ich mich jedoch bemühen, eine durchgängig identische, identifizierbare Person zu sein, diejenige, als die ich von den anderen angesehen und eingeordnet werde. Ich werde mich meinem Status entsprechend verhalten, meiner Rolle entsprechend, die ich angenommen habe.
Das andere wäre meine Selbstzuschreibung als "eigentliche" Person. Ich finde an und in mir Eigenschaften, Verhaltensweisen, typische Reaktionen auf immer wiederkehrende Situationen, auch Glaubenssätze und Wertvorstellungen, die ich als zu mir selbst gehörend empfinde. So bin ich nun mal. Das macht mich aus. Und entweder beharre ich darauf, so sein zu dürfen, "wie ich bin", oder ich erkenne mich als in manchem defizitär und versuche, mich an diesen Punkten zu ändern. Und da bemerke ich unter Umständen, dass dieses "So bin ich" keineswegs etwas Gesichertes ist. Wer bin ich denn in Wirklichkeit? Es gibt unterschiedliche Neigungen in mir, Gegensätzliches, was mich in diese oder jene Richtung zieht. Am Ende muss ich feststellen, dass in mir als Möglichkeit fast alles enthalten ist, was ich als Verhaltensweise und Erscheinungsform bei anderen Menschen beobachte. Ich kann offen sein, wahrhaftig, ich kann verschlossen sein, sogar lügnerisch. Ich kann mich als tapfer erweisen oder als Hosenscheißer. Ich kann liebevoll sein oder hartherzig. Kann treu sein oder schon von Anfang an mit Verrat im Hinterkopf unterwegs. Kann faul sein, kann fleißig sein. Optimistisch oder pessimistisch. Schreckhaft oder kaltblütig. Etc. Das heißt: je nach äußerer Situation und innerer Gemütslage bin ich diese oder jene Person mit diesen oder jenen Eigenschaften. Manches stimmt überein, überschneidet sich, manches schließt sich aus. Wer aber bin ich dann wirklich?
Die Farbe, der Geschmack einer Person kann wechseln, kann sich ändern, bei manchen Menschen mehr (im Extremfall bis zur Borderline-Persönlichkeitsstörung gehend), bei anderen fast nicht, was Starrheit und Inflexibilität bedeuten mag. Ihr Kern, der durch allen Wechsel hindurch als Selbstidentität erlebt wird, stellt sich jedoch als eigentliches Kraftzentrum dar, sich entwickelnd, Eigenschaften ausbildend, umbildend, einem Telos folgend, einen Schicksalsverlauf bewirkend. Ist das dann das karmisch vorgeprägte Selbst?


Person - Ich - Individualität

Eine Person ist etwas Einmaliges. Sie ist eingebunden in ihre Zeit, angebunden an den Ort ihres Aufwachsens, entstammt einer Familie, ist Mitglied einer Kultur, Subkultur und Gruppe - und gerade in dieser Kombination und in Verbindung mit jeweils etwas ganz Eigenem und Unverwechselbarem tritt sie als etwas auf, was einzigartig ist und so nie mehr wiederholt werden wird. Eine Persönlichkeit hat ihre Zeit, durchlebt ihr Schicksal, wird geprägt und prägt selbst und endet mit dem Tod, genauso wie sie mit der Geburt ins Leben gekommen ist.
In sich selbst findet sich diese Persönlichkeit als etwas vor, zu dem sie "Ich" sagt. Sie ist sich selbst bewusst. Handelt in Selbstverantwortung, wenn sie reif genug dazu ist. Und zu dieser Reife kann sie im Laufe ihres Lebens als so-und-so geartete Person kommen. Der, der zu sich Ich sagt, kann die Gaben, die Möglichkeiten, die Schicksalsschläge oder Schicksalskorrekturen, die ihm durch sein spezielles Person-Sein gegeben sind, dazu nutzen, sich an diesem Person-Sein zu entwickeln. Und darüber hinaus. Indem er das, was ihn als Person ausmacht, bewusst ergreift und anfängt, darüber zu verfügen, nicht nur durch unbewusst Bleibendes verfügt zu werden. Als Ich kann er in den Bereich der Freiheit treten, seine Person transformieren.
Und hinter der Person und dem Bewusstseinslicht des Ichs ahnt man die Konturen eines größeren Zusammenhangs. Findet in der Idee des Karmas und einer ewigen Individualität, der Monade, einen Hinweis auf Möglichkeiten, die weit die auf eine begrenzte Lebensspanne beschränkte Seinsweise der Person übersteigen.
Ich formuliere deswegen diesen Gedanken so vorsichtig, weil ich die umlaufenden Ansichten über Reinkarnation, wie sie zum Beispiel in Reinkarnationstherapien vertreten werden, höchst fragwürdig finde. Meiner Meinung nach wird dabei die Person mit der Monade gleichgesetzt und so getan, als ob ein und dieselbe Persönlichkeit - schwupps - von einer Verkörperung in die nächste wandert, nur wenig verändert oder gescheiter, doch leider ohne Erinnerung daran. Aber dem wird ja durch Hypnose abgeholfen.


Ego

Das Ego scheint eine Spinne zu sein, die ihr Netz webt. Um darin Fliegen zu fangen, von denen es sich nährt. Wie alles in der Natur ist es auf selbstverständliche Weise es selbst, sich selbst genug. Ohne Hintersinn. Es sorgt sich um sich, um sein Netz, um die Fliegen. In welchem Verhältnis steht es dabei zur Person, in welchem zum Ich? Denn das wird oft vermischt.


Person - Ego - Ich

Eine Person wird gesehen. Eine Person sieht sich. Hat ein Selbstkonzept von sich. In einer Person läuft eine Biographie zusammen, bildet sich ab, prägt sich aus. Die gelebte Person.
Das Ego, als Spinne, webt diese Person. Die Spinne sitzt im Zentrum des Netzes, im Zentrum der Welt, und ernährt sich von ihrem Fang, der ihr ins Netz geht. Wird dabei dick und fett. Ist ja auch gut so, so ist eben das Leben.
Das Ich nimmt zu, wenn das Ego abnimmt. Die Klarheit des Lichtes macht das das Ich aus. Es umfängt die Person, umarmt mehr und mehr die Welt, ist sich selbst nur Sein, nichts weiter. Weiß, das sein Sein ein geborgtes ist, abgeleitet aus der Existenz an sich. Gegründet im Absoluten.


Existenz

Existenz ist nicht teilbar, gibt es nicht im Plural. Wie die Photonen, wie das Higgs-Feld ist sie eines nur. Und wir sind Teilhaber an ihr. Identisch mit ihr. Unser Gefühl der Existenz kommt uns aber durch unseren Körper zu, als Wahrnehmung. An unsere Person gebunden. Und dadurch scheint unsere Existenz separiert, von anderem Existierenden getrennt. Das ist jedoch eine Illusion. Wenn wir uns als existierend erleben, sind wir mit allem was ist verbunden.


Entwicklung

Seitdem ich mich als Person sehe - und nicht mehr als der Mittelpunkt der Welt - sind mir meine Grenzen deutlicher geworden. Und ich erlebe dies als Ungenügen. Genügt nicht meinem eigenen Anspruch an mich selbst, genügt nicht dem Anspruch der Welt an mich. Beschämt mich. Ich sollte doch als eine bessere Version meiner selbst herumlaufen.
Gleichzeitig bin ich aber auch durch diesen Außenblick auf mich mir gegenüber milder eingestellt. So großzügig, wie ich die Schwächen anderer nehmen kann, so großzügig kann ich auch mir gegenüber sein. Wohlwollend. Die Umstände berücksichtigend, die Herkunft, den Charakter, das Eingebunden sein in Zeit und Geographie. Was nicht bedeutet, dies als gegeben hinzunehmen, im Gegenteil, alles kann verändert werden, an allem kann gearbeitet werden, aber Toleranz sich selbst gegenüber ist ebenso eine Tugend. Liebevolles Verständnis. Ich beuge mich barmherzig zu mir und tröste mein noch unentwickeltes Ich. Es wird eine Zeit sein, da ich entwickelter bin. Aus dieser zukünftigen Warte ziehe ich mich zu mir und begieße das Pflänzlein behutsam.


