GNOSISROMAN: DER WEG DES ALCHEMISTEN
(Ein Fragment)
Inhalt:
Zu spät + Flucht + Wohin? + Nach Süden + Ketzerei + Gutmann + Cathérine + Beschwörung + Venedig/Postels Sophia + Am Ziel/Am Ende + Epilog
Beschwörung
Nachdem ich mich dazu bereit erklärt hatte, zog ich in eine kleine Stube um, nächst seiner im Turm, die mir für dieses Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, schloss mich sozusagen ein, um mich ganz auf das Studium der Schriften zu konzentrieren. Kam nur noch zu dem gemeinschaftlichen Essen zur Abendzeit und, muss ich eingestehen, zu einigen verschwiegenen, verwegenen Treffen mit ihr (wenn er auf Jagd oder sonst in kurzfristigen Geschäften unterwegs war) und verschwand bald wieder hinter meiner Tür. Saß dort vor den Büchern, die ich in seiner Bibliothek gefunden hatte und studierte die Texte.
Den arabischen Picatrix (in einer lateinischen Übersetzung aus dem Katalonischen) den ich schon von meiner Studienzeit in Monpellier her kannte, den erwähnten Agrippa, in einer etwas andere als in meiner mir verlorene Fassung, die Elemente der Magie des Pietro d'Abano, einen Kommentar über das 30. Buch der Naturgeschichte von Plinius dem Jüngeren, und natürlich das Zauberbuch des Juden Abraham von Worms, den Abramelin. Ich musste mich einarbeiten, wusste ich doch, dass ich Vorbereitungen zu treffen hatte, bevor ich irgendeine Beschwörung (noch wusste ich nicht, an welche er dachte) durchführen konnte.
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(Text über Situation der Burg, Fehde mit Nachbarn, erhoffter Vorteil durch Zauberei)
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Während meines Studiums der Medizin in Montpellier hatte ich viele Lehrstunden in Astrologie; meine Lehrer brachten uns das Werk des Ptolemäus nahe, hielten Vorlesungen über seinen Tetrabiblos, den Almagest, im weiteren auch über die arabischen Klassiker, die auf ihm aufbauten, wie Alkindi, sein Schüler Albumasar, Albategnius von Harran, Ibn Esra. Besonders aber hatten wir auf den Zusammenhang zwischen dem himmlischen und dem menschlichen Organismus zu achten, zwischen den Planeten oder Himmelszeichen und den Körperteilen, der Korrelation zwischen aktuellen Aspekten und dem Heilungsgeschehen. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, wie jedes Organ, jede Krankheit des Organs und jede Medizin gegen diese Krankheit von den Planeten bestimmt werden und wie wichtig es ist, den richtigen Zeitpunkt für einen medizinischen Eingriff zu kennen, für die Herstellung des Heilmittels gegen eine bestimmte Krankheit und für seine Verabreichung, abzulesen an den Planetenständen.
Ich muss gestehen, die wirkliche Krankheit und der reale Kranke interessierten mich weniger als das Geflecht der Beziehungen zwischen großer Welt und kleiner Welt, zwischen dem Aufbau des überkörperlichen Kosmos' und der körperlichen Dinge in ihm. Wie jedes Kraut, jeder Baum, jedes Metall und jedes lebendige Wesen in all seinen Gliedern mit dem großen Ganzen zusammenhing faszinierte mich, obwohl die Quellen teilweise widersprüchlich waren, aber das konnte ja durch ein sorgfältiges Studieren und Vergleichen und nach dem Plausibilitätsprinzip korrigiert werden, falls sich in die Tradition Irrtümer eingeschlichen hatten, durch missverständliche oder lückenhafte Überlieferung. Und im Weiteren brachte mich die rechte Zubereitung der Medizin zum Zeitpunkt der richtigen Planetenstellung zur Alchemie und zur Magie, da die Herstellung des Heilmittels in die Alchemie, die Berechnung und Beachtung des richtigen Zeitpunktes in die Magie führte.
Beides beschäftigte mich mehr und mehr, beanspruchte bald meine ganze Zeit und Aufmerksamkeit. Was ich aber von der astrologischen Prognose zu halten hatte, war mir nicht so recht klar. Anfänglich war ich, wie jedermann, der Überzeugung, dass im Horoskop und in den Planetenstände zukünftiges Geschehen abzulesen wäre, aber je mehr ich mich damit beschäftigte und darüber auch bei den Philosophen las, desto widersprüchlicher schien mir dieser Gedanke: wenn alles vorauszusehen war, an den Sternen abzulesen, wo bliebe da die Willensfreiheit? Wenn es andere zusätzliche Einflüsse gäbe, wie ererbten Charakter, Körperbeschaffenheit, örtliche Sitten, Status, durch die sich am selben Tag, zur selben Stunde Geborene unterscheiden konnten und dadurch auch unterschiedliche Schicksale hatten (wie manche Autoren erklärten, auf einen Einwand eingehend, den schon Cicero gegen die Astrologie vorbrachte), was blieb dann von dem Sterneneinfluss, wie war er von den anderen zu trennen und welche Wertigkeit hatte er diesen gegenüber?
