HELENADREIECK
(novel under construction)
Inhalt:
Prolog + Johannes + Ellen + Magnus + Der Engel der gescheiterten Hoffnung
Ellen
Es ist schade, doch die meisten Männer, mit denen ich bisher zu tun hatte - über meinen Job meine ich, und das waren in den letzten Jahren nicht wenige - haben keine Phantasie. Und wenn, dann eine eher bizarre. Und auch dann allermeist eine geborgte, sich im Internet die Vorlage abkupfernde. Nur wenige haben Talent für die sinnliche Inszenierung einer erotischen Situation, in der alle meine Rezeptoren angesprochen werden - einschließlich meines Intellekts, meine Auffassungsgabe oder auch mein Sinn für Witziges und für Situationskomik.
Ich weiß, es liegt an mir, dafür zu sorgen, dass bei einem Termin alles stimmt, wenigstens für den Kunden, aber es wäre doch zu schön, wenn dieser es fertig bringen würde, mich auf angenehme Weise zu überraschen. Ich beklage mich nicht, es ist ,wie gesagt, mein Job und ich bin selbst dafür verantwortlich ob etwas gelingt, doch bin ich an erster Stelle ein Spiegel des anderen, ein bloßer Verstärker seiner Sendung, und forme mich zu seinem Ideal, indem ich auf ihn reagiere. So setzt er selbst die Grenzen dessen, was möglich ist; und das, was er selbst - oft unausgesprochen - als Erfüllung definiert, übersteigere ich vielleicht, verändere es aber nur unwesentlich.
Es ist sehr selten vorgekommen, dass ich jemanden getroffen habe, der aus dem Kauf und Konsum von Sex ein Fest machen konnte, der die Lust am Leben und am Lebendig sein zelebrierte und sich selbst dadurch einen gesteigerten Genuss verschafft hat, dass er mich durch seine Vorgaben aufblühen ließ oder mich sogar etwas lehrte.
An einen in seinem Enthusiasmus für seine Wissenschaft und in seiner äußeren Erscheinung junggebliebenen Biophysiker erinnere ich mich gerne, der als talentierter Hobbykoch wundervolle mehrgängige Mahlzeiten in der Art der Molekularküche Ferran Adriàs vorbereitete, bei denen ich dann in den Zwischengängen meinen Part beisteuern konnte, so dass sich Essen und Sex in einer perfekten Choreografie den späten Nachmittag, den Abend, und weiter bis in die Nacht hinzogen.
Dazu seine Lieblingsmusik, die auch einigermaßen meinen Geschmack traf, seine mit Sinn fürs Detail eingerichtete, mit einzelnen Blumen in langhalsigen Vasen und mit kleinen Kunstgegenständen geschmückte Wohnung, in der er überall Kerzen verteilt hatte, deren Licht meinen Augen gut taten - was alles zusammen einen stimmigen Hintergrund für das Hauptthema abgab.
Da er außerdem charmant war - den ganzen Abend über gab er mir viele glaubhaft vorgetragene, nicht zu übertriebene Komplimente - und ebenso ein guter und interessanter Unterhalter, der mir sogar die Wissenschaft der Duftstoffe nahe brachte (obwohl mir sonst Physik und Chemie ein unbeschriebenes Blatt sind), auch, nicht zu vergessen, ein rücksichtsvoller, eher zärtlicher als fordernder Liebhaber, bin ich jedes Mal erwartungsvoll zu ihm hingefahren und kam jedes Mal euphorisiert und im Stimmungshoch zurück. Nicht wegen des Sexes - das ist schon lange kein besonderer Anreiz mehr für mich, er ist der Teil, der Arbeit ist - sondern wegen der angenehmen Zeit, für die ich auch noch gut bezahlt werde.
Und auf der Rückfahrt jubelte ich: 1.200 € für einige Stunden, wie viele Normalsterbliche können davon nur träumen! Wieder war ich ein Stückchen meinem Ziel näher gekommen, genügend Geld zusammen zu bringen, mich um Geld nicht mehr kümmern zu müssen - (so mein ursprünglicher Plan - heute weiß ich allerdings, das Kümmern und die Sorge hört auch dann nicht auf...).
