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Exposé Faulhabers Komet

(Angaben zum Inhalt)




"Faulhabers Komet" ist ein Roman, der ein Ereignis am Beginn des dreißigjährigen Krieges aufgreift: die prophetische Vorhersage eines Kometen durch den Rechenmeister Johannes Faulhaber zu Ulm, der durch spekulative Zahlenauslegung den Kometen, den Krieg, und die baldige Herabkunft des tausendjährigen Reiches, wie seit biblischen Zeiten erhofft, vorhersah und als Offenbarung veröffentlichte. Als Mathematiker, Festungsbauingenieur, Erfinder, Alchemist und Rosenkreuzer ist er noch eine Renaissance-Figur, der hermetischen Weltauffassung verpflichtet; so ist seine Begegnung mit dem Repräsentanten der aufkommenden rational begründeten Naturwissenschaften wie ein symbolisches Bild für einen Epochenschnitt: Der junge René Descartes sucht ihn auf, um von ihm mehr über die Rosenkreuzer zu erfahren.
Diese (hypothetische?) Begegnung ist der einzige Kreuzungspunkt im Leben beider, die ansonsten völlig verschiedene Wege gehen, nur in Einem einig: Dass der Sinn aller wissenschaftlichen und theoretischen Bemühungen in der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen liege.
Descartes findet kurz nach seinem Besuch bei Faulhaber durch drei Träume einer Nacht zu seiner eigentlichen Bestimmung: Als Naturwissenschaftler will er alles Wissen auf den Prüfstand einer grundlegenden, theoretisch fundierten Erkenntnismethode legen, die er auszuarbeiten beschließt.
Faulhabers Lebensweg führt ihn zur gesicherten Existenz als begehrten Experten für das Festungswesen, ein Fachwissen, welches im Kriegsgeschehen der kommenden Jahre gut bezahlt wird. Doch bleibt er trotz aller enttäuschter Endzeiterwartungen, die in den Wirren des tatsächlichen Geschehens sich als Illusionär herausstellten, dem Glauben an eine mögliche Offenbarung treu, wie er diesen von einem ihn beeindruckenden Mitbürger übernommen hatte: dem Bäcker Noah Kolb, Hauswirt seiner Rechenschule. Dieser wurde aufgrund seines Lebenswandels hingerichtet, da man ihm nicht nur irrige Prophezeiungen (wofür er und Faulhaber gemeinsam ins Gefängnis kamen) sowie Trunksucht, sondern auch einen liederlichen sexuellen Umgang mit Schülerinnen Faulhabers vorwarf.
Auch Faulhaber gerät unter den Druck, sein Weltbild vor der religiösen Orthodoxie rechtfertigen zu müssen: Zweimal flieht er ins Exil, um einer drohenden Einkerkerung zu entgehen. Diese engen, bedrückenden Verhältnisse und die Not der Zeit sind der Hintergrund, vor dem das Bemühen Descartes um Klarheit und die Suche Faulhabers nach der utopischen Wissensgemeinschaft der Rosenkreuzer verständlich wird: Beides ist eben auch Antwort auf diese Situation.

Der Verlauf der Erzählung entwickelt sich so, dass sich der an der Pest erkrankte und sterbende Faulhaber an einige Stationen und Begegnungen in seinem Leben erinnert; an Szenen, die assoziativ auftauchen und durch die Erinnerungsfäden Faulhabers zusammengehalten werden - sie geben so insgesamt einen Einblick in sein Leben und die Zeitumstände, ohne dass es sich dabei um eine ausgearbeitete Biographie Faulhabers handeln würde. Der Titel "Faulhabers Komet" bezieht sich auf ein wichtiges Ereignis in seinem Leben, seine um 1617 veröffentlichte Vorhersage eines dann tatsächlich 1618 erschienenen Kometen. In die daran anknüpfende Auseinandersetzung um seinen Status als "Propheten" wird auch der junge Descartes verwickelt, der Faulhaber in dieser Zeit aufsucht. Faulhaber vermutet in ihm eine überirdische Erscheinung, nachdem dieser sich trotz seiner Jugend als genialer Mathematiker herausgestellt hatte. Im Gespräch zwischen beiden findet jeder zu seiner eigenen Position: Hier die hermetische Weltauffassung von einem beseelten Kosmos, dort das Abstreifen überkommener Vorstellungen, die nur geglaubt, nicht bezeugt werden können, und der Aufbau einer auf Mathematik beruhenden Wissenschaft.
Neben Faulhaber und Descartes gibt es noch zwei Protagonisten, die eine explizite Rolle spielen: Faulhabers Freund und Hauswirt Noah Kolb - und ebenso der Erzähler (oder Reflektierende), dessen Ebene immer wieder berührt wird, wenn auch nicht zu oft, um den Erzählfluss nicht zu stören. Allerdings gehört diese Reflexion zur Erzählung dazu, da eine Thematik (und vielleicht der geheime Kern) der Geschichte die ist, wieweit wir Heutigen noch von damaligen Befindlichkeiten berührt werden oder sogar davon lernen könnten. Stichworte: Flüchtlinge und deren Abwehr, apokalyptischer Endkampf und Gewalt, religiöse Intoleranz, wissenschaftliche Methode und alternatives Denken etc. Durch die Figur des Noah Kolbs wird ein dramatisches Element in die Geschichte eingeführt, sein Fall ist der des quer zu den Möglichkeiten seiner Zeit stehenden Individuums, welches an den Umständen zerbricht: Er sieht sich selbst in der Tradition der "Brüder des freien Geistes", versteht aber darunter eher Willkür und Selbstüberschätzung. Durch ihn finden die Themen Apokalyptik, individuelle Glaubensüberzeugung, Gerechtigkeit in einer Ständegesellschaft etc. Eingang in die Erzählung.

Der Roman will kein Essay sein, sondern Belletristik, doch eine, die ebenso von Themen handelt (z.B. wissenschaftliche Evidenz und Offenbarungsgewissheit, Untergangsphantasien und Politik), wie sie eben auch in einem Essay untersucht werden könnten, der diese auf neuartige Weise beleuchtet und vertieft. Einen solchen Ehrgeiz hat die Erzählung nicht, jedoch den, eine schön geschriebene und gut erzählte Geschichte zu sein. Erzählebene und Reflexionseben wechseln sich dabei ab, aber nicht zu theorielastig: Auch der Reflektierende (der Autor) ist eine Figur des Romans.
Wenn es zwei unterschiedliche Literaturen gibt - eine, die den Leser durch ihre Illusionstechnik von sich hinwegführt, ihm Fluchtmöglichkeiten aus dem Alltag anbietet - und eine (nach Handke allerdings die einzig wahre), die den Leser im Spiegel des Anderen zu sich selbst hinführen will, dann ist der Roman seiner Intention und der Anlage nach der zweiten zuzuordnen. Was auch die Frage beantwortet, welchen Leserkreis der Roman ansprechen will: Leser, die Freude an Literatur als sprachlichem Medium haben und offen für die geschichtliche Dimension unserer Gegenwart sind, noch berührt werden durch die Intention und den Schicksalsverlauf vergangenen Lebens - als Nachricht an uns selbst verstanden. Eine weitere Leserschaft wären diejenigen, die sich speziell für die Geschichte ihrer Region (in diesem Fall das Ulm der frühen Neuzeit) interessierten. Auch dies könnte ein Zugang zum Roman sein .