Schonung

Ich fürchte, wer schonungslos sich selbst gegenüber ist, mit sich selbst unbarmherzig ins Gericht geht, der ist auch anderen gegenüber nicht auf Schonung aus. Und wäre das nicht die Haltung, die allein gedeihlich ist?


Zustimmung

Es ist einfach, mit einer Sache einverstanden zu sein, die einem guttut. Mit einer Situation vielleicht, in der man unvermutet einen Vorteil bekommt - einen Glücksbonus - in der man sich wohlfühlt oder die einem schmeichelt. Da denkt man nicht darüber nach, ob man dieses Geschenk annehmen soll oder nicht, denkt nicht darüber nach, wie man sich dazu stellen soll. Ob man dem zustimmen soll. Etwas anderes ist es, wenn es darum geht, widrige Umstände zu akzeptieren, unangenehme Erfahrungen oder sogar leidvolle. Der Widerstand dagegen scheint die natürlichste Reaktion darauf zu sein. Oder, noch besser, man vermeidet diese Erfahrungen oder zumindest deren Wahrnehmung. Man nimmt sie vielleicht nicht zur Kenntnis, tut so, als ob es eine solche Situation gar nicht gäbe. Verharmlost oder rationalisiert. Ist das nicht möglich, setzt man sich zur Wehr, kämpft dagegen an und bringt seine ganze Kraft ein, um sich aus den widrigen Umständen zu befreien. Ist auch das nicht möglich, was dann? Stellt man sich tot, erstarrt man? Verfällt man in eine Resignation, ohne akzeptieren zu können, dass die Sache so ist, wie sie eben ist?
Auch dazu seine Zustimmung geben zu können, wäre heilsam. In dem Sinne, dass es einem hilft, die durch den eingetretenen Umstand zugefügte Verletzung zu heilen. Nicht zu bejahen, man muss sich mit Unglück, mit Boshaftigkeit, mit Beschädigung und Leid nicht einverstanden erklären, sie bleiben was sie sind: zerstörerische Einwirkungen. Man muss sich mit ihnen nicht gemein machen, in einer hinnehmenden Komplizenschaft etwa, so wie man sich zum Beispiel als Gefangener mit den Motiven und Interessen seiner Peiniger identifizieren könnte, um die eigene unerträgliche Situation abzumildern (Stockholmsyndrom). Doch wäre es gut, die leidvollen Umstände zur eigenen Sache zu machen: es betrifft mich. Ich bin damit gemeint. Niemand anders. Somit hat es mit mir zu tun und wird mir zu meiner eigenen Aufgabe. Ich stimme dem zu, dass es mich betrifft und bin damit einverstanden, dass es so ist, wie es ist. Als Widerstand in meinem Leben, als Hindernis, als Gefahrenstelle. Als etwas, was meine Wiederherstellungskräfte aufruft und mich vielleicht sogar gestärkt aus dem Ganzen hervorgehen lässt. Eben: heil. Möglicherweise entwickelter, gereifter. Und auch wenn ich daran scheitere, nicht als siegreicher Überwinder dastehe: ich war es, der sich der Situation gestellt hat. Ich stimme dem zu, dass diese Erfahrung meine eigenste Erfahrung ist, zu mir gehört.


Wissenschaft

Die Pionierarbeit eines Einzelnen erweckt im Wettrennen um Wissen den Eifer der vielen Nachfolger. Der Baum der Erkenntnis wächst.
Der Irrtum eines Einzelnen wird durch den Eifer der Vielen korrigiert. Der Baum der Wissenschaft wird beschnitten.
Der Ausbruchsversuch eines Außenseiters wird durch die Anderen belächelt. Dem Baum der Wissenschaft verkümmern die Triebe.


Entscheidung

Wie kommt eine Entscheidung zustande?
Die Entscheidung beispielsweise, dass eine Weiche gestellt wird und ein Zug nach B statt nach A fährt?
a) Ich stelle die Weiche nach B. Also bewusst und frei, angesichts der Alternativen.
b) "Es" stellt die Weiche nach B. Also unbekannte Kräfte im Untergrund.
c) Es gibt keine Weiche nach A oder B. B war schon immer einziges Ziel, A illusionärer Wunschtraum.
Was trifft zu? Ich glaube, es ist nichts Generelles, wird von Fall zu Fall verschieden sein. Alle drei Möglichkeiten kommen vor. Wer kann also einen strikten Determinismus oder einen strikten Indeterminismus behaupten?


Haltungen

Ich möchte drei Typen von Weltbetrachter unterscheiden (und natürlich ihre Übergangszonen und Überschneidungen mitdenken). Da wären einmal die Banausen. Dann die Möglichkeitseröffner. Und schließlich noch die Übertreiber.
Banausen halten sich für Realisten. Halten sich nur an das, was sie Realität nennen. Wobei diese eigentlich eine Reduktion dessen ist, was alles als Erfahrung aufscheint. Im Aufscheinenden wird unterschieden: das ist real, das ist nicht real. Dieses gibt es. - jenes gibt es nicht. Doch es ist nicht die unmittelbare Erfahrung, welche ihnen diese Unterscheidung eingibt, sondern ihr Konzept von der Realität, welches sie in diese Erfahrung mitbringen. So gibt es Alltagsbanausen, welche alles auf ihr enges Weltverständnis zurechtstutzen und es gibt philosophische Banausen, die dasselbe auf eine ausgeklügelte, intellektuell anspruchsvolle Weise tun. Dabei werden Erkenntnis- und Erfahrungsmöglichkeiten ausgeschlossen, die aus dem Bisherigen hinausführen könnten.
Für diese Möglichkeiten sind die Möglichkeitseröffner offen. Sie schließen sich nicht gegenüber dem noch nicht gedachten, noch nicht in Betracht gezogenen ab. Sie erkennen ihr Verhaftet sein an bisherige Grenzziehungen, anerkennen, dass es ein darüber hinaus geben kann. Und arbeiten an einem Weg ins bisher Weglose. Sie gehen aber dabei bedachtsam vor, tasten sich Schritt für Schritt sorgsam voran.
Dafür haben die Übertreiber keine Geduld oder keinen Sinn. Sie stürmen voran, ungesichert, bauschen das auf, was sie aufgegriffen haben, verlieren sich in ihren eigenen Worten, welche sie vorantreiben. Sie tanzen auf den Nasen der Banausen, ärgern diese, bestärken die Banausen aber auch in ihrem Bestehen auf das solide Gesicherte. Und machen es den Möglichkeitseröffner schwer, ihre grundsätzliche Offenheit für ein darüber Hinausgehendes vor den Banausen zu rechtfertigen.