Was ihn für mich überdies noch angenehm machte, war sein unverfängliches Verhältnis zu mir und meinem Job. Es war ein persönliches, intimes, ohne dass er daraus weiterreichende Forderungen stellte. Es gab keine Ansprüche von ihm an mich, die über unsere Termine hinausgingen. Ich konnte zu ihm hinfahren, eine anregende, intensive Zeit mit ihm verbringen, zurückfahren und ihn mehr oder weniger vergessen, bis er sich durch einen Anruf wieder in Erinnerung brachte. Und wenn er sich meldete, dann nur um ein Treffen zu vereinbaren.
Er brachte mich nicht durch Fragen in Verlegenheit wie: "Können wir uns nicht einmal einfach so treffen, bloß auf einen Kaffee?",
"Darf ich dich bei dir zu Hause besuchen?",
"Kannst du dir nicht auch vorstellen, mit mir zusammen zu leben?" (und untergründig schwingt dabei mit: "Nachdem du mit deinem Job aufgehört hast, selbstverständlich").
Er hielt sich an eine Art stille Vereinbarung, die nicht aufgeschrieben oder ausgesprochen werden musste, aber durch die Art unseres Zusammenkommens trotzdem bestand: Es gibt keine Beziehung auf privater Ebene, es gibt den bezahlten Termin und der muss genügen.
Alles, was jemand darüber hinaus will, ist für mich Belastung, ist unerfreuliche Aufmerksamkeit. Ist von mir abzuwehren, da ein Sich Aufdrängen, und bringt mich in vielerlei Verlegenheiten.
Am (vorläufigen?) Ende unserer Beziehung freilich brachte er mich doch in genau eine solche Verlegenheit, nämlich in die, "nein" sagen zu müssen, eine Situation, die ich immer zu vermeiden suche, da der Erfolg meines Jobs auf Zuwendung beruht, nicht auf Blockade und Verwehren.
Er hatte in Barcelona auf unbestimmte Zeit einen neuen Forschungsauftrag angenommen und machte mir den Vorschlag, ob ich ihn nicht dort besuchen wolle, ich könnte Urlaub machen, bei ihm wohnen, und wir würden beide die Stadt in der Stimmung des Woody Allen Films "Vicky Christina Barcelona" durchstreifen, ein garantiert beflügelndes Erlebnis.
Warum brachte er mich in eine solche Lage? Ich verkrampfte mich im erfolglosen Bemühen, eine Antwort auf seine E-Mail zu formulieren, die ihn nicht verletzen und mich nicht als kalt, herzlos und geldgierig dastehen lassen würde. Aber die Wahrheit war doch: Er war mir nicht nahe genug, um mich mit ihm privat zu treffen. Und ich hatte keine Lust, ihm Zeit, Aufmerksamkeit und Sex auf der dürftigen Gegenleistung von kostenlosem Wohnen, Einladungen zum Essen (und großzügiger weise vielleicht Flugtickets für An- und Rückreise) zu schenken.
Eine reale Escortbuchung hätte mich aufjauchzen lassen, ich hätte meine Koffer gepackt und wäre in Hochstimmung nach Barcelona geflogen, hätte mich darüber gefreut, dass ich durch meinen Job wieder einmal eine anregende und gutbezahlte Zeit in Gesellschaft eines interessanten Menschen verbringen durfte. Doch wusste ich ja, dass dafür sein Gehalt nicht ausreichte, auch wenn ich ihm (und das hätte ich getan) sehr entgegengekommen wäre.
Nein, wenn ich Urlaub machen möchte, dann nur mit einem bestimmten Menschen - was unglücklicherweise mit gerade diesem schier unmöglich ist.
Wenn ich mit dem Biophysiker Barcelona erforscht hätte, wären in meinen Gedanken immer wieder die mir dadurch entgehenden Einnahmen aufgetaucht, hätten sich Tag für Tag aufsummiert und mir ein schlechtes Gewissen gemacht: Ist das jetzt deine Freizeit? Und wo bleibt dein Plan? Kannst du wirklich unbefangen durch das Barrio Gótico schlendern, ein Glas Rotwein an einem der Tischchen trinken, die in den Gassen und Plätzen vor den Bars aufgestellt sind, entspannt mit deinem Begleiter plaudern und wissen, du tust jemandem einen Gefallen, der dir mit seinem Angebot überhaupt keinen Gefallen getan, sondern dich nur in einen Zwiespalt gebracht hat?
