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MEINUNGEN/ESSAYISTISCHES




Genderismen

Bin ich ein Konservativer, wenn ich es verblödend finde, gewordene Sprache um einer Gendergerechtigkeit willen zu verhunzen? Ja klar, "verblödend" und "verhunzen" sind polemische Ausdrücke, vielleicht nicht angebracht, es geht schließlich um ein ernsthaftes Anliegen, dass der Gerechtigkeit nämlich. Wie werden wir dem Einzelnen in seiner Rolle als Mann oder Frau gerecht, ist die Frage, die dahintersteht. Und ich weiß um die Wirkmächtigkeit des Sprachlichen - wie Sprache unsere Weltsicht vorgibt - deswegen will ich dieses Anliegen nicht einfach als lächerlich abtun. Ich weiß aber auch um die Gefahr eines Denkens in Schubladen, in die alles eingeordnet wird: schwarz und weiß, links und rechts, männlich und weiblich. Denn wenn wir schon anfangen, uns um die Abbildgenauigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse durch sprachliche Formen Gedanken zu machen, dann sollten wir schon weitergehen: Was ist mit der Gerechtigkeit für diejenigen, welche sich nicht in dieses biologisch vorgegebene Schema einordnen lassen wollen? Bräuchten wir dann eine dritte - oder vierte, fünfte - Bezeichnung für den geschlechtlichen Ist-Zustand oder die sexuelle Präferenz des Angesprochenen?
Ich bin der Meinung, es gibt gar keine auf ewig bestehende Festlegung der sexuellen Orientierung, jedes Individuum entwickelt dabei seine eigene Neigung, hat also seine eigenste sexuelle Identität, und dieses sollten wir anerkennen. In einem gesellschaftlichen Klima der Toleranz und Freiheit. Dies bedeutet aber nicht, für jede mögliche Position einen eigenen sprachlichen Code einzuführen. Was doch nicht praktikabel wäre. Die paritätische Besetzung der Sprache mit nur zwei Geschlechtern, wie von einigen angestrebt, behebt allerdings auch nicht diese Problematik, führt stattdessen nur zu lächerlichen und verkünstelten Sprachkonstruktionen. Am besten wäre es doch, eine neutrale und für alle gültige Form der Anrede, bzw. der Bezeichnung zu finden, die jeder für sich akzeptieren könnte. Allerdings: gibt es diese quasi neutrale Form nicht schon? Dem Sprachgebrauch nach? So wie die Sprache konventionell eingesetzt wird, ist nämlich die männliche Bezeichnung als Oberbegriff, der beide Geschlechter umfasst, selbstverständlich im Gebrauch. Was von den Vertretern der Genderagenda natürlich als empörende Ungerechtigkeit angeklagt wird. Jedoch trifft diese Selbstverständlichkeit keineswegs auf die weibliche Bezeichnung zu, die dem Sprachempfinden nach explizit die männliche Hälfte der Menschheit ausschließt.
Warum aber können wir nicht akzeptieren, dass sich unsere (indogermanischen) Sprachen in einem evolutionären Prozess in Gesellschaften entwickelt haben, die seit mindestens viertausend Jahren männlich dominiert waren? Und dass wir trotzdem, auch wenn im Deutschen geschlechtsspezifische Zuordnungen vorhanden sind, unsere eigenen Gedanken und Vorstellungen, die ganz andere sind, als die der ursprünglich sprachbestimmenden Gesellschaften, in eben dieser Sprachgestalt ausdrücken können - ohne diese Sprachgestalt zu vergewaltigen…
Doch eine Vergewaltigung, zumindest auf ästhetischer Ebene, ist es, wenn ich ständig beide Geschlechtsbezeichnungen bemühe, um zu zeigen, es gibt nicht nur Ärzte, sondern auch Ärztinnen, nicht nur Zuhörer, sondern auch Zuhörerinnen, nicht nur Literaten, sondern auch Literatinnen. Oder, in der neuesten Schreibweise: Ärzt*innen, Zuhörer*innen, Literat*innen. Selbstverständlich werde ich keine Professorin mit Professor anreden. Niemand braucht sich noch einen Bart umzubinden, um als Kanzlerin akzeptiert zu werden, wie es die Pharaonin Hatschepsut in Altägypten getan hat. Keine Frau muss ihr Selbstwertgefühl von sprachlichen Traditionalismen (oder deren Überwindung) abhängig machen, sie kann sich auf das berufen, was ihren eigenen Erfolg in der Gesellschaft ausmacht. Ist es heute nicht selbstverständlich, dass weibliche Wesen alle beruflichen und gesellschaftlichen Funktionen ebenso gut wie männliche Wesen besetzen können, so dass man in einer Versammlung von Therapeuten auch jede Menge Therapeutinnen - wahrscheinlich sogar in der Überzahl - finden wird? Muss das explizit und penibel festgehalten werden? Wenn das Wort Therapeut beide Geschlechter umgreift? Kann ein Satz heute so nicht mehr geschrieben werden: Der Therapeut unterstützt seinen Klienten in dessen Bemühen, sich selbst zu akzeptieren? - Muss es heute wirklich so heißen: Der Therapeut/ die Therapeutin unterstützt seinen/ihren Klienten -seine/ihre Klientin - in dessen/deren Bemühen, sich selbst zu akzeptieren? Oder besser noch: Die Therapeutin/der Therapeut usw.… Oder anders: Der/die Therapeut* in unterstützt seinen/ihre Klient(en)*in in dessen/deren Bemühen usw.… Absurd.
Ich verstehe den reformpädagogischen Ansatz, der dahintersteht. Sprache wandelt sich ständig und schon immer, und das soll eben der Anstoß zu einer gewollten Wandlung sein. Zur gendergerechten Sprache. Aber ich könnte eher das Verschleifen und die Verstümmelung des Schriftdeutschen durch ein Migrantensprech akzeptieren, wie es auf der Straße schon gesprochen wird, weil es ein natürlicher Prozess ist, der auch in anderen Sprachen und in anderen historischen Zusammenhängen zu beobachten ist, als eine solche künstliche Implementierung, geschuldet der political correctness. Man spürt die Absicht zur Schulmeisterei und ist verstimmt. Das ist aber nicht mein Argument: Mein Argument ist ein ästhetisches, mein Argument ist ein ethisches. Es führt einfach zu einem schlechten Stil, einem kopflastigen Stottern, wodurch man einen Satz zweimal lesen muss, bis man ihn zusammenbringt. Und dann: es besteht keine Achtung und Wertschätzung der gewordenen Sprache, kein Empfinden dafür, wie Wörter geworden sind, was sie an Anklänge, an Assoziationen mit sich führen, welche Geschichtslasten auch damit verbunden sind. Ein ähnliches Thema übrigens - und ähnlich umstritten - wie das der Denkmäler unserer Geschichte: Sollte man nicht alle dunklen Kapitel in ihr endgültig überwinden, indem man die Erinnerungs- /Verherrlichungsmale dafür ausmerzt? Die Psychoanalyse kann dazu etwas sagen - was nämlich im Individuellen geschieht, wenn eine Person dies mit ihren dunklen Kapiteln macht: Verdrängung und Entwicklung einer Störung.