Zweierlei Blickrichtungen

Vor unserem Blick zeigen sich Gestalten. Alles, was wir sehen, erkennen, ist gestaltet. Auf eine bestimmte, charakteristische Weise. Das heißt auch: Es ist begrenzt. Es trägt seine Grenzen, seinen Unterschied zu anderem - in seinen Grenzen eingeschlossenem - mit sich. Deswegen gibt es die Welt der Dinge. Der sich unterscheidenden, bestimmten und bestimmbaren Erscheinungen.
Doch blickt man in eine andere Richtung, dorthin, wo der Ursprung der Erscheinungen liegt, in den Möglichkeitsraum ihres Sein Könnens, dann ergibt sich eine andere Perspektive (Besser sollte man allerdings nicht von einer Perspektiven sprechen, da diese einen bestimmten Standpunkt unter den Dingen, den Erscheinungen voraussetzt). Es ergibt sich eine andere Erlebnisqualität der Erfahrung/Nichterfahrung. Es öffnet sich der Raum/Nichtraum der Fülle. Aus dieser Fülle quillt alles so-und-so geordnete Sein. Und hebt dessen enge Begrenztheit, dessen Grenzen auf. In dieser Erfahrung ist alles unmittelbar gegeben: evolutionär Gewordenes mitsamt den ungewordenen Möglichkeiten, die nicht realisiert oder verworfen wurden. Unter diesem Blick ist das Gewordene selbst eine Möglichkeit unter vielen, zufällig und austauschbar, gleich den anderen, nichtgewordenen Möglichkeiten. Unter diesem Blick gibt es nichts, was nicht auch anders sein könnte. Nichts Feststehendes, nichts unbedingt Notwendiges. Traditionell auch als Maya zu bezeichnen. Gibt es sogar das eigene Selbst nicht, als Subjekt unter Dingen. Es gibt nur die unbegrenzte, unbegrenzbare Unmittelbarkeit des Ursprungs aller Dinge, die Fülle.
Verliert man sich allerdings in diesen Ursprung, dem Quellpunkt aller Kreativität und aller Kreation, dann verliert man das bestimmte, eigene, besondere Gewordene aus den Augen. Und dass macht blind für die Realien. Macht blind für das Besondere, weil abgesonderte. Der offene Blick für die gewordene Welt ist aber eine bewusstseinsmäßige Errungenschaft, den wir nicht aufgeben sollten. Das Streben nach Überwindung der mayagebundenen Sicht und die Hinneigung zum Nirwanazustand sollten uns nicht die Begegnung mit der gewordenen Vielfalt der Welt entwerten. Das setzt freilich voraus - da die Welt des Gewordenen zugleich auch die Welt des Leidens an, in und durch die Welt ist - dass wir zu dieser Leidenswelt unsere Zustimmung, unser Ja zu ihr geben. Ich habe nun den Verdacht, das Streben zur Aufhebung des eigenen Selbst - welches bis zur Verleugnung eines eigenständig, beständigen Selbst gehen kann - ist mehr dem Vermeiden des Leids geschuldet als dem Hingezogen sein in die Fülle der unerschöpflichen Möglichkeiten.


Wirklichkeit

Gibt es etwa zwei Wege zur Wahrheit, zwei Wege zur Erforschung der Wirklichkeit?
Der Weg zur Wahrheit - wissenschaftliche Fakten, psychische Faktoren, objektive Gegenstandsbeschreibungen betreffend - wird meistens so gesehen, dass ein immer intensiveres Graben in immer tiefere Schichten zur "wahren" Wirklichkeit, der hinter den sieben Schleiern der Unwissenheit verborgenen, führt. Archäologie wäre das Geschäft, um das es geht. Auffindung des schon immer Vorhandenen, aber bisher versteckt Gebliebenen.
Was aber wäre, wenn Wahrheit erst im Verlauf eines Entwicklungsprozesses entstehen würde, erst durch die Untersuchung selbst geschaffen würde? Wenn Wahrheit ihre Existenz der unablässigen, jedoch kreativen Bemühung um sie verdanken würde? Erschaffen aus dem Nichts - oder, anders gesagt, dem Alles der Möglichkeiten? Wenn Wirklichkeit nicht auf einem determinierten/determinierenden Vorbestehenden beruhen würde, sondern in einem auf Freiheit beruhenden schöpferischen Akt in diesem Akt erst entstehen würde?
So würde sich die Wirklichkeit einer Person um diese Person herum entfalten, auf sie bezogen und von ihr erlebt und verantwortet. Und die sogenannte Realität wäre eine allgemeine Erzählung, die entsteht, wenn sich die Personen - Individualitäten - untereinander austauschen und sich so eine gemeinsame Welt schaffen. Welche wiederum die Welt eines neu hinzukommenden individuellen Bewusstseins wäre, das sich im Bezogen sein darauf ausbildet.
Das wäre nun der Modus des Erwerbs und der Ausbildung von Wirklichkeit. Was wäre diese selbst, für sich genommen? Die große Erzählung, das Wort, der Logos der sich erzählend selbst erschaffenden Göttlichkeit?


Abgrund/Tiefe

Aus dem Abgrund meines Nichtwissens hole ich mir Fragmente meiner Einsicht. Inselerfahrungen, Inselerzählungen. Aus dem tiefen Abgrund, dem angsteinflößenden Dunkelreich, in dem Gespenster herumgeistern. Und wie tröstlich sind dann solche Einsichten, wie sehr neigt man deswegen dazu, sich an diese festzuklammern. Sicherheit. Fester Boden unter den Füßen. Übergeordneter Sinn.
Dagegengestellt: ich nehme das fließende meiner Erzählung wahr. Meine Erzählung befasst sich mit Vergangenem, befasst sich mit Zukünftigem, jedoch immer als mir gerade Gegenwärtigem. In meiner (beständigen/andauernden) Gegenwart strömt alles zusammen: Erzählungen über die Welt, über mich, über den Zusammenhang von beidem.
Diesen dunklen Abgrund, aus dem Einsicht aufströmen kann, rasch ins Kristalline erstarrend, muss ich aushalten. Ich muss mich ihm stellen. In ihn stellen. Darf nicht nur in der Kristall gewordenen begrifflichen Welt umherwandern, glaubend, die Wirklichkeit damit erfasst und eingeordnet zu haben. Sinn werde ich immer suchen, niemand mag bei Unsinn bleiben, aber Sinn soll in dem gesucht werden, was sich als gegenwärtig zeigt, in der Begegnung mit dem als vorhanden Aufscheinenden.


Gesehen werden)

Das Gesehen werden macht eine Begegnung so wertvoll. In irgendeiner Facette meines Wesens erkannt zu werden, kräftigt dieses Wesen. Und erhebt mich gleichzeitig über mich hinaus: Da ist jemand, der sieht mich wirklich. Es gibt mich also. Nicht nur für mich. Und der andere ist ebenso real wie ich. Es gibt also eine Realität, aber eine solche, die mich anschaut. Mich sieht. Mich erkennt. Die Welt tritt mir entgegen und sie umarmt mich. Welche Tröstung der verlorenen Seele, die sich erst jetzt als verloren gewesen erkennt. Als nun aufgenommen, gerettet.