Wenn es Willensfreiheit gab, was blieb dann noch von dem Zwang der Geburtsstunde? - oder des Zeugungsaugenblickes, von dem einige als der eigentlichen Sternenimprägnierung sprachen - von der Einwirkung des festgelegten Ablaufs der Himmelsmechanik, wie Ptolemäus sie berechnet hatte? Oder waren die Planeten doch eher äußere Sinnbilder für geistige Wesen, die sich willkürlich bewegen konnten (abzulesen am Tanz des Hin- und Her der keineswegs gleichmäßigen Bahnen), dadurch freie Ereignisketten in Gang setzend (aber wo bliebe dabei unsere, menschliche, Freiheit?), im großen und ganzen Gesetzen folgend - was ja nicht abzustreiten war - aber mehr im Sinne von Gewohnheit und Sittengesetz?
Sollte ich es mit Pico halten, der heftig dem Festgelegt sein des Menschen durch die Sterne widersprach und dessen Argumente mir einleuchteten, oder mit seinen Gegnern, wie dem Astrologen Luca Bellanti, die mit ihrer Ansicht triumphierten, als er in den ihm von drei verschiedenen Astrologen vorhergesagten frühen Lebensjahr starb, im 33ten, nachdem er ihrer Prognose nach das 34te nicht mehr erleben sollte? Hatte sich durch das Leben und Sterben des Gegners der Prophezeiungsastrologie diese Astrologie bestätigt? War er durch seinen Tod ihr Zeuge geworden?
Den Ausschlag dafür, mich nicht mehr ernsthaft mit Astrologie unter diesem Gesichtspunkt zu beschäftigen (wenn ich später nach einem Horoskop gefragt wurde und es zum Broterwerb auch aufstellte, war dies etwas anderes: ich war vorsichtig und zweideutig in meinen Aussagen, da ich kein mit Sicherheit eintretendes zukünftiges Ereignis angeben konnte und wollte) war das laute Geschrei um die vorhergesagte große Flut im Jahre 1524, und der klägliche Ausgang, den die ganze Sache nahm, als viele verängstigte Menschen auf Hügeln und Bergen die Vernichtung der von ihnen verlassenen Ortschaften erwarteten und nichts geschah: der Weltuntergang war einfach ausgeblieben. Nicht einmal ein heftiges Unwetter ließ sich als Indiz für die grundsätzliche Richtigkeit der Prognose anführen, von ihren skeptisch und zu Hause gebliebenen Nachbarn verspottet, mussten die Leichtgläubigen eingestehen, dass Katastrophen zwar ständig eintraten, aber nicht sicher vorhergesagt werden konnten.
Und diese Unglücksprophetie hatte in einer der ältesten Überlieferung gegründet, hatte sich auf die Angaben des Chaldäers Berosos berufen, der eine große Überflutung voraussah, wenn sich sämtliche Planeten in einem Wasserzeichen treffen, wie es zu diesem Zeitpunkt im Zeichen der Fische geschah. Was war dann noch von der ganzen Sache zu halten, wenn sogar solche prägnante Konstellationen nichts bedeuteten? Auch wenn spätere Interpreten die vorausgesagte große Flut auf Krieg und Bauernaufstände bezogen, die in diesem Jahr ausbrachen, gibt mir diese Art rückwärtsgerichtete Prophetie das Vertrauen in die Vorhersage durch Wissen über Planetenkonstellationen nicht mehr zurück: der Satz, hinterher ist man schlauer, braucht keine astrologische Fundierung. Wenn man erst danach weiß, auf was sich Zeichen und Hinweise bezogen haben, kann man alle Prophetie vergessen und ruhig abwarten, was das Leben bringt: überraschter als mit Astrologie wird man dann ohne auch nicht sein.
Seitdem war ich ins Lager der Skeptiker übergewechselt, aber nur, was die Möglichkeit sicherer Voraussagen betraf - an der medizinischen und der Charakter- Astrologie konnte ich nicht zweifeln, zu viele Bestätigung fand ich überall dafür. Was ich für ganz gewiss hielt, war das Prinzip, das Alles mit Allem zusammenhing, das Ganze mit dem Teil, das Große mit dem Kleinen. Wie hätte man sonst irgendetwas aus etwas anderem ableiten und dadurch dessen Qualitäten und Eigenschaften erkennen können? Verwandtschaften gab es, Verwandlungen gab es, Ähnlichkeiten und innere Zusammenhänge gab es. Es war aber wichtig, herauszufinden, was genau im Einzelfall vorlag, über den philosophischen Allgemeinplatz hinaus.
Was machte die Eiche zum Baum des Jupiters, ihr zäher Wuchs, ihr festes Holz, die ledrige Glätte ihrer Blätter, deren runde, aber kräftig- drängende Form, die glatte Eichelfrucht, ihr bitterer Geschmack, was verband alle diese Qualitäten mit dem Wesen, dem Ausdruck des Planetendämons, des Gottes der Alten? Oder war auch der Planet nur ein sichtbares Symbol für eine durch alle Wesen hindurchgehende Kraft der königlichen Stärke, Herrschaftlichkeit, Machtülle, Glücksfülle, Jovialität - sowie z.B. der Mars für Kampfstärke, Willenskraft, für zähes Ringen und wütendes Aufflammen, für Aggression und Zerstörung als Prinzip in allen Dingen stehen konnte?
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(Text über Vorbereitung des Zaubers nach Anweisung Abramelins; verstörende Nebenwirkungen; keine sexuelle Enthaltung, daher Befürchtung und Eintritt katastrophaler Vorfälle, durch welche Verhältnis zu Cathérin aufgedeckt wird; überstürtzte Flucht aus der Burg, knappes Entkommen und wieder auf der Straße)
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