Warum Freiheit durch Verantwortung ergänzt werden sollte

Freiheit ist ein erhebendes Wort. Es erhebt sich das Herz dabei und der Kopf schaut um sich und kann seine Gedanken hinschicken wohin er will. Gedanken- und Redefreiheit war einmal etwas, was gegen mächtige Gegner erkämpft werden musste, mit Mut und unter Opfern. In manche Gegenden der Welt gilt das heute noch.
Das Gegenteil von Freiheit ist der Zwang. Äußerer Zwang oder innere Zwänge. Umständen unterworfen zu sein, die man nicht ändern kann oder psychischen Zuständen ausgesetzt zu sein, die einen dorthin treiben, wohin man eigentlich nicht will - dass lässt einen die eigene Hilflosigkeit erleben. Und Befreiung aus dieser Hilflosigkeit wird als Befreiung aus einer Bedrängnis, einer Einschnürung, einem Festgebannt sein erlebt. Freiheit, aah… tiefes Durchatmen, endlich dem Zwangszugriff entkommen. Endlich bei sich selbst angekommen, dem eigenverantwortlichen Tun und Lassen. Dieses Empfinden, als Geschmack und Qualität der Freiheit erlebt, gibt der Freiheit ihren Wert, macht ihren Sinn aus. Bedingt den hohen Stellenwert, den die Freiheit besitzt. Denn auch andere Werte, die sich nicht mit der Freiheit decken oder ihr sogar widersprechen, sind im Umlauf: Sicherheit zum Beispiel. Versorgt werden. Geführt werden etc. In früheren Zeiten waren diese sogar bestimmender als die Freiheitswerte, die wir Heutigen so schätzen. Das Befreit sein von etwas, einem Zwang, und die Freiheit, sich für - oder gegen - etwas entscheiden zu können, wird allerdings unterschieden. Mit recht. Das erstere ist ein Vorgang auch im sozialen Bereich. Das zweite berührt das Problem der Willensfreiheit: gibt es sie? Im ersten Fall wird wohl niemand, der davon betroffen ist, verneinen, dass es ein erstrebenswertes und reales Ziel wäre, befreit zu sein. Freiheitskämpfer setzten ihr Leben dafür ein, Geschichte wurde damit geschrieben. Oder eine psychischer Zwangsstörung wird therapiert und der Patient kann endlich ein normales Leben führen. Beim zweiten wird es grundsätzlich: was meint Freiheit genau? Bin ich wirklich frei, wenn ich nicht mehr von jemand anderem herumgeschubst und kommandiert werde? Was treibt mich, dieses zu tun und jenes zu lassen, dieses zu denken, zu sagen, zu wählen? Hirnforscher streiten sich darüber mit Philosophen, Psychologen untereinander.
Für den Normalbürger stellt sich allerdings diese Frage nicht. Für ihn ist klar: Freiheit ist der Zustand, in dem ich tun kann, was ich will. In dem ich selbst bestimmen kann, was ich tue. Und damit ist Freiheit der Zustand, in dem ich nicht Gebunden bin. An irgendetwas und an irgendwen.