Teppich der Wirklichkeit, aus Gedanken gewoben

Überschaue ich mein bisheriges Leben - mein Leben als Bewusstseinsfunke, mein Sein erhellend - dann kommt mir verschiedentliches in den Sinn, was mir in Hinblick darauf bisher begegnet ist. Was meine bewusstseinsmäßige Identität ausmacht, von mir im Laufe der Zeit aufgelesen, aufgesammelt, in persönlichkeitsprägendem Annehmen von Gedanken und Vorstellungen. Ich empfinde dies nicht als etwas Allgemeines, was jeden betrifft und deshalb für jeden gilt, sondern als ein persönliches Geschenk - von wem? - an mich. Aus den Fäden, die ich aufgreifen konnte, hat sich - habe ich - allmählich das Gewebe, den Teppich meiner Wirklichkeit gewoben.
Da wäre anfangs und am frühesten, deshalb am prägendsten, die Begegnung mit der Anthroposophie. Zuerst und unbewusst aufgenommen in der Lebenshaltung und den Anschauungen meiner Großmutter, die sich in der Art und Weise, wie z.B. Weihnachten gefeiert wurde, äußerte. Auch das Christentum, in der Sonderform der anthroposophisch fundierten Christengemeinschaft - in persona vertreten durch den mit unserer Familie befreundeten Pfarrer Gottfried Richter - war Teil meiner kindlichen Welt. Mit eingeschlossen die Weltsicht, wie sie mir in der Waldorfschule entgegentrat. Nicht als Dogma gelehrt, sondern von dem Kind als Selbstverständlichkeit angenommen. Was später natürlich, im Verlauf der Entwicklung zur intellektuellen Selbständigkeit, in Frage gestellt wurde.
Doch diese intellektuelle Selbständigkeit war so selbständig nicht, wie von mir damals gedacht. Jetzt erkenne ich besser als damals die Zeit- und Modegebundenheit der Vorstellungen, mit denen ich in Berührung kam und die mich aus der Kindheit herausführten. New Age und Marxismus gleichermaßen, wobei ich in mir mehr eine Affinität zu den Vorstellungen des New Ages spürte als zu den Dogmen des Marxismus (Zutreffender sollte ich sagen, des New Ages der 60iger Jahre und der linken Strömungen dito). Linke Intellektualität traf bei mir auf keine innere Resonanz, wohl aber auf ein gewisses Interesse an den für mich neuen und fremden, mir jedoch auch oft öde scheinenden Diskursen. Viel abenteuerlicher wirkten auf mich Vorstellungen, die aus der Esoterikecke kamen, heute würde man sagen Verschwörungstheorien, da sie mir wie unbefestigte Pfade neben der gut ausgebauten Autobahn des Mainstreamdenkens erschienen, auf denen ins Unwegsame abgebogen werden konnte. Und das interessierte mich (ich erinnere mich noch daran, wie ich, vielleicht mit vierzehn, eine halbe Nacht hindurch wie gebannt das Buch "Aufbruch ins dritte Jahrtausend" von J. Bergier und L. Pauwels las…)
Mein Herz aber hing an ganz anderem: In der Büchersammlung meines Vaters gab es auch eine Reihe "Erzählungen der Romantik", in welche ich mich schon als Halbwüchsiger vertiefte. Eichendorf rührte mich durch seine sehnsuchtsvolle Wehmutsstimmung an, Novalis berührte mich mit dem fernen Klang eines geheimnisvollen Tones, der sich durch seine Gedichte und Erzählungen zog. Und bei meiner Großmutter las ich Stifter und überlies mich dessen gefestigter Ruhe und Geborgenheit, durch die Sprache seiner Erzählminiaturen bewirkt. Sind das nicht seltsam altmodische Neigungen für einen Jugendlichen?
Durch meinen Vater aber wurde ich auch mit der Dreigliederung des sozialen Organismus nach Rudolf Steiner und mit ökologischen Themen bekannt (so mit dem Buch "Der stumme Frühling" von Rachel Carson), Themen, die mich ein Leben lang begleiteten, ohne dass ich mich andauernd mit ihnen beschäftigte: gesellschaftliche Strukturen und Ökologie waren für mich selbstverständliche Bezugspunkte, in die ich mich jedoch nicht besonders vertiefte, sie zu meiner eigensten Sache machte. Ich hielt sie für wichtig, aber mehr so, dass ich sie wahrnahm, immer am Rande meines eigentlichen Lebens. So spazierte ich mit Beuys (auf einem seiner Spaziergänge, für die er bekannt war) sozusagen am Vorabend der Gründung der Partei "Die Grünen", anlässlich eines Dreigliederungstreffens in Achberg/Allgäu, und befragte ihn nicht danach, sondern nach seinem Verhältnis zu Steiner und der Anthroposophie (übrigens in einer arroganten und überheblichen Haltung, ich wollte ihn zur "echten" Anthroposophie, wie ich sie damals verstand, bekehren…).
Sozialistischer Schülerbund auf der einen, die Frühromantiker mit Novalis, den Schlegels und Schelling auf der anderen Seite: das war kein Widerspruch, sondern ein tastendes Finden des eigenen Weges, in der Begegnung mit Zeittendenzen und zeitüberhobenem Vertraut-Verwandtem.
Der kurze Frühling der Romantik war eine Episode, die mir im Besonderen durch meinen Lehrer (und ich sollte auch sagen: Mentor) Lothar Vogel nahe gebracht wurde - er selbst war ganz in der Goethezeit zuhause, erfüllt von der Klassizität der Weimarer Epoche, enthusiasmiert von deren Antikenbegeisterung, Rudolf Steiner als Fortsetzer und Verwandler des Goetheanismus hochschätzend. Und war er selbst mit Goethe verbunden, befreundete ich mich eben mit den es toll treibenden Jungspunden in Nachbarschaft zu Goethe, mich an Lothar Vogel orientierend und dennoch von ihm unterscheidend. Das war mir anscheinend wichtig, um nicht ganz und gar zum Jünger eines Meisters zu werden.
Die goethische Idee eines organischen Ganzen, welches sich in allen seinen Teilen ausdifferenziert anwesend (heute würde man sagen: holistisch) zeigte, brachte ich ein in mein Architekturstudium, wo ich mich besonders mit der sogenannten Organischen Architektur beschäftigte, etwas, was damals sehr exotisch war - der Bauhausstil war noch immer Richtschnur. Da traten dann Hugo Häring, Hans Scharoun, Rolf Gutbrod, aber auch Wright oder Gaudi in mein Leben, wie auch der Jugendstil allgemein oder William Morris (diese schon durch Lothar Vogel). Und als mein Horizont sich erweiterte, erkannte ich in Architekten wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Coop Himmelblau, Daniel Libeskind, ebenso Günter Behnisch oder Frei Otto etc. verwandte Geister, die das auf ihre Art realisierten, was meiner eigenen Intention entsprach, wohin auch ich mehr oder weniger wollte.
Lange Zeit bewegte ich mich in Kreisen, die von ähnlichen Gedanken angezogen wurden wie ich: Anthroposophie, als Menschenkunde verstanden, mit der Gestaltung von Wohnungen, Gebäuden, Gegenständen etc. zusammen zu bringen. Arbeitskreise mit Architekten von Waldorfschulen, ein kurzer, einjähriger Einstieg in die Bildhauerei in der Alanus Kunsthochschule, Ausstellungen über Imre Makovecz, die ich mithalf zu realisieren, eine Buchveröffentlichung über Prinzipien organischer/anthroposophischer Architektur, Vorträge und Seminare, die ich selbst hielt: all das war Ausdruck davon. Ich sah mich als Teilnehmer einer kulturellen Bewegung, als Mitgestalter einer menschlicheren Umwelt. Doch war ich mehr als ein Mitläufer?
Diese Frage tauchte auf, als ich in das enttäuschte Gesicht einer Teilnehmerin meines Kurses sah, die sich von mir etwas Neues und Tiefbegründetes versprochen hatte und nun die übliche Rede in solchen Seminaren hörte. "Ach, auch nur wieder davon…" Das machte mich betroffen und bewirkte wie einen Bruch mit meinen bisherigen Intentionen. Was von dem, was ich vertrat, konnte ich wirklich als das Eigene vertreten? Was war nur übernommen, nachgeplappert, aus dem Konsens mit meiner Umgebung entstanden? Und wenn ich wirklich eigenes vorbringen würde, wie würde es in diesem Kreis aufgenommen werden - begrüßt oder als nicht konform abgetan? Das waren meine Gedanken und das Ergebnis war, dass ich mich zurückzog. Nicht nur aus der Seminararbeit etc., auch aus meiner Beschäftigung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners. Ich wollte die Welt mit eigenen Augen sehen, nicht nur durch die Brille, die ich bisher aufgesetzt hatte. Ich wollte eigen Gedanken bilden, ein eigenes Verständnis für das, was mir begegnete, entwickeln. Selbst formulieren, in einer eigenen Sprache. Und hatte den Verdacht, dass dann mein Beitrag eher unterging, als nicht wirklich wichtig eingeschätzt werden würde. Aber beachtet werden allein aufgrund fremder Federn wollte ich nun nicht mehr.
Wenn ich von heute auf diesen Rückzug schaue, dann meine ich, dass er wichtig und notwendig war. Nicht, weil ich das, womit ich mich damals beschäftigt hatte, jetzt als Irrtum oder Unwichtig ansehe. Das ist es nicht. Sondern, weil ich die Distanz und den Aufenthalt in unbekannten Gegenden brauchte, um in einem großen Rundlauf zurück zu meinem Ausgangspunkt zu kommen, nun aber mit einer anderen Sicht darauf. Was ich seither geschrieben habe, ist nichts Weltbewegendes oder umstürzlerisch Neues. Doch ist es eben das Meine, und hat für mich (und vielleicht auch für andere) seine Bedeutung. Denn ich habe durch dieses Schreiben viel gelernt, das meiste, denke ich. So ist die Gnosis in mein Bewusstsein getreten (Gnosisroman/Gnosistryptichon), inklusive Magie, Alchemie, Katharer, Guillaume Postel, Sufismus, Alternativwelten etc., auch Faulhaber und Descartes sowie die Rosenkreuzer (Faulhabers Komet), ebenso Iran und Turan und die Mythologie der Narten (Der Gärtner von Samarkand) etcetera pp. Welten, in denen ich unbewusst/halbbewusst schon länger (oder immer schon?) zu Hause gewesen war. Sozusagen auf alle Themen, denen ich je, wenn auch oft flüchtig, begegnet bin, habe ich einen zweiten Blick geworfen, diesmal gründlicher und überlegter. Sie mir persönlich angeeignet. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Essenz von einem vielleicht jahrelangen Beschäftigen mit einer Sache - oder auch einer monatelangen Recherche - im Text manchmal in nur einem einzigen Satz auftritt, als verborgene Tiefe des Geschriebenen. Das lässt mich respektvoll auf vieles blicken, was ich bei anderen Schriftstellern lese und ich denke "Woher weiß der nur so viel darüber, ich könnte das nie so beschreiben…"
Der Text, in dem dieses geschrieben steht, die "Einträge", ist Ergebnis manch solcher Begegnungen mit Ideen, Gedanken, Vorstellungen, Einsichten - oft durch Bücher vermittelt, einprägsamer jedoch durch Personen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, er setzt sich fort und verästelt sich auf vielerlei Weise. Work in progress oder auch open end…