Und wenn ich ihm das gäbe, weswegen er mich eingeladen hat (um nur keine Illusionen aufkommen zu lassen), den intimen, zuwendungsintensiven Sex, wie er ihn mit mir bisher erleben konnte, käme immer die Frage auf: weswegen dies, so ohne Bezahlung? Weswegen er? Und käme Ärger in mir auf, weil er mich, ohne dafür bezahlen zu wollen, zu seiner eigenen Befriedigung eingeladen hätte - ich würde mich benutzt fühlen und mich ebenso über mich selbst ärgern, da ich mich darauf eingelassen habe.
Doch wie, mit welchen Worten, ihm dies alles auf einfache Weise erklären? So schickte ich aus lauter Ratlosigkeit am Ende doch keine E-Mail, er blieb ohne Antwort - auch eine, wenn auch für uns beide gleichermaßen unbefriedigende.
Er tat mir leid und ich hatte ein schlechtes Gewissen, doch konnte ich nicht anders, als mich irgendwie aus der Situation zu winden, auch wenn dieses Irgendwie schwach und nicht sehr souverän war. Denn die Situation selbst war nichts Neues für mich, begleitet sie mich doch, seitdem Männer angefangen haben, sich für mich zu interessieren (also einiges eher, bevor ich mich für sie zu interessieren begann), und, verstärkt natürlich, seitdem ich meinen Job ausübe.
Ich weiß, das ich mit dem Begehren arbeite, dass er über das Begehren funktioniert, und dass er umso besser läuft, je besser ich darin bin, begehrt zu werden: indem ich auf dieses Begehren vollkommen eingehe und es so scheinbar stille.
Doch das Begehren kommt an kein Ende... Je perfekter ich auf Wünsche eingehe, desto hungriger werden diese nach mehr und noch mehr. Je genauer ich dem Kunden ablese, was er sich wünscht und braucht, desto mehr verlangt er nach einer Wiederholung und Fortsetzung des Erlebnisses und nach einer Intensivierung. Je persönlicher ich dabei bin, je mehr ich von mir selbst dabei zeige und je intimer unser Zusammensein ist, desto mehr wird er allerdings auch glauben und hoffen, für mich sei es mehr als nur ein Job. Auch für mich sei es Begehren. Auch für mich sei es Leidenschaft. Auch ich wünschte mir das, was er sich wünscht. Und plötzlich bin ich in etwas verwickelt, was ich nicht suche, was mich aber stereotypisch heimsucht.
Wie bei Johannes. Ach Johannes... Was fange ich nur mit ihm an?
Johannes tickt wie viele, vielleicht sogar die meisten Männer: Er verwechselt guten Sex mit einer guten Beziehung. Er meint, weil eine körperliche Übereinstimmung besteht, müsse auch eine tiefere Verbundenheit bestehen, das eine bedeute das andere. Er glaubt, weil ich so intensiv auf ihn eingehe, so empfänglich für ihn bin und augenscheinlich so erregungsstark auf ihn reagiere, weil ich mich in vielerlei Hinsicht offen zeige und er sich bei mir in den Stunden oder Tagen unseres Zusammenseins völlig offenbaren kann, deswegen wäre ich der Mensch, der für ihn auch im übrigen Leben diese Rolle übernehmen will.
So ist es jedoch nicht. Ich möchte ihm nichts vormachen, zu seinem eigenen Schutz, doch möchte ich trotzdem die beste Liebhaberin sein, die er sich je erträumen kann. Best performance. Professioneller Ehrgeiz, könnte man sagen. Und so schlittere ich in mein Dilemma.
Warum kann er nicht die Dinge so nehmen wie sie sind? Bezahlter Sex. Fun. Feier des Lebens. Respekt und Zuneigung. Fülle - auch für ihn. Doch nicht mehr. Nicht mehr als für jeden anderen.
Was er nicht akzeptieren könnte, wüsste er es. Weiß er es wirklich nicht? Er möchte einzigartig für mich sein, möchte mich im Gegenzug dazu mit Haut und Haar besitzen, möchte sich ein Leben mit mir herbeiphantasieren, es vielleicht sogar herbeizwingen. Möchte sein Leben mit mir teilen.
Das Einzige, was ihn vermutlich von diesem Gedanken abbringen könnte, wäre, wenn ich ihm von meiner Beziehung zu Magnus erzählen würde. Doch gerade das werde ich nicht tun. Das ist nun wirklich etwas sehr Privates, und außerdem: was könnte ich ihm da erzählen? Eine komplizierte Geschichte von einer komplizierten Beziehung zu einem komplizierten Menschen? Ach Magnus...
Weiter nächstes Kapitel: Magnus