Freiheit und Liebe

An der Frage, ob absolute Freiheit nicht bedeuten würde, auch jederzeit einen Mord begehen zu können, einfach so, kann man ins Grübeln über das Wesen der Freiheit kommen. Ja, muss man dazu sagen, Freiheit bedeutet genau dies. Erst einmal. Denn es wäre eine Einschränkung der Freiheit, bestimmte Bedingungen für sie aufzustellen, an die sie sich zu halten hätte, moralische zum Beispiel. Dann gäbe es die Freiheit nicht wirklich.
Diese Antwort kann erschrecken. Und dieses Erschrecken führt zu etwas Anderem. Zu der Frage nämlich, was mich als Menschen ausmacht. Freiheit ist zweifellos ein zentrales Moment unseres Menschseins. Das freie Sein-Handeln-selbst-bestimmen-können ist so sehr zu uns gehörig, dass wir es gegen jeden empirischen Gegenbeweis verteidigen. Jeder Aufdeckung eines Zwanges, der uns zu einer bestimmten Handlung geführt hat, stellen wir das Argument dagegen, dass es in diesem Falle wohl zutrifft, es aber nicht grundsätzlich so sein muss. Im Grunde seien wir frei. Wenn wir uns auf uns selbst besinnen und unser Handeln mit uns selbst in Übereinstimmung bringen.
Natürlich kann dies angezweifelt werden und wird auch angezweifelt, der Determinismus hat wahrscheinlich mehr Anhänger als die Freiheitsphilosophie, doch wird wohl kein Mensch sich ernsthaft als absolut determinierte Maschine ansehen, deren Wirken vorprogrammiert ist und in deren Ablauf er nicht eingreifen kann. Das wäre sehr seltsam und fast schon pathologisch, wenn so gelebt.
Macht aber dieses Freiheitsvermögen, das wir derart verteidigen, unser ganzes Menschsein aus? Auch darauf gibt es eine klare Antwort: nein. Freiheit ist nur ein Pol in ihm. Der andere, ihr Gegenpol, ist das Eingebunden sein in die Gemeinschaft aller Wesen und Dinge. Nicht das Gebunden sein, das wird oft damit verwechselt und als Widerlegung der Freiheit angeführt. Freiheit führt in das Alleinsein, auch in die die Einsamkeit, Eingebundensein in die Gemeinschaft. In dieser Spannung leben wir. Beides ist wichtig, um sich lebendig zu entwickeln.
Wenn gesagt wird - so auch sinngemäß von Viktor Frankl - eine freie Handlung, von uns ausgeführt, bringe die Verantwortung für diese von uns ausgeführte Handlung mit sich, dann heißt das nicht nur, wir müssen damit leben, dass unser Wirken auf uns zurückwirkt, wir durch die Umstände oder die Gesellschaft eventuell dafür bestraft werden, wenn wir Schaden angerichtet haben. Dass wir also nicht ungestraft einen Mord begehen können (was nicht unsere Freiheit, ihn tun zu können, berührt). Es bedeutet mehr noch, dass wir als ganzer Mensch, als Person, in diesem Spannungsfeld von Freiheit und Eingebundensein stehen und in ihm wirken. In ihm wirken und uns dadurch, als Person, verwirklichen. Wir übernehmen, als Person, die Verantwortung für das, was wir durch unser Handeln bewirken. In der reinen Freiheit liegt keine Veranlassung vor, sich dafür zu verantworten. Die Freiheit an sich zwingt nicht dazu. Auch wir, als ganzer Mensch, sind dazu nicht gezwungen, das wäre gegen unsere Freiheit. Es ist etwas anderes, was uns dazu bringt, in der Verantwortung für unser Handeln zu stehen: unser tiefbegründetes Verbunden sein mit allem was ist. Man nennt es auch Liebe.