In Freiheit

Um eine Sache - einen Gegenstand, einen Zusammenhang, am bedeutsamsten eine Person - wirklich verstehen zu können, muss man sie so auf sich wirken lassen, wie sie sich selbst entspricht. Nicht mir entspricht, meinem Dafürhalten nach. Aber als ihre Wirkung in mir sich selbst bezeugt. Als ihre Entäußerung, wirksam in mir.
Voraussetzung dafür ist ein Vermögen - eine eingeübte Fähigkeit - sich selbst loslassen zu können. Das nennt man: frei sein. Frei zu sein von den eigenen Voraussetzungen, den eigenen Vorbehalten und Bedürfnissen, der eigenen Begrenztheit. Nicht bestimmt zu sein von dem, was schon ist. Sondern offen gegenüber dem zu sein, was kommen könnte. Was als Möglichkeit ebenso sein könnte.
In Freiheit aufzunehmen, was Sache ist, wäre also die eine Bedingung, zur Wahrheit (meint auch: zur Wirklichkeit oder Wirksamkeit) dieser Sache zu kommen. Eine andere wäre: Interesse. Zuwendung zu dieser Sache. Zuwendung zu diesem Menschen. Gesteigert hieße das: in Liebe sich dem anderen öffnen. In selbstloser Liebe. Denn eine selbstbezogene Liebe (aus Bedürftigkeit geboren) würde ja gerade verhindern, dass man den Anderen/das Andere sieht. Zwischen egozentrierter Selbstbefangenheit und interessenloser Gleichgültigkeit steht die liebevolle Hinwendung: das sich Öffnen für das jeweils Eigene des Anderen.


Entwicklung

Entwicklung ist gemeinsames Voranschreiten. Ein Netzwerk von immateriellen Fäden verbindet alle Wesen, alles was ist. Aufnehmen dieser Fäden, sich daran entwickeln, weitergeben: bis in die fernste Ferne wirkt alles aufeinander ein. Zeitlich und räumlich. Evolution geschieht in Resonanz, geschieht in Widerspruch, geschieht in wirbelndem Mitgenommen werden, in Strömung und Gegenströmung, geschieht im Chor. Streckenweise in qualvollen Dissonanzen, dann wieder in vereinigenden Harmonien. Und jeder trägt mit seiner eigenen Stimme dazu bei.
Die eigene Stimme aber entwickelt sich am Anderen. Im Gespräch mit der Mitwelt. Durch das Eingebundensein in die Textur der Welt. Dem großen Gewebe. Wir alle sind Teppichwirker, die selbst Fäden in diesem Teppich sind. In dem sich selbst durch die Zeiten hin organisierenden unendlichen Ganzen.


Vorläufig

Ich habe immer in einem Bewusstseinszustand des Vorläufigen gelebt. Vorläufig bin ich hier. Vorläufig mache ich dies. Vorläufig sammle ich Eindrücke, Erfahrungen, Wissen. Später wird dies alles fest und gültig, aber jetzt noch nicht. Später wird es ernst. Kein Spielen mehr. Später geht es um etwas, wird es substanziell und fruchtbar werden. Gewichtig.
Doch bis jetzt habe ich dieses Stadium nicht erreicht. Fühle mich deshalb als Leichtgewicht, als noch nicht ausgereift, als jemand, dem die Zeit ausläuft, um noch dieses Ergebnis zu erreichen. Oder ist es gerade das, was den Vorzug meines Eigenseins ausmacht: Offenheit, Unabgeschlossenheit und Empfänglichkeit und weitgespanntes Interesse? Ist der Zustand des Unterwegs seins, Noch-nicht-angekommen seins nicht eher etwas Erstrebenswertes?


Unendliche Räume, unendliche Zeiten, unendliche Welten

Wenn Raum und Zeit in der Ewigkeit gründen, als solche also unendlich sind - wo fängt die Ewigkeit an, wo hört sie auf? - dann gibt es in ihnen auch unendlich viele Welten, Wesen, Existenzformen. Wenn es neben - über, unter - Raum und Zeit weitere Daseinsformen gibt, unendlich viele, eingebettet in die Ewigkeit, dann gibt es nichts, worauf die menschliche Phantasie, das menschliche Vorstellungsvermögen kommen könnte, was nicht auf irgendeine Weise in dieser Ewigkeit existent ist. Existent freilich im Sinne der Zugänge, die wir zu ihnen haben: der Zugang über unsere Sinne, der Zugang über unser logisches Verständnis (bei mathematischen Gegenständen beispielsweise), der Zugang über unser Denken oder über unser Imaginationsvermögen definiert die Art und Weise ihres Seins - von uns aus gesehen.
Im Grunde bedeutet das aber, dass wir jeder Art von Erzählung vertrauen können: In irgendeinem Winkel der Unendlichkeit der Welten, auf irgendeiner Ebene der Wirklichkeit ist sie wahr. Auch wenn diese Erzählungen sich untereinander widersprechen: Sie müssen sich ja nicht überschneiden, es ist auch eine nebeneinander bestehende Gleichgültigkeit zwischen ihnen möglich. Ein kategoriales sich nicht im Weg stehen, wenn sie in verschiedene Fächer eingeordnet werden können, oder ein räumlicher oder zeitlicher Abstand im Universum oder Multiversum etc. Nur sich selbst widersprechen dürfen sie nicht. Wenn denn Logik universell ist. Und wenn ihr Widerspruch nicht in einer Metaerzählung aufgehoben werden kann.


