Architexxt



Gedichte




Am Anfang*


So viel Anfang am Anfang
und nun
am Ende: was verschleiert der Schleier?

Ein Blinzeln über Zeiten hin
zu dir
zersplittert den aufgestellten Raum.

Fragmente.

Und zu schnell setzt sich alles
wieder zusammen.
Am Ende der Anfang




Erinnerungsarbeit


Stein für Stein
Wort für Wort
aus dem Fels der
Erinnerung meißeln.

Steingeworden.
Erstarrte Lava.
Qual der Möglichkeiten,
der Widersprüche.

Welche Spur führt ins Richtige,
welche Schicht ist abzutragen,
welches Sediment fundlos?

Worte, Sätze, Bilder:
verschlungen.

Ungeheuer Zeit.




Quellgrund


da ist ein tränengrund
ein brunnen
der in mir ruht

ein meer
von flut
und ebbe still bewegt

versiegelt.

wandle das opfer in mir
das opferwasser wandle in
lebenswasser

und wird das siegel genommen
ergisse sich keine bittre flut




Keine Ankunft


Tägliches Gebet an den fernen Gott
in mir. Ohne Echo.
Rune Nr. 56. Der Fremde.
Kein anderes Zeichen.
Keine Ankunft.




Netze. Dinge


Netze
geflochten aus Worten
geknüpft aus Sprache
Knoten um Knoten -

Netze
umfangend die Leere
einfangend das Nichts -
erfüllen das All
mit ihrem Gewebe
durch ihre Kraft:

und es ward Licht
und es ward Baum
und Himmel und Fluss.

Und es ward alles.




Fischzug


Es gibt keinen See
Es gibt keine Angel
Keinen Köder, keinen Wurf, kein Warten.

Und doch:
Etwas ist bereit
Eingefangen zu werden.

Gibt es den Fischer?




Hypothese


Wer bin ich…?

Eine Hypothese, geworfen in die Zeit
wie ein Schatten
zurückgenommen, wiedergekommen, ausgetestet
wie ein Schatten oder ein Licht -
durchlässig für neue
Formulierungen




Quellhimmel


Fließen. Funkeln. Zerstieben
Gedankenflucht. Gedankenzucht
Abwehr und Sperre und Bann -

Oh bedränge nicht
Oh beenge nicht
Zermalme und zerbreche nicht

Erstarre nicht -
Stelle dich nicht tot
Du lebst

Fließen. Regnen. Wachsen
Explodier empor
Umgreife die Tiefen
Mach die Augen auf
Staune




Manchmal


Manchmal
In geheimen Stunden
Still verrinnenden Sekunden
Wirst du von der Last entbunden -

Hebt sich leicht
Was längst versunken
Findest du
Was du gefunden




Bitte


Bitte an den Engel,
der meine Seele umfängt:

Erhebe mich
zu dir.
Erhöhe mich
zu mir.
Erhelle mich
In dir.

Gib mir die Kraft
der zu sein
der ich bin.
Der ich war.
Der ich sein werde.




(Rilke zugewandt)


Ach, nähme doch
ein Engel mich an die Hand
und unter seine Fittiche,
umarmte mich und sagte:
du bist schön
du bist golden.

So aber stehe ich
mir selbst zugeeignet
allein und
in Freiheit.




Im Netz der Zeit


Welchem Morgen ich mich entgegensehnte
ist schon längst vergangen
im Netz der Zeit.

Welchem Stern ich folgen werde
ist noch nicht aufgegangen
im Netz der Zeit.

In's blinde Netz der Zeit
bin ich gebannt:
öffnet sich der Raum mir ins Licht?




Schau


Ich blicke auf den Stein -
Er ist in mir.
Ich blicke auf das lebendige
Pflanzenwesen -
Es lebt in mir.
Ich blicke auf das Tier an meiner Seite -
Atmende Seele, wie empfindungsbewegt
antwortest du!
Ich blicke auf meinen Nächsten:
Mir gleich, mir fremd, mir
ursprungsverwandt...

Wo aber schaue ich dich,
Engel,
der meine Seele behütet,
der meinen Geist erhebt?




Vor einem Baum


Baum,
gewoben aus Luft und Licht
verfestigt zu
Erde
verwurzelt in ihr:

Dein Sein erweitert mich,
führt mich zum Mittelpunkt,
führt mich zum Umkreis,
erfrischt meine Sinne,
belebt
mein Sinnen.




Trostschenkung


Wenn ich könnt'
würd' ich dir Trost
und Hoffnung schenken -
einfach so.

Fein eingepackt in
nachtblaues Papier,
ein helles Leuchten
wenn du es öffnest -
und Schwupps!
berührt es dein Herz,
zieht dort ein und
wärmt dich.

Wenn ich könnt'
würd' ich dir's schenken.




Fressreim
(reim dich oder ich fress dich)


Wem' s am Mittwoch
als Koch
nicht geraten
mag's am Freitag
mit Breibrat-
lingen
lecker gebraten
gelingen




Rhymerei


"To rhyme
or not to rhyme,
that's the question" -
ob jemand allein
oder nicht allein.

Und wenn ein Silbengesell
mit ähnlichem Westchen,
als Zwillingspart,
von ähnlicher Art
und gleichem Fell
kommt hinzu -
dreht seine Runden,
mit dem andern verbunden,
auf geordneter Bahn
oder querfeldein,
in irrem Wahn
oder gesundem Sinn
immerhin -
dann ist erst einmal ruh'.




Slowmotion


Ein welkes Blatt
auf dem Asphalt
treibend.
Mit stetigen Schritten
einzuholen.
Kein Sturmwind,
keine Sensation.

Nur spröder Zerfall
und helles Braun
und gesprenkeltes
Staubgrau.




Frühlicht


Schneekalt der Wind und
dürr das Blatt,
davongetrieben…

Und doch:
wie morgenfrisch
die Luft… das Licht..




Draußen vor meinem Fenster: Wechsel


Fallender Regen
Strich für Strich
Sturmtanz in den Bäumen -
Goldener Wellenschlag…

Herbstwende.




Abend


Am nachtblauen Himmel
entdämmert der Tag.
Still grüßt das Licht noch
am fernsten Horizont -
ins Schweigen sinkt die Welt.

Meine Seele schmiegt sich den Schatten an,
den Baumkronen,
deren Geheimnis wächst.




Augenblickfeld


Öffne die Augen. Sage:
Von dem, was vor dir liegt, was
berührt dich?

Das Mückenspiel -
Das Blätterspiel -
Das Wolkenspiel -
Die Reihen der geschnittenen
Halme, Wurf um Wurf -
Der gekrümelte Rand des Weges -
Die Deutlichkeit der unscheinbaren Dinge,
sich selbst genug …?

Alles, was vor mir liegt -
Alles.




Schönheit ist


Schönheit
sagt die Blüte,
Augenandacht, Farbenduft.
Schönheit
der Schmetterling,
Flattertraum aus beinah Nichts
der Luft verwoben.

Schönheit
sagt der Sonnenkringel
auf sich kräuselnder Welle,
waldverloren, schattenkühl.

Schönheit sagt der Blick zum Himmel,
am blauen Tag,
zur dunklen Nacht: Sternenabgrund, Lichtgefunkel,
Strahlenglanz.

Schönheit
sagt dein träumendes Gesicht,
Schönheit
dein lichter Blick:
weltverloren, weltenfroh.

Schönheit
sagt alles und alles,
Schönheit
ist.