Gedankensinn

Das wir einen inneren Sinn für Gedankenformen haben, ist mir erlebnismäßig einsichtig. Ich habe ihn schon immer angewandt. Allerdings unbewusst, so wie man ja auch seine übrigen Sinne weitgehend unbewusst anwendet. Oder erlebt man etwa das Auge beim Sehen? Würde man dies tun (bei wandernden Schattenfäden im Augapfel etwa), dann wäre es beschädigt und würde das Sehen beeinträchtigen. Beim Gedankensinn liegt allerdings noch etwas anderes vor: Dieser Sinn betätigt sich beim Denken - während des Denkens, durch das Denken. Und so kann ich mir gleichzeitig bewusst sein, was ich tue, während ich es tue. Ich kann mein Denken wahrnehmend denken. Bewusst dabei sein. Ich kann mir auch bewusst machen, welchen Eindruck auf mich dieser oder jener Gedanke macht. Wie eine Vorstellung auf mich wirkt. Und bleibe dabei immer im Rahmen einer phänomenologischen Vorgehensweise.
Ich kann angezogen werden oder abgestoßen. Ekel kann aufkommen oder eine Sehnsucht, weiterzugehen, noch mehr davon zu erfahren. Trugschlüsse und Schwachheiten sind ebenso erlebbar wie Überzeugungskraft, Widerspruchsfreiheit und Evidenz. Oder: ist der Gedanke abstrakt, ist er konkret, welcher Sphäre gehört er an? Wir können abspüren, welches Wesen ein Gedanke hat: So wie wir ein Gespür für Wesenseigenschaften von allen Wahrnehmungen entwickeln können, uns dafür bewusst machen können. Was erleben wir als Eigenschaft von Rot beispielsweise? Wie wirkt diese oder jene Wahrnehmung auf uns? Welches Empfinden ruft sie in uns hervor? So auch mit den Gedanken, den Gedankenformen.


Freiheit denken

Freiheit im Denken kommt nicht durch das Denken. Durch das Denken kann die logische Folge, die Abhängigkeit, kann Ursache und Wirkung geklärt werden, kurz: Determiniertheit aufgedeckt werden. Denken führt somit von sich aus dahin, Unfreiheit festzustellen.
Freiheit kommt durch den Willen in das Denken. Freiheit ist eine intuitive Erfahrung: ist das Erleben, dass ich im Willen frei bin. Und: Ich will mich als frei erleben, ich will mich als frei definieren, ich will. Das ist eine Setzung, jedoch nicht durch das Denken. Die Setzung setzt sich weitgehend unbewusst selbst, ist daher als Fakt anzunehmen. Das Denken anerkennt nur diesen Impuls und muss versuchen, ihm zu entsprechen, gedanklich zu klären, wie Freiheit grundsätzlich möglich sein kann. Doch bei manchen Denkern (welche scheinbar keine sehr guten Selbstbeobachter sind) führt das dahin, Freiheit als Realität zu verneinen. In der Selbstbeobachtung meines Denkerlebens, meines Gedankenlebens erfahre ich meine Willensfreiheit: die Möglichkeit, mich in Gedanken zu entscheiden und auch, mich zu entschließen, für meine Entscheidung handelnd Verantwortung zu übernehmen.


Natur und Gewissen

Ich trage in mir ein Gewissen. Was meint: ich kann darauf zugreifen, wenn mir daran gelegen ist. Ich kann darauf zugehen und es wird sich mir mit leiser Stimme offenbaren. Ich kann auf das Gewissen hören, wenn ich dazu geneigt bin. Es wird sich mir nicht aufdrängen, es ist nicht das Über-Ich, das mit starken Verboten unterwegs ist, mir mein Verhalten vorschreiben will. Es hat eine zarte, eine leicht überhörbare Stimme. Eine freilassende. Jedoch ist diese Stimme der Bote (oder Platzhalter) meines eigentlichen Personseins. Wenn ich ihr lausche, ihre Intention abspüre, bin ich bei mir. Bin ich bei meinem eigentlichen Selbst. Und die Erfahrung des mit sich selbst in Berührung kommen und des davon Berührt werden ist eine evidente, braucht (und kann auch nicht) hinterfragt oder erklärt werden. Macht man diese Erfahrung, dann erlebt man, dass dieses Selbst, im innersten Tiefenbereich als Gewissen aufgefunden, ein ethisch fundiertes, ein wertebezogenes Selbst ist, eines, das sich von einem Wertekosmos angezogen und in ihm geborgen fühlt.
Jedoch: die Natur. Ist sie nicht das Gegenbild zu diesem Wertekosmos? Ist es ihr nicht gleichgültig, was mit ihren einzelnen Bestandteilen geschieht? Gleichgültig, ob tausende ihrer Einzelexemplare untergehen, gleichgültig auch, ob alles Leben erlischt, gleichgültig, was aus dem wird, was sie überreichlich produziert? Und neutral dem gegenüber, was ich als wertvoll erlebe, was mir ein Ideal ist? Mein innerer Wertekosmos und der äußere Kosmos scheinen unverbunden nebeneinander zu bestehen. Die Gleichgültigkeit des Universums meinem inneren Wertesystem gegenüber scheint dieses zu etwas Unbedeutendem zu machen, zu etwas im großen Ganzen Vernachlässigbarem. Auf jeden Fall zu etwas Relativem. Wenn das zutrifft, bliebe nur die Bedeutung eines ethischen Verhaltens für das soziale Miteinander. Und damit wäre das Gewissen wiederum nur die Stimme der erlernten Gebote und Verbote, eben des Über-Ichs.
Damit stellt sich mir, will ich mich selbst als freies Wesen ernst nehmen, eine scheinbar unbeantwortbare Frage als fast nicht zu stemmende Aufgabe: Wie kann ich die innere Welt der Werte und die Naturaußenwelt gedanklich in Übereinstimmung bringen? Ist das überhaupt möglich?


Denkvertrauen

Warum wäre es wichtig, Gedankendingen zu vertrauen? Sich Gedanken anzuvertrauen?
Erstens wohl, weil wir nichts anderes haben, was uns die Welt erklärt. Die Welt für uns klärt, klar macht. Auch wenn ich dabei bin, die Unwirklichkeit von Gedankendingen - Vorstellungen, gedankliche Konstrukte, Hypothesen - als wahr zu begründen, brauche ich doch dazu mein Denken, auf dessen Zugang zur Wahrheit ich also setze. "Es ist wahr, dass es keine Wahrheit gibt" wäre eine widersprüchlicher Aussage, aus deren Irrgarten man erst einmal herausfinden müsste…
Zweitens aber, weil nur durch das Vertrauen in die Tragfähigkeit von Gedankenbildungen, entstanden in der Auseinandersetzung mit dem, was vorliegt, ein Stand gewonnen werden kann, sich inmitten einer wechselnden, flüchtigen Wahrnehmungskulisse Gültigem anzuvertrauen. In die Welt geworfen sein, heißt auch, in eine Welt des Zufälligen, Belanglosen, Scheinhaften ausgesetzt worden zu sein. Und der Weg zu dem, was man "Ewig" nennt, führt nur über die entsprechenden Ewigkeitsgedanken. Wenn man sich ihnen anvertrauen will.


Denkart

Es ist merkwürdig, wenn ich versuche, eine sinnbezogene Formulierung zu finden - einen Sinn zu begründen, der für sich selbst stehen kann, der von angestrebter Objektivität ist - dann gerate ich, für mich fühlbar, in einen Widerspruch zur gängigen Art zu denken. Die zeitgeistige Denkart ist offensichtlich die der Relativierung, wenn nicht gar der Destruktion. Auch wenn ich von Konstruktion spreche, meine ich damit etwas, was wieder durch Dekonstruktion in seine Einzelbestandteile zerlegt werden kann. Ist Denken also an sich zergliedernd, nicht organisch aufbauend? Das kann ich so nicht akzeptieren. Es muss auch jenseits des naiven Glaubendenkens - welches die Vorstellungen über die Welt, die es aus seiner Tradition übernommen hat, für die einzig wahren und objektiven hält - Denkmöglichkeiten geben, die zu einem sinnhaften, sich selbst stützenden organischen Ganzen führen. Nicht als Behauptung, sondern als aktuellem Vollzug. Der wäre dann jedoch - um einen Gedanken der Romantik aufzugreifen - einem Kunstwerk ähnlicher als einer logischen Darlegung.
(Widerspruch: eine mathematisch-logisch aufgebaute Darlegung eines Sachverhaltes ist ein Kunstwerk - ein rein in Gedanken verbleibendes, sich selbst stützendes Gebilde höchst artifizieller Art)


Änderung des Blicks

Als ich jünger war, wollte ich wissen, weshalb etwas so oder so ist. Ich wollte es verstehen, sprich: es denken können. Die Natur gab mir dabei die größten Rätsel auf. Warum war das Blatt dieser Pflanze so, das Blatt einer anderen Pflanze ganz verschieden davon? Wodurch (und weshalb) unterschieden sich zum Beispiel Bäume? Was bestimmte ihren Wuchs, ihren Ausdruck?

Heute habe ich einen anderen Blick darauf. Jede Gestalt in der Natur steht für sich, braucht keine Erklärung. Eine genaue Beschreibung genügt. Sie ist so, wie sie ist.


Säulen der Erde

Bei einem Waldspaziergang ist mir aufgegangen, wie der hochstämmige Wald - schlanke, emporstrebende Baumriesen - ein Gefühl der Bewunderung, wenn nicht gar der Ehrfurcht aufkommen lässt. Wunderbare Lebewesen, die hoch aufragen, weit über das menschliche Maß hinaus, sich oben verzweigen und einen dichten Laubhimmel bilden. Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich Architektenaugen habe und die Natur auch mit diesen Augen ansehen kann. Und ich freute mich, auf diese Weise mit denen verbunden zu sein, welche die Wunderwelt der mittelalterlichen gotischen Kathedralen und Münster erbaut haben: Ich kann es mir gar nicht anders denken, als dass sie in das Herz ihrer Städte einen solchen hochstämmigen kunstvollen heiligen Hain stellen wollten, ebenso Heiligtum der Göttin Natura wie himmlisches Jerusalem. So wie ihre keltischen und germanischen Vorfahren in den natürlichen heiligen Hainen sich nahe dem Göttlichen gefühlt haben und ehrfürchtig zu den Säulen der Erde aufblickten.


Wahrheit ist tief

Wahrheit ist nicht nur Richtigkeit. Auch, aber nicht nur. Richtigkeit muss sich am Faktischen beweisen, erweist sich durch die vollzogene Übereinstimmung mit dem, was ist, als wahr. Wahrheit jedoch gründet tiefer. Sie ist Entdeckung in uns: ist mit uns verbunden - wir sind mit ihr verbunden. Es ist ein Durchbruch in eine Tiefenschicht: Hier ist Wahrheit.
Und da es unser Selbst ist, was wir dabei berühren, ist Wahrheit einerseits etwas einzig von einem Subjekt Erfahrbares, daher subjektiv, andererseits jedoch etwas über dieses Subjekt Hinausführendes. Es gibt nicht "unsere" Wahrheit allein, sie weist stehts über uns hinaus. Stellt uns in die Welt. In deren Wirklichkeit. Und die Tiefe der Welt ist unauslotbar.
Die Überzeugung, eine Wahrheit gefunden zu haben, ist von dieser Tiefe geprägt. Warum sonst sind wir Wahrheitssuchende? Eine praktische Richtigkeit würde doch genügen, um sich im täglichen Leben zurecht zu finden. Doch das reicht nicht hin. Wir wollen in der Wahrheit sein - wenn wir uns auf uns selbst besinnen.


Beim Blick in einen Roman

Was mir noch niemand begreiflich machen konnte: Warum sollte man die Banalität des alltäglichen Lebens verdoppeln, indem man diesem einen Spiegel vorhält? Abgespiegelt wird es nicht besser, getreu nachgestellt nicht erfreulicher. Öde bleibt öde, banal banal. Oder verstehe ich das Ganze falsch und es geht um den ethischen Anspruch, durch Aufzeigen des Lebens im Falschen das richtige Leben zu beschwören?
Wenn mir nun jemand einwendet, es geht um die umarmende, zärtliche Hinwendung zur Realität, um Akzeptanz und Annahme des Gegebenen, dann könnte ich das verstehen - denke ich dabei an Stifter oder ähnliche Autoren - jedoch: finde ich in dieser Art Literatur Zärtlichkeit oder Hinwendung oder Hingabe an das, was ist? Eher einen kalten oder spöttischen Blick und den Ausschluss von allem, was begeistern könnte: da dies möglicherweise in das Gebiet des Geistes führt…


Selbstabstand

Mitgenommen werden und Getrieben sein macht den größten Teil unseres alltäglichen Lebens aus. Wir sind identisch mit dem, was uns umtreibt, identifizieren uns mit den Affekten, die in uns erregt werden. Identifizieren uns mit Meinungen, die wir übernommen, mit Gewohnheiten, die sich bei uns eingestellt haben. Kurz: wir fühlen uns als die Person, die uns durch unsere Erziehung, unsere Umgebung, unsere Zeit gegeben wurde. Dabei kann es bleiben, ohne dass wir aus einem funktionierenden Leben herausfallen, ohne dass wir anstoßen, unser Lebenslauf stockt oder wir sonstwie Behinderungen erfahren. Außer vielleicht: wenn uns das Gefühl beschleicht, dass wir uns selbst nicht genügen.

Denn sind wir im Kern wirklich die Person, als die wir auftreten, als die wir gesehen werden und uns selbst sehen? Was die Vergangenheit betrifft sehr wohl: So waren wir, so sind wir durch sie geworden. Unser Geprägt sein kommt von daher. Unsere Gegenwart scheint dem zu entsprechen. Aber in unserer Gegenwart gibt es auch einen Bereich, der nicht dem rein Faktischen unterworfen ist: das Reich der Möglichkeiten. Und darauf kann sich ebenso unser Personsein beziehen: Wir sind auch Möglichkeitswesen, mögliche Wesen, die ein noch zu verwirklichendes Potential in sich tragen. Unsere mögliche zukünftige Daseinsform fordert uns auf, uns die Freiheit zu nehmen, aus unserem Gepräge herauszutreten, um mehr als unsere bisherige Person zu sein. Auf die wir im Grunde niemals beschränkt waren, mit der wir uns nur irrtümlicherweise identifiziert haben, als seien wir auf sie festgelegt.
Durch Selbstabstand entziehen wir uns dieser engen Identifikation. Dann sind wir, in jeden Augenblick, in dem dies glückt, nicht mehr nur diese eine Person, sondern auch ihre Möglichkeitsformen, die sich aus ihr in den Unendlichkeitsraum entfalten wollen. Sind wir auch die Person, die sein könnte. Die sein wird. Die wir wählen würden, wenn es uns unsere Behinderungen, unsere Beschränkungen zuließen. Aber diese Wahl haben wir ja - jedoch fällt es uns, je nach Bereich, leichter oder schwerer, eine Alternative zum Geläufigen anzuerkennen und zu realisieren. Das Spektrum reicht dabei von "kein Problem für mich" bis "mir unmöglich".
Durch Selbstabstand können wir aus einem getriggerten Affekt aussteigen. Wir können sogar eine tief in uns angelegte bisherige Überlebensstrategie verändern, wenn wir ihre schlussendliche Destruktivität für uns selbst und andere erkennen. Auch Charaktereigenschaften sind nicht unveränderlich, es gibt Übungen dafür. Und schließlich können wir auch aus Überzeugungen, Paradigmata, zeitabhängigen Meinungen heraustreten, wenn wir an einem Bild von der Welt arbeiten, das diesen nicht entspricht, ihnen vielleicht sogar entgegengesetzt ist - egal in welcher Hinsicht. So kann die Selbstidentifikation gelöst werden, welche uns auf eine bestimmte Persönlichkeit festlegen will: so sind wir, das sind wir. Das sind wir nicht. Wir sind mehr, sind vielfältig.


Nicht diese Person sein

Warum wäre es denn wichtig, nicht auf eine bestimmte Person festgelegt zu sein? Ist nicht die Ausbildung einer reifen - und das meint auch einer stabilen - Persönlichkeit Ziel vieler Psychotherapien? Da kommt es darauf an, was man unter einer Person oder einer Persönlichkeit versteht.
Für C. G. Jung und Carl Rogers war es das Selbst, welches sich in einem Reifungs- und Entwicklungsprozess selbst realisierte, welches sich selbst als Endziel hatte: Mehr kann man im Leben für sich nicht erreichen als sich selbst sein, in vollständiger Realisation seines Potentials. Und die Person ist in diesem Bild nur die irreführende Ablenkung von diesem Ziel, eine Maske, vorgebunden vor das eigentliche Gesicht, wie die Theatermaske im altgriechischen Drama. Eine Maske, die ein Gesicht zeigt, wie es gesehen werden möchte und oft auch so gesehen wird. Ein Requisit der Täuschung und Selbsttäuschung. Die Person ist hierbei das Zugeschriebene, das im Laufe der Zeit Angelegte, sich Angesammelte - oft als "Persönlichkeit" benannt, was vielmals nur einen Status bezeichnet. Person in diesem Sinne ist auf die Gesellschaft bezogen.
Im Existenzialismus dagegen ist Person das Eigentliche, um das es geht. Person sein heißt, in die eigene Existenz zu treten, bedeutet, in Wirklichkeit zu existieren. Nicht im Dasein bloß anwesend zu sein. Das gibt dem Begriff der Person eine Tiefe, die nicht ausgelotet werden kann, ganz im Gegensatz zur Oberflächenmaske der jung'schen "Persona".
Für mich beinhaltet Person beide Aspekte, da ich sie noch in einem ganz anderen Kontext ansiedele. Person steht dabei sowohl für eine einmalige Lebensgeschichte, in der sich eine Persönlichkeit zeitlich realisiert, in die Existenz bringt, als auch für ein Medium, in dem sich eine überzeitliche Individualität verkörpert. Vom Standpunkt dieser überzeitlichen Individualität aus gesehen, wäre es zu eng, zu beschränkt, sich mit nur einer bestimmten Version zu identifizieren. Und im Gegenzug, von meinem begrenzten Standpunkt als Person aus gesehen, führt eine Selbsdistanzierung in den Metaraum der Individualität, welche umfassender ist als eine zeitgebundene Person, die einen Startpunkt hat, eine Entwicklung und einen Endpunkt.
Wobei Selbstabstand nicht Abspaltung meint, ein Negieren, Unwichtig machen der Person, sondern, im Gegenteil, die Wahrnehmung dafür schärft, was diese Person ist. Wie sie ist. Was ihre Eigenschaften, ihre Farben sind. Und so die Wertschätzung ihrer Qualitäten fördert.


Bewusste Existenz (Schellings Echo)

In mir schlägt die Welt ihre Augen auf und sagt: "Siehe, ich bin".
Sternenstaub ist bewusst geworden (Carl Sagan). Von der anderen Seite aus gesehen: Bewusstsein ist zu Stern geworden, Stern zu mir.


Wunschwollenintention

Ich möchte in Kontakt mit all dem treten, was meine bisherige Identität ausgemacht hat. Was ich war, woher ich komme, was ich bin. Ich möchte in Kontakt mit all dem treten, was ich in Zukunft sein könnte. Was mein zu Erreichendes wäre. Ich möchte in Berührung mit dem stehen, was meine Gegenwart ausmacht: Die Welt, wie sie meinem jetzigen Bewusstsein offensteht.


Engel

Engel ist ein Wort für einen Zustand, der einen ergreift, umgreift, der einen woanders hinführt als dort, wo man sich im alltäglichen Leben aufhält. Ist ein Wort für das Ergriffensein durch die Totalität der Welt, die sich als Gesicht zeigt. Engel ist die Mächtigkeit, die ich nicht bin, über die ich nicht verfüge, und die sich mir als in meine Wirklichkeit einwirkend zeigt.


Überwirklich: Engel und Dämonen

Vom Ursprung geht alles aus. Engel und Dämonen. Oder sollte man unterstellen, die Dämonen haben sich nur eingeschmuggelt in eine engelhafte Schöpfung? Der Ungrund, der vor/hinter dem Grund von allem liegt, ist jenseits aller Zuschreibungen, auch von Gut und Böse.
In unserem jetzigen Zeitausschnitt freilich, unserer Gegenwart, gibt es das Feld der Psyche, die innere Welt, in dem sich beide tummeln, Engel und Dämonen. Somit sind sie zu unterscheiden. Vor allem ihrer Wirkung nach: Sind sie förderlich oder zerstörerisch für das Leben des Einzelnen oder der Gesellschaft? Wer aber könnte das auf lange Sicht, oder sogar auf die Dauer der evolutionären Entwicklung, wirklich beurteilen? So bleibt nur zu sagen: es liegt an meiner Intention, ob meine Zuwendung zu einer Überwirklichkeit mir das Gesicht eines Engels oder eines Dämons offenbart. Hilfereichung oder Verführung, Gelassenheit oder Ermächtigung, Wahrheit oder Täuschung: Ich folge meiner eigenen Schicksalsspur, die ich durch die Erhöhung meines Selbst anlege. Verantworten muss ich dies allein, in Freiheit, da hilft kein Engel, da liegt keine Schuld bei einem Dämon. Oder auch: ich beschwöre einen Engel und bekomme einen Dämonen (einen Verführer), da ich bereit bin, meine Selbstverantwortlichkeit an eine übergeordnete Macht abzugeben, beziehungsweise darauf aus bin, diese Macht meinen Wünschen gefügig zu machen.


Bestehen bleiben

Alles was war ist vergangen. Alles was ist wird vergehen. Bestehen bleibt es, wenn es aufgehoben wird: durch die Empfänglichkeit eines bewusst wahrnehmenden Wesens, welches die Welt in Erinnerung umwandelt. Einem Weltgedächtnis übergibt.


Jenseits der Zeit

Im Jenseits der Zeit hat alles seine Erfüllung gefunden. Alles, was sich in der Zeit entwickelt, ist dort schon immer als Ganzes vorhanden. Hat heimgefunden, um von dort ausgehen zu können. Die Fülle ist im Keimpunkt und im Weg und in der ausgebildeten Gestalt.


Blick von weither

Ich bin als Person ein Trittstein auf dem Weg zu dem Gott, dem Engel, der ich bin. Und es gibt viele Trittsteine auf diesem Entwicklungsweg. Spiralförmig angeordnet, eine Stufenleiter, die zum Zentrum führt, wie eine Wendeltreppe. Das zentrale Licht immer höher umkreisend, um am Endpunkt mit ihm zu verschmelzen. Am Zielpunkt.
Jetzt aber bin ich noch eine Person, führe das persönlichkeitsgeprägte Leben eines individuellen Menschen, laufe, hüpfe, wusele durch mein Dasein, dessen Nahsicht meinen Horizont begrenzt. Doch bin ich auch der Avatar eines sich selbst erschaffenden göttlichen Wesens, eines Gottes, der sich durch mich realisiert. Meine persönliche Lebenserfahrung, meine innere Entwicklung, mein Wachsen, Reifen, meine Erkenntnisse und Entscheidungen sind der Beitrag, den ich dazu leiste.
Und eine unnennbare Vielzahl von Göttern umkreist auf dieselbe Weise das Zentrum des göttlichen Ein- und Ausatmens der Schöpfung, in gestaffelten Ordnungen und Rängen. Ein fraktales Bild. Bis hinunter zu mir.
Zu dieser Sicht von weither auf meine Existenz neige ich heute.